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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Das ist noch schöner!“ rief der Landrichter. „Aber laßt ihn nur – wir bedürfen seiner nicht – die Bäurin wird wohl zu Hause sein?“

„Auch nit,“ sagte der Brunngraber tückisch, „die ist zum Kindlmahl gefahren …“

„Nun, das muß ich sagen, eine Musterwirthschaft!“ rief lachend der Landrichter. „Dann müssen wir Jemand Andern vom Hause nehmen, daß er bei der Schätzung zugegen ist und das Protocoll unterschreibt … Wie ist’s, Lindhamer, wollt Ihr dabei sein?“

„Ich nit –“ sagte der Alte, der sich wieder so weit gesammelt hatte, um mindestens äußerlich sich aufrecht zu erhalten – innerlich lag er zu Boden wie eine vom Stabe losgerissene Hopfenranke … „Es geht nimmer bei mir mit dem Schreiben und –“

„Und es wäre wohl auch zu viel von Euch verlangt,“ unterbrach ihn der Landrichter, „daß Ihr das Protocoll unterschreibt, das Euren Hof unter den Hammer bringt … Dann wird die Jungfer aushelfen müssen … Th’res heißt sie – nicht wahr? Sie gehört ja auch so halb und halb zum Hof …“

„Freilich – so halb und halb!“ entgegnete Th’res, mit ihren Thränen kämpfend –, „aber wenn es sein muß, will ich thun, was man von mir verlangt …“

Der Landrichter ging an’s Geschäft und mahnte die mitgebrachten Schätzleute und die als Zeugen gekommenen Landleute aus der Umgegend zur Eile: bei einem der adeligen Gutsbesitzer in der Nähe wurde ein kleines Fuchsriegeln abgehalten, dessen Schluß er noch mitzumachen wünschte. Der Unterhändler schloß sich an und erzählte mit so lauter Stimme, daß dem Alten kein Wort entgehen konnte, wie er das Gut nicht auslassen wolle, wenn es irgend, wie nicht anders zu erwarten, um einen leidlichen Preis hergehe, wie er sich schon seinen Plan für die Zertrümmerung gemacht und welchen Gewinn er davon zu ziehen gedenke. „Ich will den Hof tranchiren wie eine fette Gans,“ sagte er, „die Portionen verkaufen, den besten Schnitz aber und das Fett für mich behalten.“

„Jesus Christus …“ murmelte der Alte und sank schwindelnd in Th’resens Arm, die den Wankenden fest umfing und hielt, „der Lindhamerhof auf der Gant – vom Gericht versteigert … zertrümmert … das überleb’ ich nit …“

Th’res hatte ihn wieder an die Lindenbank geleitet und beugte sich, selber weinend und trostlos, auf den Trostlosen herab, dessen kranke Augen brannten, aber nicht weinen konnten. Keines von Beiden vermochte dem unendlichen Leide Ausdruck zu geben, das ihnen auf Herz und Seele lag – der Wind strich wieder über die Anhöhe und weckte die Windharfe, daß sie klagend ertönte, plötzlich aber mit einem schrillen Mißlaut verstummte …

„Jetzt hören wir s’ nimmer,“ sagte Th’res schmerzlich leise – „jetzt ist die letzte Saiten abgesprungen …“



4.

Der Herbst hatte seine Herrschaft gewaltsam ergriffen und mit strenger Hand behauptet – da sie gewiß in seiner Hand lag, schaltete er als ein milder Gebieter. Es war, als gereute es ihn, den Sommer so früh verscheucht zu haben, und als wollte er es dadurch wieder gut machen, daß er ihm den Abzug erleichterte und ihn wenigstens noch eine Weile als freundlichen Gast beherbergte.

Mit den letzten Ereignissen auf dem Lindhamerhofe waren starke Regengüsse auf die Landschaft niedergegangen; dann aber hatte das Unwetter zugleich mit dem Unheil sich erschöpft – der Himmel leuchtete Tag um Tag in unumwölkter Bläue und die Sonne ging jeden Morgen strahlend auf, um nach einem schönen Lauf noch strahlender zu sinken. Ueber den Wäldern hing weicher Duft, wie die Ahnung eines neuen Grüns; auf den Wiesen sproßten junge Halme und gaben dem Gelände einen beinahe frühlinghaften Schein; nur die durchsichtig gewordenen Hecken und Wipfel blieben kahl und die weißen Fäden des fliegenden Sommers, die sich schleiergleich an den Aesten anhefteten, vermochten nicht den verlorenen Blätterschmuck zu ersetzen. Dennoch gab es Stellen, an denen man sich in den Sommer zurückversetzt glauben konnte; eine solche war an dem Höhenzuge, auf dem die Straße zum Lindhamerhof emporsteigt: ein leichter Hügelabhang, von Schlehen- und Haselgesträuchen eingefaßt und mit so frisch-grünem Rasen bedeckt, daß es sich ansah wie ein absichtlich angelegtes und gehegtes Gartenstück, und daß der am Fuße der Anhöhe liegende Eichstamm wie eigens hingewälzt schien, damit der Wanderer bequem ausruhen könne, ehe er sich daran machte, den einen oder andern der drei Wege zu betreten, die sich davor schnitten und kreuzten.

Auf dem Stamme saß ein Mädchen in abgetragener, aber sauberer städtischer Tracht. Ein schwarzes Kleid umhüllte vollständig die schlanke Gestalt, und ein breiter dunkler Strohhut beschattete und verbarg ein Gesicht, dessen Hagerkeit und Blässe vermuthen ließ, daß schwere Krankheit oder schweres Leid darüber hin gegangen, oder daß wohl gar beide zugleich die Rastende wie die Griffe einer Klammer zwischen sich gefaßt und ihr Kraft und Lust zu leben aus Herz und Sinn gepreßt hätten – es war ihrem Anblick zu glauben, daß Müdigkeit sie gezwungen, durch Anhalten an der Eiche sich von der überstandenen Wanderung zu erholen und Kräfte für die neue zu sammeln. Sie hatte kein Auge für das wunderbare Bergland, das sich vor ihr aufgethan, kein Ohr für das Zwitschern der Amseln, die den rothen Dolden der Vogelbeerbäume ihren Besuch abstatteten und dafür in den Aesten ihren freundlichen Wirthen ein Danklied zwitscherten; ihr Blick war starr auf den Boden geheftet, wo ihr Bündel und ein als Wanderstab dienender Schirm lagen – sie schien ihre Habe zu zählen und zu überschlagen, wie lange sie damit wohl noch aushalten könne.

In dieser Stimmung hatte sie den Mann nicht beobachtet, der von der alten Römerstraße her den Seitenweg längs des Höhenzuges eingeschlagen hatte, bald langsam, bald rascher schreitend, bald völlig einhaltend, wie Jemand, der an einem bestimmten Orte ein verabredetes Zusammentreffen abwartet. Es war der Brunngraber Sepp. Als er näher kam und die Sitzende bemerkte, blieb er stehen und sah scharf auf sie hin, indem er die Hand über die Augen hielt, um die täuschende Sonnenblendung abzuwehren. Als auch dieses Mittel nicht ausreichen wollte, ging er anscheinend achtlos seinen Weg weiter, um an der Sitzenden vorüberzukommen und sich zu überzeugen, ob seine Einbildungskraft ihm einen Streich spiele oder ob wirklich der Zufall ihm das Werkzeug in die Hand gegeben habe, das er seit mehreren Tagen vergebens gesucht und durch das ihm das Gelingen seiner Pläne unfehlbar verbürgt schien.

Im Vorbeigehen rief er dem Mädchen einen Gruß zu, den diese, ohne aufzublicken, leise erwiderte; dennoch genügten die wenigen Laute, alle Ungewißheit zu beseitigen; er kehrte nach wenigen Schritten zurück und rief, vor das Mädchen hintretend, verwundert aus: „Nichts für ungut! Ich glaub’, ich kenne Dich, Mädel.“

„Kann wohl sein,“ entgegnete sie, ihn rasch von der Seite anblickend, „ich kenne Euch aber nicht.“

„Das glaub’ ich auch,“ sagte Sepp, der nun seiner Sache vollkommen sicher war, „das kann auch nicht leicht anders sein. Ich hab’ Dich recht gut in Erinnerung; Du aber wirst mich unter den Vielen, die Dir zugeschaut haben, wohl nicht bemerkt haben. Bist Du nicht die Seiltänzerin, die Komödiantin, die vor fünf Jahren am Aiblinger Markt ihre Kunststücke gemacht hat?“

„Und wenn es wäre?“ fragte das Mädchen, indem sie das bleiche Gesicht erhob und ihn aus den finsteren Augen durchdringend anblitzte. „Wenn ich’s wär’, ging’s Euch was an?“

„Nein, mich gewiß nit – es freut mich nur, daß ich Dich so treff’,“ entgegnete Sepp lachend. „Das war selbigsmal eine eigene Geschichte … Wirst Dich wohl noch erinnern, wie Du zwischen den Eiern getanzt hast, und wie der schönste, reichste Bauernbursch aus der ganzen Gegend, der Lindhamer-Wolf, Dir dazu aufgespielt hat.“

Das Mädchen verwandte den Blick nicht von dem Fragenden; sie athmete hoch auf und war der Verwirrung nicht völlig Meister, die über ihre Züge glitt.

„Wohl erinnere ich mich daran,“ sagte sie. „Warum fragt Ihr mich darnach?“

„Warum? Ha, weil ich halt ein gutherziger Narr bin,“ war Sepp’s Antwort. „Weil ich’s nicht über mich bringen kann, Jemand eine Bitt’ abzuschlagen, und weil ich das Herz aus dem Leibe hergäb’, wenn ich wem eine Freud’ machen könnt’. Mit Verlaub!“ setzte er hinzu, indem er neben dem Mädchen auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_465.JPG&oldid=- (Version vom 16.9.2018)