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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ungeheuren Reichthums. Sein Vater besaß zur Zeit seiner Geburt neunundneunzig Rittergüter in Mecklenburg-Schwerin, war demnach der größte Grundbesitzer des nördlichen Deutschlands.

Das zarte Alter des keinen Grafen hütete eine sogenannte Bonne bis zu seinem achten Jahre, dann aber schickte ihn sein Herr Papa nach Stockholm zu einem Onkel, der dort ein Regiment commandirte, um ihn den Pagen des Königs Gustav des Dritten einzureihen. Die Prachtliebe und der hohe Kunstsinn des Schwedenkönigs legten die ersten Keime zu der nachherigen überschwenglichen Pracht- und Theaterliebe in die Seele des kleinen Grafen; gar oft sprach er als hochbetagter Greis mit jugendlichem Feuer von jener Zeit, die er als Kind in Stockholm verlebt hatte. Oft erzählte er uns von den prachtvollen Ausstattungen der Opern und Ballets, welchen er damals mit beigewohnt. Ganz deutlich erinnerte er sich jener Ballnacht im Opernhause, wo König Gustav der Dritte durch die Hand Ankarström’s fiel. Ich werde später Gelegenheit finden, den Grafen selbst jene so verhängnißvolle Katastrophe erzählen zu lassen.

Nach dem Tode des Königs Gustav des Dritten wurde der junge Graf von seinem Vater nach Schloß Remplin zurückgerufen, um unter Obhut eines Hofmeisters an den Hof nach Schwerin zu gehen, wo er später mit dem jungen Erbgroßherzog Franz innig befreundet wurde. In Schwerin erhielt der kleine Cavalier von seinem Vater einen förmlichen Hofstaat, um es womöglich dem jungen Erbgroßherzog gleich zu thun. Der damals erst zehnjährige Knabe hatte Jäger, Bediente, die kostbarsten Pferde und Equipagen zu seiner Disposition. Nebenbei erhielt der kleine Graf Hahn von seinem Herrn Papa ein sehr bedeutendes Taschengeld, das wohl mit dazu beitrug, daß er nie den Werth des Geldes zu schätzen verstand. Schon damals gab er davon ein eclatantes Beispiel.

Einst spielte er mit dem jungen Erbgroßherzog auf dem heiligen Damm bei Doberan am Strande der Ostsee das sogenannte Wasserhüpfen, indem die munteren Knaben die spiegelglatte Oberfläche der See mit eigens dazu ausgesuchten flachen Steinen bewarfen. Als der kleine Erbgroßherzog gewahrte, daß die Würfe seines Freundes besser gelangen als die seinigen, sagte er zu seinem Freund: „Karl, wie machst Du’s, daß Deine Steine viel öfter aufschlagen und weiter hüpfen als die meinen?“ „Ja,“ antwortete der kleine Hahn, „ich werfe nicht wie Du mit Steinen, sondern mit Dritteln.“[1]

Im Jahre 1799 lebte Graf Hahn mit einem älteren Bruder längere Zeit in Hamburg, wo eine französische Schauspielertruppe, die im Apollotheater auf der großen Drehbahn Vorstellungen gab, seine höchste Aufmerksamkeit erregte. Eben so interessierte das Stadttheater unter Schröder’s Leitung ihn ausnehmend.

Drei Jahre später finden wir den theaterliebenden Grafen als flotten Studenten auf der Universität Greifswalde, um allda Cameralia zu studiren. Dort beschäftigte er sich mehr mit der damals in Greifswalde spielenden Klos’schen Schauspielertruppe, als mit dem Studium. Klos benutzte die Schwäche des jungen Grafen, indem er von demselben bedeutende Summen lieh, die er mit schwarzer Kreide in den Schornstein schrieb.

Durch rasch hintereinander folgende Todesfälle in seiner Familie gelangte Graf Hahn 1803, in seinem kaum vollendeten einundzwanzigsten Jahre in den Vollbesitz eines kolossalen Vermögens, über welches ihm jedoch schon nach fünf Jahren, seiner ungeheuren Verschwendungssucht wegen, auf Antrag seiner Verwandten, die freie Disposition entzogen wurde. Man setzte ihm eine Jahresrente von achttausend Thalern aus.

Aus jener Zeit, wo dem Grafen Hahn vergönnt war über sein Vermögen frei zu disponiren, erzählt man sich die unerhörtesten Dinge von seiner maßlosen Verschwendung. So ließ er zum Beispiel in seinem Schlosse Remplin ein Theater bauen, das nahe an 60,000 Thaler gekostet haben soll. Als die Königin Louise von Preußen im Jahre 1805 ihre hohen Verwandten in Mecklenburg-Strelitz besuchte, führte sie ihr Weg über Remplin. Der galante junge Graf ließ es sich nicht nehmen, die vom Volke fast angebetete Fürstin auf seinem Grund und Boden mit wahrhaft königlichen Ehren zu empfangen. Die große Allee, die zum Schlosse führte, krönte eine Ehrenpforte, die durch die kostbarsten und seltensten Gewächse geschmückt war. Die Königin weilte bis zur einbrechenden Nacht in Remplin. Kaum hatte die eintretende Dunkelheit den mächtigen Park des Schlosses nach und nach in Nacht gehüllt, so ließ der Graf der Königin zu Ehren ein prachtvolles Feuerwerk abbrennen. Die hohe Frau nahm dasselbe von einem Zelte aus in Augenschein, das zu diesem Zwecke aus den kostbarsten orientalischen Stoffen in der Mitte des Parks errichtet war.

Als das Feuerwerk beendet, erhob sich die Königin, um in der bereits harrenden Equipage ihre Reise fortzusetzen. Galant bot Graf Hahn der wunderbar schönen, gefeierten Frau den Arm, um sie durch den Park zum Wagen zu geleiten. Kaum hatte die Königin die Allee betreten, die zum Ausgang führte, so verbreitete sich über den ganzen Park ein heller Feuerschein. Erschrocken blickte sich die Fürstin um und sah zu ihrem Schrecken das kostbare Zelt in hellen Flammen stehen. Graf Hahn, der das Erstaunen der hohen Frau sofort bemerkte, sagte mit ritterlicher Galanterie, indem er sich tief verneigte: „Nach Preußens angebeteter Monarchin soll kein Sterblicher mehr unter diesem Zelte weilen.“

Nicht sehr lange nach dieser theuren Brandstiftung gastirte Iffland, damals Generaldirector der königlichen Bühnen in Berlin, auf besonderen Wunsch des Großherzogs in Schwerin. Es versteht sich von selbst, daß Graf Hahn keinen Augenblick säumte nach Schwerin zu reisen, um den Darstellungen des berühmten Mimen beizuwohnen. Er war entzückt von der eminenten Künstlerschaft Iffland’s und ruhte nicht eher, bis Iffland ihm das Versprechen gab, auf seinem Schloßtheater zu spielen. Nach drei Wochen erschien der große Künstler wirklich als Gast des überglücklichen Grafen in Remplin. Der Graf schwamm in einem Meere von Seligkeit, und Iffland war entzückt über seine Aufnahme; er ließ es sich gefallen, dem Verlangen des Grafen nachzukommen, in Kotzebue’s Ritterkomödie „Die Kreuzfahrer“ den Balduin von Eichenhorst zu spielen. Graf Hahn selbst spielte den Emir. Die übrigen Rollen waren durch die Noblesse der Nachbarschaft vertreten, so daß Iffland sich in der ausgewähltesten Gesellschaft auf der Bühne befand.

Das Publicum, welches das Ritterstück mit anschauen sollte, war durchaus nicht so exclusiv, wie die Darsteller desselben. Die ersten Plätze im Theater waren der Noblesse vorbehalten, die übrigen – nahm eine sehr gemischte Gesellschaft ein. Kurz vor Beginn der Vorstellung trat Graf Hahn im kostbaren Costüm des Emirs auf die Bühne. Mit Kennerauge überflog er das Arrangement der Decorationen und versicherte sich, daß sämmtliche Requisiten vorhanden wären. Da bemerkte er, als er durch das Loch im Vorhange sah, daß die ganze Galerie unbesetzt geblieben. Sofort befahl er seinen Bedienten, die schon als Knappen und Türken costümiert waren, die vor dem Theater gaffenden Bauern in aller Eile auf die Galerie zu treiben. „Schafft mir die Tölpel in’s Theater! Iffland soll nicht bei mir vor leerem Hause spielen. Und daß mir die Lümmel tüchtig in die groben Hände schlagen, wenn Herr Iffland auf die Bühne kommt! Einer von Euch giebt den Tölpeln das Zeichen, wenn Herr Iffland auftritt!“

Nachdem er diesen Befehl ertheilt und noch einmal auf der Bühne eine strenge Musterung gehalten, führte er seinen gefeierten Gast in die Garderobe. Bei seinem Eintritt bemerkt Iffland auf einem sogenannten Garderobeständer eine prachtvolle, vollständige Ritterrüstung von gediegenem Silber. Erstaunt fragt der Künstler den vor Wonne strahlenden Grafen: „Soll ich in dieser kostbaren Rüstung den Balduin spielen?“ Indem er sich vor dem Künstler tief verneigt, erwidert der Graf: „Der König der Schauspielkunst möge diese Waffen als sein Eigen betrachten und solche auch zu anderen Rollen anlegen!“ Iffland verweilte, vom Grafen hochgefeiert, volle drei Wochen in Remplin; dann ließ der Graf mit den schönsten Pferden seines Marstalls ihm bis Berlin Relais legen. Als nun Iffland in Berlin anlangte, übergab ihm der Kutscher einen Brief des Grafen, der die Bitte enthielt: Wagen und Pferde als sein Eigen zu betrachten.

Nachdem ein Iffland auf seiner Schloßbühne gespielt, war Alles für den Grafen fader Dilettantenkram. Verstimmt rief er: „All’ die Herren Grafen, Barone und Baronessen, die Komödie spielen wollen, haben nicht den geringsten Schauspielerpli; sie sind steif wie die Latten und zieren sich. Von nun an will ich mit wirklichen Schauspielern und Schauspielerinnen von Fach verkehren.“ Diesem Entschlusse folgte die That.

Schnell reiste er nach Schwerin; denn dort, glaubte er,

  1. Zwanzig Silbergroschen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_460.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)