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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Koppe war, leitete das Theateragenturbüreau; er sollte mir ein Engagement für lyrische Tenorpartieen vermitteln. In derselben Etage, wo sich das Büreau des Herrn von Alvensleben befand, war auch die Buchdruckerei der Herren Sturm u. Koppe. Alles trug die Spuren der Druckerschwärze, selbst die Thür, die in das Heiligthum des Theatergeschäftsbüreaus führte. Auf derselben prangte in großen schwarzen Lettern: „Theatergeschäftsbüreau von Sturm u. Koppe“.

Nachdem ich durch einige Druckpapierballen, die ungenirt umherlagen, glücklich mich durchgewunden – ich war so unvorsichtig und leichtsinnig, ein weißes Beinkleid anzulegen, das, wäre es mit den Ballen in Berührung gekommen, zebraartig geworden wäre – zog ich vorsichtig meinen weißen Handschuh aus und klopfte leise an die Thüre des Büreaus. Ein sonores „Herein!“ tönte mir entgegen. Vor einem Pulte stand ein hagerer, noch junger Mann mit einem intelligenten Gesicht. Mit feiner Manier hieß er mich willkommen und fragte mich nach meinem Begehren. Der junge, liebenswürdige Mann war Herr von Alvensleben. Ganz ungenirt kippte er einen Stuhl um, auf dem ein Wust von Papieren, Büchern etc. lag, und lud mich zum Sitzen ein. Nachdem ich dem liebenswürdigen Agenten, an dem sich seine jetzigen Herren Collegen ein Beispiel nehmen können, wie man Engagement suchende Bühnenmitglieder zu behandeln und zu empfangen hat, mein Anliegen mitgetheilt, rief er sehr heiter aus. „Ah! Das paßt ja ganz vortrefflich. Der Graf Hahn, gegenwärtig in Altenburg, sucht einen lyrischen Tenor. – Sie haben, soviel ich weiß, dergleichen Partien inne, denn Sie sind in dem mir übersandten Repertoire verzeichnet. Hier liegt Contract, Vorschuß und Reisegeld zu Ihrer Disposition. Wollen Sie zum Grafen Hahn gehen? Die Gage ist nicht sonderlich; doch rathe ich, das Engagement zu acceptiren.“

Als Herr von Alvensleben den Grafen Hahn nannte, war mein Entschluß gefaßt. Ohne weiter den Contract einzusehen, unterschrieb ich denselben, quittirte Vorschuß und Reisegeld und empfahl mich dem liebenswürdigsten aller Theateragenten, die ich später zu meinem Schrecken von einer ganz anderen Seite kennen lernen sollte. –

Mit einem Vermögen von zwölf Thalern in der Tasche bestieg ich ein Lohnfuhrwerk, das mich à la Schnecke nach Altenburg beförderte, um mich allda vor dem Hôtel Gotha rippenerschüttert und todtmüde abzusetzen. Kaum graute der Morgen, so trieb mich die Ungeduld, den Grafen zu sehen, aus dem Bette. Im Zimmer stand ein Fortepiano; schnell öffnete ich es und sang zum Aerger der noch schlafenden Gäste meine Scala. Nachdem ich sorgsam Toilette gemacht, wanderte ich gegen neun Uhr Morgens dem herzoglichen Schlosse zu, welchem gegenüber Graf Hahn in einem Hôtel wohnen sollte.

Der zum Schlosse führenden Rampe gegenüber befand sich wohl eine Herberge, aber keineswegs ein Hôtel; so ärmlich schien mir das Haus, daß ich unmöglich annehmen konnte, daß der Mann, der über Paläste verfügen konnte, je darin wohnen könne. Es stieg in mir ein gelinder Zweifel auf, ob ich den Kellner der Stadt Gotha auch recht verstanden, als er mir die Wohnung des Grafen Hahn beschrieb. Es schien mir unmöglich, daß der Graf in einer solchen Spelunke hausen könnte; ich fragte daher ein Mädchen, das aus dem Thorweg jenes Hauses trat, ob hier der Graf Hahn wohne. „Graf Hahn?“ fragte das verwunderte Mädchen. „Ah, mein gutes Herrchen, Sie meenen wohl den alten Komödiantenherrn? Ja, mein Lieber, der wohnt auf Nummer 13, eine Treppe hoch links.“

Da stand ich wie erstarrt. Die ominöse Zahl 13 frappirte mich. Doch ich entschloß mich, meinem Geschick zu folgen, und erstieg muthig die wacklige, nicht sehr saubere Treppe, wo mir auf eine Thür gemalt, die 13 entgegenstarrte. Tiefathmend blieb ich ein Weilchen vor der Thür stehen, um mich einigermaßen von meinem Erstaunen zu erholen; dann erst klopfte ich leise, worauf sogleich ein à la Recitativ gesungenes „Herein!“ ertönte. Ich trat schüchtern ein. Eine imposante, hohe Gestalt, in einen alten sehr defecten Schlafrock gehüllt, tauchte aus einer ungeheuren Tabakswolke, die einem großen, rohen Meerschaumkopfe entquoll, vor mir auf und zeigte mir, gleichsam von Tabakswolken eingerahmt, den schönsten Kopf eines Greises, den ich je gesehen. Ein Kranz von lockigen, silberweißen Haaren umschloß bis zu den Schläfen den kahlen Schädel, auf dessen Stirn eine in die Höhe geschobene schwarze Hornbrille ruhte. Das Gesicht des Greises zeigte noch jugendliche Spuren; es war freundlich und rosig frisch; ein prachtvoller schneeweißer Schnurrbart zierte den intelligenten Mund. Jeder Flicken auf dem mit künstlerischer Gewandtheit drapirten Schlafrock dünke mir das Wappenschild eines alten Ritters. Jede Bewegung des alten Herrn war elegant, hocharistokratisch.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Zur „Auflösung der physiognomischen Aufgabe.“ (Mit Portrait. Seite 451.) Es freut uns, berichten zu können, daß auch diese physiognomische Aufgabe lebhaftes Interesse in allen Kreisen unserer Leser gefunden hat. Schon jetzt, wo erst die Hälfte der Auflage der Gartenlaube in den Händen der Besteller ist, beträgt die Zahl der Briefe, welche die Aufgabe zu lösen suchten, mehrere Hunderte; sie kann also noch bedeutend wachsen, ehe die vorliegende Nummer zu den Abnehmern gelangt ist. Die zwei Portraits aus früheren Jahren sind Meisterwerke des ausgezeichneten Künstlers A. Bürde in Berlin. An der Aehnlichkeit derselben mit ihrem Originale ist nicht im Geringsten zu zweifeln, und doch haben nicht wenige unserer Freunde durch unsere Fragestellung und Motivirung auf Seite 414 sich irre führen lassen und auf Krupp, Minister Falck und Andere gerathen. Eine Frau war es, die uns das Auskunftsmittel schrieb: man brauche mit den Fingern oder zwei Papierstreifen nur Haupt- und Barthaar des Portraits Nr. 2 zu bedecken, so trete die Auflösung unverkennbar von selbst heraus.


Schlegel oder Schopenhauer? Es giebt Persönlichkeiten, deren Charakterbild sich allmählich mit einem mythischen Legendenkreis umzieht. Eine solche scheint Arthur Schopenhauer zu sein. Schon in einem frühern Jahrgang der „Gartenlaube“ (1868, Nr. 35) wurde eine Anekdote erwähnt, die ebenso von Schopenhauer, wie von einem Capitain R. erzählt wird.

Kürzlich wurden nun in der Wiener „Deutschen Zeitung“ einige Briefe Schopenhauer’s veröffentlicht, und in der Einleitung erzählt der Herausgeber dieser Briefe, Dr. Karl Freiherr du Prel, Folgendes. „Schopenhauer sei ein Meister in der Erzählungskunst gewesen. Unter Anderm habe er irgend eine gewisse komische Geschichte gar trefflich und effectreich zu erzählen gewußt. Einer seiner täglichen Tischgenossen gerieth auf den sonderbaren Einfall, sich in den Besitz des Erzählungsrechtes jener Geschichte zu setzen. Eigenthümer einer irgendwie merkwürdigen Dose, welche Schopenhauer früher, jedoch vergeblich, zu erwerben getrachtet hatte, bot er nun dieselbe dem Philosophen gegen Abtretung des Erzählungsrechtes an. Der Tausch kam in’s Reine, und es währte nicht lange, so regte sich in dem Mann die Lust, von seinem erworbenen Recht Gebrauch zu machen. Aber dies geschah nicht nur insofern in der ungeschicktesten Weise, als er hierzu den passenden Anlaß nicht abwartete, und die Geschichte förmlich bei den Haaren herbeizog; sondern auch im Vortrag selbst gab er eine solche Unbeholfenheit kund, daß die Pointe der Erzählung ganz verloren ging und der Effect völlig abgeschwächt wurde. Unser Philosoph, schon bei den ersten Worten des Erzählers ärgerlich geworden, rückte im Verlauf derselben immer unruhiger auf seinem Stuhle hin und her, bis er schließlich, ehe noch der Andere ausgeredet hatte, mit Lebhaftigkeit in die Tasche fuhr und, hastig die Dose auf den Tisch setzend, unter allgemeinem Gelächter in die Worte ausbrach: ‚Da haben Sie Ihre Dose. Meine Geschichte will ich wieder haben.‘ Von dem Tage an trug Schopenhauer seine Erzählung wieder selbst vor, wenn sie dem Gespräch Würze zu geben vermochte. – Soweit Dr. du Prel. Nun vergleiche man damit: Auerbach, „Deutsche Abende“, neue Folge, S. 143, abgedruckt aus der „Gartenlaube“, 1860, wo ganz dieselbe Geschichte von den Brüdern Schlegel erzählt wird.

Sollte die Geschichte wirklich zweimal, zuerst den beiden Schlegel und dann Schopenhauer, so ganz in derselben Weise passirt sein?

R. Ph.

Wieder eine sprachliche Unart. Zu den in Nr. 1 und 3 der Gartenlaube gerügten falschen Ausdrucksweisen, die sich hier und da bereits eingebürgert haben, möchte auch die zu rechnen sein, daß das Particip des Passiv häufig in activer Bedeutung und mit einem näheren Objecte verbunden gebraucht wird. So liest man sehr oft in Zeitungsannoncen: „Das mich betroffene Unglück“ statt: „Das mich betroffen habende Unglück“, oder besser: „Das Unglück, welches mich betroffen hat“. In einer gewissen Zeitung las man kürzlich sogar: „Die Eigenthümer des die ‚Nordfleet‘ in den Grund gebohrten ‚Murillo‘ statt: „Die Eigenthümer des ‚Murillo‘, welcher die ‚Nordfleet‘ in den Grund gebohrt hat“: Sonst wäre ja der ‚Murillo‘ in den Grund gebohrt worden. Mit gleichem Rechte konnte man sagen: „Der den Knaben geschlagene Lehrer“, „Der den Bauer gestoßene Ochse“, etc. Da wäre ja aber der Lehrer der geschlagene, der Ochse der gestoßene, mit einem Worte: Das Particip des Passiv kann nie ein Object im Accusativ bei sich haben; das können nur die activen Formen des Zeitwortes. Somit ist auch die Redeweise: „Das mich betroffene Unglück“, welche namentlich ihrer Kürze wegen so Manchem plausibel erscheint, völlig falsch und unzulässig.

H. S.

Zur Beachtung. Den seit dem 1. Juli neu hinzugetretenen Abonnenten der Gartenlaube die Mittheilung, daß die Nummern 22–26, welche die Anfangs-Capitel der Herman Schmid’schen Novelle „Der Loder“ enthalten, gegen Vergütung von 7½ Ngr. zu ihrer Verfügung stehen.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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