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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


die allesammt sehr stumpf ausfielen.[1] Die Sache ist, Klopstock und Goethe waren grundverschiedene Naturen und konnten auf die Länge unmöglich zusammengehen. Die Götter, an die sie glaubten, litten es nicht. Klopstock glaubte an den jüdisch-christlich-außerweltlichen Bibelgott, Goethe, zum pantheistischen Heiden angelegt und durch Spinoza erzogen, glaubte an den innerweltlichen Allumfasser, Allbeweger, Allerhalter, von dem er im Gegensatze zum Klopstock’schen gesagt hat:

„Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.“

Zwei bedeutsame Erlebnisse waren dem Wolfgang bis zum Jahresschlusse aufgespart. Das eine war die erste Anknüpfung mit dem Weimarischen Hofe, das andere die Bekanntschaft mit Lili (Anna Elisabeth Schönemann), von welcher Schönen, so wir der mehr als billig flunkernden Bettina („Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“, I, 130) trauen dürften, die Frau Rath gesagt hätte, daß dieselbe „die erste Heißgeliebte“ ihres Sohnes gewesen sei. Das ist aber sicherlich nur eine Bettina’sche Schrulle und Schnurre.

In der Abenddämmerung des 11. December trat ein Fremder in unseres Dichters Stube und gab sich ihm als Hauptmann Karl Ludwig von Knebel zu erkennen, welcher gekommen, dem Verfasser des „Götz“ und „Werther“ seine Achtung zu bezeigen. Knebel war der Erzieher des Prinzen Konstantin von Sachsen-Weimar, jüngeren Bruders des Erbprinzen Karl August, und waren die Prinzlichkeiten mit Gefolge auf einer Reise nach Karlsruhe begriffen. Der Wolfgang und der Hauptmann fanden rasch großes Gefallen aneinander und jener ging daher um so lieber auf das Ansinnen ein, sich den beiden Prinzen vorzustellen, welche begierig waren, seine persönliche Bekanntschaft zu machen.

Diese erste Zusammenkunft mit dem nachmaligen Herzoge Karl August, welcher damals auf seiner Brautschaureise zu der Prinzessin Luise von Hessen-Darmstadt begriffen war, wurde für unseres Dichters äußere Stellung im Leben entscheidend und somit ohne Frage auch für den Gang und Wandel seines Genius. Der jugendliche Karl August ist durch Goethe’s Persönlichkeit so sehr ergriffen und gefesselt worden, daß rasch in ihm der Gedanke aufstieg und bald bestimmtere Gestalt gewann, den „lieben Menschen“ in seine Nähe zu ziehen. Dem Dichter seinerseits gefiel der junge, muntere, burschikose, von der Kraftgenialität ebenfalls sehr merkbar angefaßte Fürst auch ganz gut und er ging daher auf das schnell sich entwickelnde Freundschaftsverhältniß zu demselben bereitwillig ein. Viel bereitwilliger, als es dem ehrensteifen Herrn Johann Kaspar gefiel, welcher zu der sich bildenden Kameradschaft zwischen Fürst und Bürger bedenklich den alten Kopf schüttelte und nachdrucksam sein reichsstädtisch-abmahnendes „Weit vom Jupiter, weit vom Blitz; lang’ bei Hof, lang’ bei Höll’!“ vorbrachte. Allein im Verlaufe des nächsten Jahres wurde das Pflaster seiner Vaterstadt dem Wolfgang allmälig so brennend heiß – wir werden sehen, warum –, daß er allen väterlichen Bedenken zum Trotz die Einladung seines fürstlichen Freundes Karl August, welcher im September 1775 aus einem Erbprinzen ein Herzog wurde und vier Wochen später seine Braut Luise von Hessen heimführte, ja die bestimmt ausgesprochene und dringlich wiederholte Einladung, nach Weimar zu kommen, annahm und seinen Vorsatz, derselben nachzuleben, verschiedener Weiterungen und Hindernisse ungeachtet zur Ausführung brachte. Einmal in Weimar, kam er dann nicht wieder los.

Doch soweit sind wir noch nicht, sondern vorerst noch bei der nicht sehr erquicklichen Lili-Geschichte.




Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.
3. Der Graf Hahn. Von Adolf Meyer.
(Schluß.)


„Was steht zu Ihren Diensten, mein Herr?“ fragte mich der alte Herr, indem er das Ungethüm von Meerschaumpfeife bei Seite setzte.

„Ich wünsche dem Herrn Grafen Hahn-Neuhaus meine Aufwartung zu machen,“ stotterte ich mit leiser Stimme.

„Der bin ich selbst, mein Herr,“ erwiderte er freundlich.

Das also ist der Graf Hahn? Mein Erstaunen kannte keine Grenzen. So hatte ich den merkwürdigen Mann nicht zu finden gedacht. Der Graf, der mein Erstaunen bemerken mochte, nickte mir freundlich zu, strich mit seiner eleganten Hand die Brille von seiner hohen Stirn auf das Nasenbein und fragte mich noch einmal, indem er seinen Silberbart durch die Finger gleiten ließ, auf das Freundlichste: „Was wünschen Sie von mir, mein Herr?“

Noch vermochte ich dem repräsentablen alten Herrn, der kerzengerade vor mir stand und mich so von oben herunter betrachtete, nicht zu antworten. Stumm überreichte ich ihm meinen Contract nebst Brief des Herrn von Alvensleben. Nachdem er Brief wie Contract gelesen, legte sich seine hohe intelligente Stirn in düstere Falten. Alle Freundlichkeit verschwand aus dem schönen Greisenantlitz. „Alle Donnerwetter!“ platzte er grimmig heraus. „Ist denn dieser Alvensleben verrückt? Wie kann der Mensch mir einen solchen Knirps von Tenor auf den Hals schicken! und gleich mit festem Contract! Herr, Sie sind ja fast noch ein Knabe!“

„Sehr gern, mein Herr Graf, entbinde ich Sie des Contractes,“ erwiderte ich gereizt.

Ohne darauf etwas zu erwidern, riß er heftig eine Thür auf und sang in höchst komischer Weise ein Recitativ, das ich dem geneigten Leser hier mittheile, in das geöffnete Zimmer hinein:

„Urspruch komm einmal sogleich!“

Ein gedrungener Mann mit einem mächtigen, grau melirten Haarwuchs und kupferrothem Gesicht erschien nach verklungenem Recitativ, trat mürrisch, mich wie einen Gaul musternd, in’s Zimmer und fragte den Grafen in nicht sehr noblem Tone: „Na, was soll’s schon wieder, Erlaucht?“

Dieser mürrische, wie es schien, mit sich selbst zerfallene Mensch war der in Cöln einst gefeierte Heldentenor Urspruch.

„Da schickt mir der Alvensleben diesen kleinen Herrn als lyrischen Tenor,“ und dabei sah er mich spöttisch von der Seite an. Augenblicklich machte ich Miene, das Zimmer zu verlassen. „Halt da, junger Mann! Urspruch! lasse doch den jungen Herrn einmal etwas singen.“

Ohne eine Silbe zu erwidern, warf Urspruch sämmtliche Sachen, die auf einem Fortepiano lagen, Kleider, Waffen, Helme, Noten, Rollen, unbarmherzig auf den Boden, öffnete das Instrument und fragte mich kurz: „Was wollen Sie singen?“

Unter den so ohne alle Rücksicht heruntergeworfenen Sachen sah ich die Partitur von „Joseph in Aegypten“, halb von einem Rittermantel bedeckt, so hervorschauen, daß gerade der Titel der

  1. Am kläglichsten erscheint die Befehdung Goethe’s durch Klopstock in Gestalt eines gegen den Goethe’schen „Faust“ gerichteten, im Jahre 1816 bekannt gewordenen Epigramms, welches ich anführe, weil es zeigt, was für absonderliche Verwerfungsurtheile unser Dichter sich gefallen lassen mußte. Es lautet:

    „Was man erzählt vom Doctor Faust,
    Ist weiter nichts als Lug der Möncherei;
    Die Dichtung, die vor uns in wilden Dramen braus’t,
    Wie Windsbraut braus’t
    Vom Doctor Faust,
    Ist lediglich
    Kraftmänniglich
    Verwünscht Geschrei
    Der traurigen Genieerei.
    Ob’s Alte oder Neue besser sei,
    Zu schlichten, wär’ Bockmelkerei.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_470.JPG&oldid=- (Version vom 9.9.2018)