Seite:Die Gartenlaube (1873) 482.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


gesponnen und aufgestellt, doch auf den ersten Blick von einem einfachen unwissenden Bauernmädchen erkannt und zerrissen worden.

Aber wie sollte das geschehen? Es mußte ein einfaches Mittel sein, aber so bündig und bestimmt, daß es eine Mißdeutung nicht zuließ. Sinnend war sie endlich unter den Bäumen hervorgetreten und sah in den dämmernden Abendhimmel empor, der eben jetzt das ziehende Gewölk mit seinem letzten Purpur färbte, daß es seinen Schein in das Fenster von Wolf’s Kammer warf und die runden Scheiben erglühen machte. Mit dem aufschimmernden Lichte kam auch Th’res ein lösender Gedanke; raschen unhörbaren Schrittes näherte sie sich dem Austraghause. Die Thür desselben wie die der Stube waren offen. Der Alte hatte sich in die innere Kammer zurückgezogen. Mit Einem gewandten Griffe hatte sie die Cither von der Wand geholt und schritt lautlos aus dem Hause zum Hofe hinüber und in das Zimmer des Fremden. Mit flüchtigem Blicke durchmusterte sie das Gemach, ob Alles in Ordnung und nirgends Abhülfe nöthig sei; dann drückte sie die Cither schmerzlich an die Brust, küßte sie und legte sie neben Leuchter und Feuerzeug, daß er beim ersten Lichtstrahl ihrer gewahr werden mußte.

„B’hüt’ dich Gott – ich dank’ dir für die viele Freud’, die du mir gemacht hast,“ sagte sie mit stockender Stimme; „jetzt gehörst wieder daher – vielleicht hat er doch noch eine Freud’ an dir – da wird er dich gleich sehen und wird hernach schon wissen, was du zu bedeuten hast. Zum Aufheben hat er mir dich gegeben, und ich hab’ dich gut aufgehoben, du weißt es. Jetzt ist er selber wieder da; jetzt geb’ ich dich deinem Herrn wieder zurück – mich braucht er ja jetzt nicht mehr …“

Die Stimmen der Fremden vom Stalle her näherten sich und scheuchten sie abermals auf. Sie floh aus dem Hause und hörte im Fliehen, wie der Gehülfe sich darüber verwunderte, daß Niemand von den Angehörigen sich blicken lasse, um den neuen Herrn zu bedienen, ihm Abendimbiß und Herberge anzuweisen. „Sein sonderbare Leut’ in diesem Haus,“ sagte er, „kümmert sich Niemand um Herrschaft – aber halt, da huscht etwas Weißes wie ein Kleid oder wie ein Schurz durch die Dämmerung. Läuft das vor uns davon? Dann wollen wir’s gleich einholen und wissen, woran wir sind.“ Er wollte seinen Vorsatz ausführen und würde Th’res sicher eingeholt haben, wäre nicht im Hausgange eine Magd mit Licht erschienen, den Gästen zu bedeuten, daß die Mahlzeit für sie bereitet und sie beauftragt sei, sie dabei zu bedienen. Die Furcht, verfolgt zu werden, jagte Th’res bis an’s Brünnlein unter die Linden und darüber hinaus an den mit Gebüsch bewachsenen Hügelrand, der dort einen schönen, vor Wind geschützten und mit frischem, weichem Rasen begrünten Hag bildete, auf welchem die Mondsichel, die eben aus den Wolken brach, ihr helles Silberlicht so voll niedergoß, als hätte sie es darauf abgesehen, das liebliche Plätzchen in seiner ganzen Anmuth erscheinen zu lassen.

Th’res gewahrte das Alles nicht. In der Einsamkeit überkam sie das Leid, das sie in der letzten Stunde erfahren, mit neuer doppelter Wucht; sie knickte unter derselben zusammen und sank in’s Gras, um in einen Strom von Thränen auszubrechen. Die Arme gekreuzt und das Gesicht in ihnen verbergend, lag sie eine Zeitlang und mischte ihre Thränen in den Thau, mit dem der Abend bereits das Gras zu überhauchen begann.

Nach einer Weile erhob sie das Haupt und horchte halb aufgerichtet in die Abendstille hinaus; als nichts umher sich regte, sank sie wieder auf den Boden zurück; nach wenigen Augenblicken erhob sie sich wieder, um noch angestrengter zu lauschen.

„Was ist denn das?“ sagte sie für sich hin. „Es klingt und rauscht und braust mir in die Ohren, als wenn in der Fern’ ein Wagen rollt und der Wind durch die Blätter saust, und wenn ich horche, ist Alles wieder mäuschenstill. Es ist nichts,“ meinte sie, nachdem sie noch einmal mit angehaltenem Athem gelauscht, „es muß in mir selbst sein. Das Blut, glaub’ ich, summt mir in den Ohren und singt mir mein eigenes Elend vor. … O, ich wollt’, ich wär’ bei meinem armen Vater und dürfte mir gleich da mein Grab ausmessen, der Länge nach!“

Wieder warf sie sich auf den Rasen, richtete sich aber augenblicklich wieder auf.

„Das ist nichts um mich herum,“ sagte sie, gegen den Boden gewendet, „das ist ja unter mir in der Erde. Das rauscht und saust und gurgelt durcheinander, wie wenn’s Wasser wäre, das wallt und steigt und nicht ’raus kann. Herr Gott! wenn das vielleicht das Brünnl’ wär’, das verloren gegangen ist!“ …

Erschreckt sprang sie auf, sowohl wegen der Entdeckung, die sie gemacht, als auch weil der Mondenschein einen Schatten neben sie auf den Rasen gebreitet hatte; ein Mann trat zugleich aus den Linden hervor, und eine liebe, nur zu wohlbekannte Stimme rief ihren Namen. Ein Aufschrei der Ueberraschung entglitt ihr, in welchem Freude und Schmerz zusammenschmolzen wie die verschiedenen Metalle, die man zu einer Glocke nimmt, daß sie einen schöneren Klang bekomme; die eine Hand an das wildschlagende Herz, die andere an die fieberisch pochende Stirn gedrückt, rief sie laut: „Halt, wer da? Wer schleicht da ’rum wie ein Dieb in der Nacht?“

„Th’res!“ rief der Mann wieder, indem er näher trat, „ich bin’s – erschrick’ doch nit! Wie ich die Cither in meiner Stub’ gefunden hab’, hab’ ich sogleich gewußt, daß Du mich erkannt hast. Da hab’ ich nit bis zum Morgen warten können, Dich zu grüßen, und such’ Dich überall. Ich kann mich nit länger verstellen gegen Dich, und warum sollt’ ich auch? Jetzt ist ja nichts Heimliches mehr zwischen uns.“

„Das mein’ ich auch,“ entgegnete Th’res mit erzwungener Kälte. „Was wollen Sie von mir, Herr Lindhamer?“

„Th’res!“ rief er vorwurfsvoll hinwieder. „Wie red’st Du zu mir? Ich bin ja der Wolf, der sich so auf Dich gefreut, der sich keinen Tag niedergelegt hat, ohne an Dich zu denken, der die Stunden gezählt hat bis zu der, wo er Dich wiedersieht, und Du red’st so zu mir?“

„Wie sollt’ ich sonst? Ich red’, wie früher auch …“

„O, thu’ mir das nit an!“ rief Wolf herzlich. „Thu’ nit, als wenn Du nit wüßtest, wie ich gesinnt bin zu Dir! Wenn ich’s auch sonst nit erfahren hätt’ – in derselben Stund’, wo wir von einander gegangen sind, dort an der Rosenheimerstraß’ bei dem Muttergottesbild, dort ist mir das Licht aufgefangen, daß ich Dich gern hab’ und Du mich auch, Du kannst das so wenig vergessen haben, wie ich …“

„Es ist spät,“ unterbrach ihn Th’res. „Ich muß in’s Haus; es schickt sich auch nit, daß wir da so spät miteinander reden, Herr Lindhamer.“

„Th’res,“ rief Wolf, wild auffahrend wie früher, „tratz’ mich nit! Sag’ noch ’mal den Namen, und ich laß Alles liegen und stehen und geh’ noch einmal auf und davon, um gewiß nit wieder zu kommen. Was hast wider mich? Verdrießt’s Dich, daß ich Dir nie was hab’ wissen lassen von mir, oder daß ich mich nit selber zu erkennen gegeben hab’? Schau’, ich hab’s gut gemeint – ich hab’ geglaubt, ich hätt’s recht schön ausgedacht. In Ungarn bin ich so glücklich gewesen und hab’ auf einer großen Mühl’ gearbeitet, und wie ich mir so das Werk angeschaut hab’ – Du weißt ja, ich hab’ alleweil’ solche Basslereien gemacht –, da ist mir’s eingefallen, wie sich das Ding um Vieles verbessern ließ; ich hab’s aufgezeichnet. Der Herr hat’s darnach einrichten lassen, und weil’s eingeschlagen hat und hat gut gethan, hat er mich zum Werkführer gemacht und mir einen Theil vom Gewinn überlassen – ich bin nit reich ’worden, Th’res, aber so viel hab’ ich zusamm’gebracht, daß ich gerad’ zur rechten Zeit hab’ helfen können, daß ich den Lindhamerhof erhalten, meinen Vater in seine alten Tag’ trösten und Dich fragen kann, ob Du mein gehören willst. Hunderttausendmal hab’ ich’s mir ausgemalt in Gedanken, wie’s sein wird, wenn ich heim komme und wenn der Vater und alle Leut’ eingestehen müssen, daß ich Das nit bin, was sie mich geheißen haben , daß ich doch ein ordentlicher, richtiger Mensch bin. D’rum hab’ ich mich so verstellt und vermacht – vor Dir hätt’ ich mich freilich nit zu verbergen gebraucht. Du hast’s ja ohnehin niemals geglaubt.“

„Kann wohl sein,“ entgegnete Th’res mit schneidendem Tone; „aber es geschieht manchmal, daß man hinterher was einsieht, was man zuvor nit hat glauben wollen …“

„Th’res, was soll das heißen?“ rief Wolf. „Hab’ ich Dich recht verstanden? Weißt auch, was Du gesagt hast?“

„Ich weiß, was ich gesagt hab’, und Du hast mich auch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_482.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)