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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Ambrosia der alten Griechengötter aus diesen Beeren bereitet worden.

„Gestatten Sie mir nun noch eine Frage,“ hob ich wiederum an. „Nicht wahr, in Ihrer Hand concentrirt sich das gesammte Staufenberger Erdbeergeschäft? Sie sind Mittelsmann und Agent für das ganze obere und untere Dorf?“

„Keineswegs,“ erwiderte Böcherer. „Ist Ihnen nicht eine Schaar von Frauen und Kindern begegnet mit kleineren oder größeren Erdbeerkörben an den Armen oder auf dem Kopf? Sie alle führen ihre eigenen oder die Erzeugnisse ihrer Eltern auf den Markt, meist nach Baden, und besorgen den Detailhandel für eigene Rechnung und Gefahr. Außerdem aber haben wir hier eine Handelsgenossenschaft nach Schulze-Delitzsch’schen Principien, welche das Geschäft in’s Größere betreibt und ihre Waare ebenfalls mit der Eisenbahn bis nach Frankfurt am Main und weiter verschickt, namentlich jedoch den bekannten Curort Wildbad, drüben im Würtemberg’schen, mit Erdbeeren versorgt. Sie hat dort eine elegante Verkaufsbude etablirt, und alle Nächte tragen ihre Boten die am späten Abend frisch gepflückten Früchte auf dem Rücken durch die Waldberge an die Ufer der Enz hinüber, wo sie dann am andern Morgen auf der Promenade feilgeboten werden. Die Theilhaber dieser Association waren durchweg arme Leute, als sie ihre Gesellschaft gründeten; Keiner besaß mehr als ein paar Gulden im Vermögen. Heute sind sie, was wir hier, in unseren kleinen Verhältnissen, als wohlhabend zu bezeichnen pflegen.“

„Und Sie?“

„Ich darf mich, ohne unbescheiden zu sein, Ihnen als den bedeutendsten der Staufenberger Erdbeerproducenten und Händler vorstellen. Gleich den Mitgliedern der erwähnten Genossenschaft bebaue ich theils eigenes Land mit Erdbeeren, theils pachte ich in oder nach der Blüthezeit derart bepflanzte fremde Grundstücke, in guten Jahren wie heuer zu sechszig bis achtzig Gulden den Viertelmorgen, theils endlich, wenn ich die einlaufenden Aufträge von Karlsruhe, Rastatt, Straßburg etc. anderweit nicht ausführen kann, kaufe ich meinen Nachbarn die schon gepflückten Beeren selbst ab.“

„Kommen denn alle diese Massen von Beeren als Dessert auf die Tafel?“ frug ich, verwundert über dergleichen Ziffern.

„Nur der kleinste Theil davon,“ antwortete mein liebenswürdiger Wirth, „die meisten werden von den Conditoren und Fabrikanten conservirter Früchte bezogen und setzen eingesotten und eingezuckert dann ihre Weiterreise fort. Wer weiß, wer die schönen Zimmetbeeren verspeist, die meine Frau diesen Morgen hat pflücken lassen!“

Indem verkündete der Kukuk der landüblichen Schwarzwälder Uhr die sechste Stunde.

Eilig sprang ich auf.

„Kommen Sie!“ sagte ich, „es ist die höchste Zeit, wenn Sie mit dem Erträgniß Ihres heutigen Tagewerkes noch zur Bahn wollen. Kommen Sie! Ich begleite Sie nach der Stadt.“

Wir gingen die Treppe hinab; unten in einem großen Zimmer standen die zu befördernden Körbe auf langen Tafeln aufgepflanzt, daneben ihre Trägerinnen, die wohl schon ungeduldig des Aufbruchs geharrt haben mochten. Es war eine ansehnliche Zahl von Behältnissen verschiedener Größe, alle jedoch mehr flach als hoch; das kleinste enthält etwa acht, das größte nicht über zwanzig Pfund der aromatischen Waare, und jede einzelne Beerenschicht wird von der andern durch Lagen von Weinlaub getrennt.

Während wir durch die langgestreckte Gasse des Unterdorfes hinabwandelten, lenkte Böcherer meinen Blick noch einmal auf die steilen, streifenartigen Felder, welche zu beiden Seiten vom Orte höhwärts laufen. Meist sind Weinreben und Erdbeeren zusammengepflanzt; in der Regel wird die erstere indeß später ausgerodet, um so der letzteren Platz zu machen, weil der Anbau der Erdbeere einträglicher und insbesondere viel sicherer ist als derjenige des so vielen Chancen ausgesetzten Weinstocks. Hie und da kamen wir auch an Johannisbeeranlagen vorüber, die man gleicher Weise bereits im Großen begonnen hat, ohne von dieser Cultur indeß schon nennenswerthe Ergebnisse nachweisen zu können.

Im Pfeifer’schen Badhôtel zu Gernsbach sagte ich meinen Staufenbergern Dank und Lebewohl. Dann trat ich über Ebersteinschloß, von wo eben die letzten Wagen gen Baden abrollten, durch den bereits dämmernden Tannenforst meinen Rückweg in’s Oosthal an. Als ich, müde vom gestrigen Marsche, andern Tags später als gewöhnlich die Augen aufschlug, fielen sie auf ein Körbchen der erlesensten Zimmetbeeren – es war ein noch thaufrischer Morgengruß meiner Gastfreunde in den Vierlanden des Schwarzwaldes, jenem Staufenberg bei Rastatt, wie man den Ort auf der Erdbeerbörse benannt hat.

H. Scheube.




Federzeichnungen von der Wiener Weltausstellung.
1. Auf nach Wien.
Guter Rath für Ausstellungsreisende. – Wo man Wohnung nehmen soll, – was diese kostet. – Wie man fahren soll. – Wie kommt man am besten zur Weltausstellung? – „Fürs Niedersetzen“. – Der erste Rundgang. – Die beste Beförderungsweise in dem Ausstellungs-Palast. – Die Ausstellung für bildende Künste. – Von den Frühstücks- und Diners-Freuden und -Leiden. – Für alle Bedürfnisse gesorgt.

„Ich sage Dir, thu’ Geld in Deinen Beutel!“ Diesen Rath giebt der biedermännische Bösewicht Jago in Shakespeare’s Eifersuchtstragödie, diesen Rath wiederholt nun ein guter Freund in der Gartenlaube Jedem, der den verstaubten Koffer von der Bodenkammer herabholen läßt und sich im Buchladen das neueste Decker’sche Coursbuch kauft und darin die Route nach Wien studirt.

Es soll dies, wie bereits bemerkt, nur ein freundschaftlicher Rath, bei Leibe keine Abschreckung sein, im Gegentheil möchte ich Jedermann zu der Fahrt nach dem Ziele der modernen Völkerwanderung ermuthigen. Die Reise nach Wien zur Weltausstellung ist eine Weltfahrt. Die Weltausstellung, welche das ganze Gebiet des menschlichen Wissens und Könnens umfaßt, welche uns das menschliche Dasein auf seiner höchsten Culturhöhe, wie in seinen einfachsten Naturbedürfnissen vergegenwärtigt, welches uns die ganze Erde mit ihren Bewohnern und deren Erzeugnissen, Sitten und Gewohnheiten in einen engen Kreis zusammenzaubert, sie ist ein culturhistorisches Ereigniß, eine neue Offenbarung des Menschengeistes, eine Bereicherung des Wissens, ein Anblick, wie er dem lebenden Geschlechte gewiß nicht wieder geboten wird – darum auf nach Wien! Es mag das bei so Manchem kein leichter Entschluß sein. Die Gattin ist’s, die theure, die vielleicht, über die Sophalehne gebeugt, ihrem Eheherrn Einwendungen macht, von Gefahren spricht, die ihm drohen, während etwas aus seinem Blicke spricht, wie „Spiegelberg, ich kenne Dich!“

Welche Gefahren? Der Ehegatte kennt nur eine, nämlich die, daß ihm das Geld ausgehen kann. Diese Gefahr liegt allerdings bei einer Reise zu zwei viel näher, als wenn er sich allein auf den Weg machte. Aber damit er kein angsterfülltes Gemüth zu Hause zurücklasse, läßt der Gemahl statt des bestellten kleinen Handkoffers einen etwas größeren herabholen. Großes Gepäck macht jede Reise theuer. Eine einfache Frau hat an einem Hut, zwei Kleidern, Fußbekleidung zum Wechseln genug. Wäsche ist nur wenig nöthig; denn in Wien wird jedenfalls nicht schlechter gewaschen, als zu Hause; die Wiener Wäscherinnen oder auf Wienerisch „Putzerinnen“ stehen mit denen in Paris auf einer Stufe. Zwei Anzüge und ein Ueberzieher genügen für den Mann; es ist immer besser, das Portemonnaie ist schwer, als der Koffer, und so mit einem Handkoffer und einer Reisetasche begiebt sich ein vergnügtes Ehepaar auf die Wiener Weltausstellungsreise.

In dieser Jahreszeit möchte es sich von selbst empfehlen, die Nächte zur Reise zu verwenden und sich den geringen Mehrbetrag für die Schnell- und Courierzüge nicht verdrießen zu lassen. Man gewinnt an Zeit und reist mit größerer Annehmlichkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_486.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)