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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Stamme Platz nahm. „Der, auf den ich wart’, will noch eine Weile ausbleiben, wie’s scheint; da will ich mich auch niedersetzen und derweil mit Dir schwätzen. Ich weiß Jemand, der gäb’ einen Finger aus der Hand, wenn er von dem schönen Citherspieler was erfahren könnte. Wie ist’s? Willst Dir den Gotteslohn nicht verdienen und von ihm was erzählen? Du mußt es wohl können – ich weiß freilich nicht, ob es wahr ist; aber es hat geheißen, er hätte sich in Rosenheim auf dem Inn eingeschifft und wäre fortgefahren, er und Du und Deine ganze Gesellschaft mit –“

„Das ist wahr,“ sagte das Mädchen, „aber ich weiß doch nichts von ihm …“

Sepp lachte laut auf.

„Na, das kann schon auch wahr sein,“ sagte er, „so geht’s ja meistens. Will’s Dir schon glauben, daß Du jetzt nichts mehr von ihm weißt. Er ist Dir davon, nit wahr? Nachdem er sich satt geschleckt hat, hat er sich aus dem Staub gemacht und hat Dich sitzen lassen. Gelt, ich kann gut rathen?“

Sie sah ihn starr und wortlos an, aber sie widersprach nicht.

„Na, red’ nur,“ fuhr er fort, „brauchst Dich nicht zu schämen! Sind ja natürliche Sachen! Er ist ein schöner Bursch und hat Dir gefallen; Du hast ihm auch gefallen; so ist’s ja ganz natürlich, daß er anfangs wegen Deiner mitgangen ist, und nachher hat er sich bei Nacht und Nebel davon gemacht und hat Dich verlassen …“

„Ja, ich bin verlassen worden,“ sagte das Mädchen traurig.

„Na also!“ begann Sepp wieder. „Wenn’s denn gar so hart ’raus kommt, muß ich Dir schon Courage machen und muß Dir noch mehr sagen: – ich weiß nicht blos Das, ich weiß auch, warum Du da bist; Du willst da hinauf, wo der Lindhamerhof liegt; Du meinst, der Wolf könnte jetzt daheim sein, und willst ihm nachfragen –“

Die Tänzerin nickte, sah aber den Forschenden noch forschender an, als wäre es nicht sie, die ausgeholt werden sollte, sondern der Frager.

„Da gehst aber umsonst,“ fuhr Sepp fort. „Da oben erfährst Du nichts; da haben sie, seit er fort ist, kein Sterbenswörtchen mehr von ihm gehört.“

„Das macht nichts; ich gehe doch hinauf,“ erwiderte sie.

„O, ich will Dich auch gar nicht abhalten – fällt mir nicht ein! Ich rede Dir eher zu. Schon vor acht Tagen hab’ ich gehört, daß Du wieder in der Gegend sein sollst, und hab’ den Leuten droben versprochen, daß ich Dich aufsuchen wollt’. Gehe ja hinauf; den Alten, so harb er auf den Buben ist, freut’s doch, wenn er von seinem Herzkäferl was hört, und dann ist da ein Mädel – Du verstehst mich schon – die hat sich ihn in den Kopf gesetzt und wartet darauf, daß er wiederkommt, wie die Juden auf den Messias. Für die wär’s ein wahres Glück, wenn sie die Wahrheit inne würde. Sie verschlägt sich sonst die ganze Zukunft; hätt’ schon oft heirathen können, aber sie bringt halt den Loder nicht aus dem Kopf –“

Die Augen des Mädchens funkelten. „Ich will mit dem Vater und dem Mädchen reden,“ sagte sie hastig.

„Das ist gescheidt – aber nit jetzt gleich musst Du das thun,“ rief Sepp, „jetzt kämst Du nicht gelegen; Du weißt vielleicht nicht, wie schlecht es da droben aussieht. Wie der lüderliche Bursch fort ist, ist’s just gewesen, als wenn er das Glück mitgenommen hätt’ – der Hof wird verkauft und heute wird die Sache beim Gericht fertig gemacht. Laß Dir d’rum rathen von mir! Siehst Du dort das Dorf mit dem spitzigen Kirchthurm? Da ist ein gutes Wirthshaus, in dem rast’ aus bis gegen Abend, dann geh’ hinauf, dann triffst Alle beieinander. Komm’ so um die Zeit des Gebetläutens, dann kannst vielleicht über Nacht bleiben und Alles recht ausführlich erzählen – brauchst keine Sorg’ zu haben, ich werd’ auch da sein und zuhören.“

„Ich danke Euch,“ sagte die Tänzerin, sich erhebend, „aber im Wirthshause habe ich nichts zu thun. Was ich brauche, trage ich bei mir; doch wenn Ihr meint, dass es so besser ist, will ich bis zum Abend warten –“

„Und Du kommst gewiß?“ rief Sepp, der seine tückische Freude nicht mehr zu verbergen wußte.

„Gewiß,“ erwiderte sie, „so gewiß, als ich den weiten Weg nicht umsonst gemacht haben will.“

Der Brunngraber sah der Enteilenden nach, bis sie im Gebüsch verschwunden war. Dann brach er in lautes Lachen aus. „Das geht ja besser, als ich hätt’ wünschen können,“ rief er. „Na, der Alte wird eine Freud’ haben, wenn ihm die Schwiegertochter in’s Haus kommt, und der hoffährtigen Gretel druckt’s das Herz ab, wenn sie die Nachricht hört. Darauf wett’ ich, wenn sie sich auch noch so verstellt!“

Fernes Wagengerassel unterbrach ihn; auf einem Seitensträßchen rollte in einiger Entfernung ein leichtes Fuhrwerk dahin.

„Wie ist mir denn?“ sagte Sepp unsicher. „Ist denn das nicht der Dickel? Er fährt dorthin, auf der Hauptstraß’, während er mich daher bestellt hat und warten läßt? Oho, Brüderl, ist’s so gemeint? So haben wir nicht gewettet. Fahre Du so geschwind als Du willst, ich schneide Dir den Weg ab and komm’ Dir doch zuvor. Mir kommst Du so leicht nicht aus.“

In den Geschicken des Lindhamerhofes war in den letzten Tagen eine ebenso unerwartete als günstige Wendung eingetreten. Die Versteigerung, welche am achten Tage nach der Schätzung stattfinden sollte, war vom Gericht eingestellt worden, denn unvermuthet hatte sich durch einen benachbarten Anwalt ein Käufer gemeldet, der für den Hof eine so ansehnliche Summe bot, daß nicht nur alle klagenden Gläubiger vollkommen befriedigt werden konnten und für Niemand Verlust zu befürchten war, sondern daß Dickel sogar noch eine nicht unbeträchtliche Summe übrig blieb, die ihm gestattete, anderswo einen neuen Haushalt zu begründen. Ueberglücklich durch diesen überraschenden Zwischenfall, hatte derselbe das Angebot mit beiden Händen ergriffen, und war auf dem Wege nach Aibling, wo der Kaufpreis erlegt und die Vertheilung der Gelder vorgenommen werden sollte.

Sturmgeschwind jagte er über die Ebene dahin, denn sein schönes Gespann war ihm ebenfalls geblieben; er war doppelt froh, weil er der Sorge um den Hof, der doch nur als Last auf ihm gelegen, enthoben war und obendrein die Aussicht auf eine Beschäftigung gewonnen hatte, die er seinem Sinne mehr angemessen glaubte. Eine gut besuchte Wirthschaft im nahen Tirol war eben feilgeboten; die hatte er zu erwerben beschlossen, und Mann und Frau stimmten darin auf’s Vollkommenste überein. Er versprach sich davon eine leichte vergnügliche Thätigkeit, angenehme gesellige Tage und leichten Gewinn, während sie sich schon wieder in der von Jugend auf gewohnten und liebgewordenen Beschäftigung einer Wirthin erblickte, mit leichter Mühe den großen Hausstand regierend und sich mit Stammgästen und Reisenden unterhaltend, die der schönen, gefälligen Frau den Hof machten.

„Gott sei Dank!“ rief die Bäuerin, als sie abfuhren und Dickel auf die Pferde hieb, „Gott sei Dank, daß wir von der Fretterei los sind; jetzt soll’s aus einem andern Tone gehen!“

Nicht einen Blick warf er auf die Heimath zurück; er hatte keinen Augenblick Zeit gefunden, um dem Vater Lebewohl zu sagen.

Das war auch nicht leicht zu bewerkstelligen gewesen, denn seit dem Tage der unglückseligen Entdeckung hatte der Alte sich in sein Austraghäuschen eingeschlossen und würde Niemand den Einlaß gestattet haben, wenn er auch verlangt worden wäre; aber es kam kein Mensch, und nur Th’res war es, die den Greis besuchte und seine Gefangenschaft theilte; auch ihr war ja der Aufenthalt in den Hofgebäuden längst verleidet. Die Gefangenschaft des Alten war übrigens keine ganz freiwillige; die Erlebnisse hatten ihn so schwer getroffen, daß ein minder stark gebauter Körper unter der Wucht wohl völlig zusammengebrochen wäre; in den ersten Tagen hatte es geschienen, als ob eine ernstliche Krankheit sich seiner bemeistern wollte, so starr und schweigend war er, brütend über seinen licht- und trostlosen Gedanken, Tag und Nacht aufrecht gesessen, ohne nach Ruhe oder Stärkung zu verlangen, und selbst Th’resens Fragen, Zureden und Bitten vermochten keinen Laut als Antwort von ihm zu erhalten – mit Einem Male aber war es wie ein Umschwung über ihn gekommen; das Federwerk in ihm hatte mindestens einen Theil der alten Schnellkraft gewonnen, daß er sich aufrichtete, nach Nahrung verlangte und ruhig und fest mit Th’res über Das zu verhandeln begann, was nun zu geschehen

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