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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


würde sein Verlangen am ersten gestillt. Allein er täuschte sich. Lange schon hatte sein Jugendgespiele, der inzwischen Großherzog von Mecklenburg-Schwerin geworden war, die von Tage zu Tage wachsende Leidenschaft des Grafen für die Bühne und die Opfer, die er derselben brachte, sehr mißbilligend bemerkt. Er erklärte dem Grafen rundheraus, es ferner nicht dulden zu wollen, daß ein Graf Hahn-Neuhaus, Landmarschall von Mecklenburg-Schwerin, auf seiner Hofbühne dem Theatermeister in’s Handwerk pfusche. Zugleich verbot er sämmtlichen Mitgliedern seines Hoftheaters bei Strafe der Entlassung, von dem Grafen Hahn Geschenke anzunehmen oder ihm Geld abzuborgen. Ueber diesen kategorischen Imperativ war Graf Hahn außer sich, doch konnte er dagegen nichts machen; er kannte den energischen Charakter seines Fürsten zu gut, um nicht zu wissen, daß er von Dem, was er einmal beschlossen, nie abging.

An einem Orte zu leben, wo es ein Theater gab, und mit demselben nicht verkehren zu dürfen, war für den Grafen Hahn ein Ding der Unmöglichkeit. Augenblicklich erbat er sich vom Großherzog einen unbestimmten Urlaub. Die Antwort auf sein Gesuch war kurz und bündig: „Graf Hahn mag gehen und fortbleiben, so lange er will. Franz.“

Nun waren die Fesseln der Convenienz gefallen. Graf Hahn war frei, ungebunden. Schnell reiste er nach Altona, wo das dortige Stadttheater von einem Doctor Albrecht geleitet wurde. Dort angelangt, ergötzte sich unser Graf nach Herzenslust; hier konnte der Großherzog von Schwerin seinem Landmarschall nicht verbieten, mit Schauspielern und Schauspielerinnen zu verkehren, ihnen Präsente zu machen und sich nach Herzenslust anpumpen zu lassen. Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Der Oberpräsident von Holstein, Graf Blücher, legte auf Veranlassung des Großherzogs von Schwerin dem Grafen Hahn das Handwerk, indem er bei Entziehung der Concession dem Director Albrecht verbot, den Grafen Hahn die Bühne betreten zu lassen. Darüber empört, verließ Graf Hahn Altona und trat im Jahre 1813 in russische Dienste. Als Adjutant des Generals Tettenborn zog er mit diesem 1814 in Hamburg ein.

Zu dieser Zeit war Altona mit Truppen der Verbündeten außerordentlich gefüllt, so daß sich der Graf Blücher veranlaßt sah, die durch den Tod ihres Directors Albrecht verwaiste Truppe zu bestimmen, für eigene Rechnung in Altona theatralische Vorstellungen zu geben. Die kleine Künstlerrepublik kam dem Wunsche des Oberpräsidenten nach und stand sich sehr gut dabei. Das Theater war Abend für Abend überfüllt. Und dennoch drohte dem Unternehmen ein schnelles Ende. Intriguen aller Art verursachten in der Leitung des Ganzen eine chaotische Verwirrung. Jeder wollte herrschen, befehlen, anordnen. Den Ruin vor Augen sehend, wählte das Künstlervölkchen sich aus seiner Mitte einen Director, dem es das Steuer des lecken Schiffes anvertraute. Der Gewählte war ein Schauspieler Ruhland. Als Graf Hahn dies vernommen, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als seinen Abschied zu nehmen, nach Altona zu eilen und sich dem neuen Director unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit als stiller Teilnehmer bei seinem Unternehmen anzubieten. Ruhland, der es voraussah, daß seine Directionsführung über kurz oder lang dennoch aus dem Leime gehen würde, wenn er sie selbstständig und allein fortführe, fand sich durch das Anerbieten des Grafen sehr geehrt und nahm dasselbe sofort an. Er ging auf alle Bedingungen, die ihm sein erlauchter Compagnon stellte, ein, die so ziemlich alle darin gipfelten, daß er sich um das Cassenwesen, der Graf aber unbeschränkt sich um die artistische Leitung des Unternehmens zu bekümmern habe.

Jetzt begann für das Altonaer Stadttheater eine Periode, die es wohl nie wieder erleben wird. Graf Hahn war nun in seinem Elemente. Die besten Künstler und Künstlerinnen von Ruf ließ er in Altona gastiren oder engagirte sie sogar mit großen Gagen. Eine kostbare Garderobe wurde nagelneu angefertigt. Von dem berühmten Decorationsmaler Qualio, der gerade zur Zeit in Hamburg war, ließ er die schönsten Decorationen malen, die allgemeine Bewunderung erregten, entführte seinem Großherzoge das ganze damals sehr berühmte Balletpersonal und brachte so den Altonaern wie den Hamburgern den ersten Begriff von einem Ballete bei. Auch das Orchester verstärkte er bedeutend und stellte an dessen Spitze den vortrefflichen Musikdirector Suck; kurz, wo er seine Prunk- und Verschwendungssucht walten lassen konnte, geschah es in reichem Maße.

Das Stadttheater in Hamburg vermochte mit dem Altonaer nicht zu rivalisiren. Altona sah eine Sophie Schröder in all’ ihren Glanzrollen und hörte den berühmten Tenor Gärstecker in seiner Blüthezeit. Jede damals lebende Bühnengröße Deutschlands veranlaßte Graf Hahn gegen große Honorare in Altona zu gastiren. Das Altonaer Publicum, an eine solche Pracht nicht gewöhnt, wurde verblüfft und stutzig; es fühlte sich nicht mehr behaglich in seinem Theater und ließ es nach und nach leer, wenn der Graf seine Prachtstücke und seinen Zauberspectakel losließ. Hamburg hätte wer weiß was darum gegeben, wären solche Opern und solche Pracht entwickelnde Spectakelstücke unter den damaligen Verhältnissen zu ermöglichen gewesen. Die Altonaer besuchten ihr Theater nur dann, wenn das Repertoire desselben sogenannte Rührstücke, wie „Menschenhaß und Reue“, „Das Kind der Liebe“, „Johanna von Montsaucon“ brachte. Ganz besonders machte damals der Klingemann’sche „Faust“ in Altona Furore. Dieses Schauder- und Zauberstück gab dem Grafen Gelegenheit, seinen ganzen Zauberapparat und Teufelsspectakel auf das Glänzendste loszulassen. Feuerregen, bengalische Flammen, Teufelsfratzen und Teufelslärmen wurde angebracht, wo es nur im Geringsten zu motiviren war. Innig vergnügt und munter tummelte Graf Hahn bei diesem Stücke sein Steckenpferd. Er nahm dem Stücke den einfachen Titel „Faust“ und nannte es auf seinem Theaterzettel bombastisch „Doctor Faust’s Thaten und Höllenfahrt“. Darob ergrimmte der Dr. Klingemann ganz gewaltig, schrieb dem Grafen einen groben Brief, worin er verlangte, sein Stück unter dem einfachen Titel „Faust“ in Scene gehen zu sehen. Graf Hahn antwortete dem wuthschnaubenden Dichter:

„Ihr Titel ‚Faust‘ behagt mir nicht; der meinige – zieht besser. Sie haben Ihr Honorar; ich habe Ihr Stück. Kaufen Sie sich für Ihr Honorar, was Sie wollen. Ich mache mit meinem Stück, was ich will.“

Die Altonaer Theaterherrlichkeit nahm ein sehr trauriges Ende. Der Herr Director Ruhland hielt es für angemessen, sich mit der Casse, ohne seinem erlauchten Compagnon Lebewohl zu sagen, aus dem Dunstkreise seiner vielen Gläubiger zurückzuziehen, und überließ es dem hochherzigen kunstliebenden Grafen, den Mitgliedern die letzte Monatsgage zu zahlen, die er, obgleich in Casse, zu anderen Zwecken zu verwenden gedachte.

Nach dieser so traurigen Katastrophe kehrte der Graf nach Schwerin zurück, um dem Großherzoge ein „pater peccavi“ zuzurufen. Der Großherzog empfing den Grafen Hahn sehr gnädig und erlaubte ihm sogar ganz nach Behagen sein Steckenpferd zu reiten, weil er einsah, daß es eine Unmöglichkeit sei, den Grafen von seiner Theaterleidenschaft zu heilen. In Schwerin selbst mußte sich der Graf doch einigermaßen Zwang anthun. Kaum aber tauchte irgendwo in der Nähe eine Schauspielertruppe auf, flugs war der Herr Landmarschall von Mecklenburg-Schwerin verschwunden, um mit dem Völkchen herumzigeunern zu können. Machte solche Truppe Schulden, so bezahlte er sie großmüthig; dafür hatte er dann das Recht, die Bühne aufschlagen zu dürfen, auf derselben zu hämmern und Decorationen zu befestigen, Abends die Schauspieler und Schauspielerinnen zu costümiren, zu schminken etc. Trat Ebbe in die Casse des Herrn Theaterprincipals, so brachte der Graf die Fluth hinein; konnte er es nicht, so sang er dem trauernden Director mit der heitersten Miene aus der Zauberflöte vor: „Ich kann nichts thun als Euch beklagen, weil ich zu schwach zu helfen bin.“

So trieb es dieser originelle Kunstmäcen bis zum Jahre 1835. Ruhelos wanderte er von Ort zu Ort, um Direction zu führen. Zu dieser Zeit war es mir vergönnt, diesen so seltenen Mann als hochbetagten Greis von Angesicht zu Angesicht zu sehen und kennen zu lernen. Sein Erscheinen wird mir zeitlebens unvergeßlich bleiben. An einem heiteren Septembermorgen des Jahres 1835 wanderte ich, von Mannheim kommend, wo ich meine Gesangsstudien bei Friedrich Diez gemacht, in Leipzig ein. Kaum hatte ich mich ein wenig restaurirt und etwas Toilette gemacht, so suchte ich das Hotel de Bavière auf, in welchem sich hinten auf dem Hofe, zwei Treppen hoch, das damals einzig existirende Theateragenturbüreau befand. Ein Herr von Alvensleben, der auch zugleich Redacteur der Theaterchronik von Sturm und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_461.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)