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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


quinto duodecimo die Octobris obiit Agnes Bernauerin. Requiescat in pace. (Im Jahre des Herrn 1435 am 12. Oct. starb Agnes Bernauer. Sie ruhe in Frieden.)

Wenn nun auch das geschichtliche Bild der Bernauerin in wesentlichen Punkten von der hergebrachten Auffassung abweicht, unsere volle Theilnahme darf die Unglückliche schon um ihres grausamen unverdienten Endes willen in Anspruch nehmen. Die Geschichtsschreiber haben es versäumt, über die Eigenschaften ihres Geistes und Herzens Nachricht zu geben. Eines Lobes voll sind sie dagegen über ihre körperliche Schönheit. Man wußte nicht, was man mehr an ihr bewundern sollte, den hohen Liebreiz ihrer ganzen Erscheinung, das vollendete Ebenmaß ihres Körperbaues oder die zarte Feinheit ihres Antlitzes. Eine Fülle goldglänzenden Haares wallte ihr fast bis zu den Füßen herab. Daß diesen äußeren Vorzügen auch der innere Gehalt entsprach, dürfen wir daraus abnehmen, daß es ihr gelang, den gefeierten jungen Herzog mehrere Jahre auf’s Engste an sich zu fesseln. Ein idealer Heroismus – wenn wir anders der Angabe des Benedictiners Sender Glauben beimessen dürfen – liegt darin, daß sie, im Angesicht des Todes aufgefordert, sich durch Verzichtleistung auf Albrecht zu retten, den Tod in den Wellen einem Leben ohne den Geliebten vorzog.

Härter dagegen muß sich das Urtheil über Albrecht gestalten. Daß die Ermordung der Jugendgeliebten ihn zur blinden, Alles zerstörenden Raserei fortriß, dürfen wir ihm allerdings bei der ausgesprochenen Leidenschaftlichkeit seines Charakters nicht allzuhoch anrechnen; wohl aber muß es befremden, daß er, im geraden Gegensatz zu seiner bisherigen Handlungsweise, noch vor Jahresfrist die Heirath mit Anna von Braunschweig einging. Uebereinstimmend melden uns die Geschichtsschreiber seine stark ausgeprägte Neigung zum schönen Geschlecht. Schon vor der Verbindung mir Agnes hatte ihn Elisabeth von Würtemberg ausgeschlagen, „weil ihr zu Ohren gekommen, daß er ein allzu großer Weiberfreund sei“. Noch in seinen späteren Jahren finden wir ihn in mannigfache Liebesverhältnisse verstrickt. So lange er jung war, konnte er das Urtheil über seine Person durch eine Reihe ihm zu Gebote stehender ritterlicher Künste und Vorzüge irre führen; als diese mehr und mehr schwanden, traten die schweren Gebrechen seines Charakters unverhüllt zu Tage. Wir dürfen daher nicht verwundert sein, wenn wir ihn später ganz in den Händen der Pfaffen finden. Von heftigem Podagra gequält, suchte er in der Stiftung von Kirchen und Klöstern, in der Aufrechthaltung strengster kirchlicher Zucht und Moralität, in der Verfolgung und Austreibung der in seinem Lande zahlreich angesiedelten Juden Ersatz für sein verlornes Leben.

Agnes Bernauer aber lebte im Munde des Volkes fort. Schon bald nach ihrem Tode entstanden Lieder, die ihre Liebe und ihr grausames Ende besangen. Wie das Rechtsgefühl des gemeinen Mannes auch heute noch bei der alten Geschichte erregt zu werden vermag, hat Fr. von Kobell in seinen oberbaierischen Gedichten drastisch geschildert. Von den zahlreichen dramatischen Bearbeitungen will ich hier nur auf die drei jüngsten von Melchior Meyr, Fr. Hebbel und Otto Ludwig aufmerksam machen. Am längsten und eingehendsten beschäftigte sich der Letztgenannte mit der Gestalt der Bernauerin. In vier vollständigen Tragödien und zwei Fragmenten suchte er den spröden Stoff dichterisch zu bewältigen. Sein eigenes Verhältniß zu der Gestalt der unglücklichen Frau hat er in ergreifender Weise in einem Liede ausgesprochen, das aus seinem Nachlaß in dem Album „Deutsche Kunst in Bild und Schrift“ veröffentlicht worden ist.

Achivar Dr. Chr. Meyer.




Felix Mendelsohn-Bartholdy im Flügelkleide.


„Die Stätte, die ein edler Mensch betrat, sie ist geweiht für alle Zeiten,“ und auf der Stätte, welche ausgezeichneten Menschen in den Herzen geweiht ist, blühen immer neue Blumen der Poesie auf. Je mehr das Nivelliren des Verehrungswürdigen, der Nihilismus der Jetztzeit um sich greift, desto mehr muß man die Verehrung großer Männer, edler Charaktere, erhabener Geister festhalten und fördern. Sie ist der Urquell der nachfolgenden Begeisterung, jenes Idealismus der Jugend, dem zu allen Zeiten die Erhebung zum Wahren, Guten und Schönen heiliger Beruf war, und der vorzüglich im deutschen Volke stets anregend, positiv und productiv geblieben ist.

Einer der productivsten deutschen Idealisten und einer der edelsten Künstler war Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schlagen nicht noch jetzt bei der Nennung dieses Namens viele Herzen, denen er ewig theuer, höher? Wirken nicht noch jetzt seine herrlichen Tonschöpfungen echte Andacht als Weiheklänge, die jeden Mißton aus der Seele bannen? Werden nicht noch jetzt seine Oratorien mit demselben frischen Eifer geübt und gesungen, als würden sie noch von ihm selbst dirigirt? Was war es nur, das dem Einzigen, dem wirklich glücklichen, also eigentlichen Felix so unvergänglichen Reiz verlieh? Wie bei Gesangsvorträgen ein gemüthvoller Sänger mit einem herzigen, schlichten Liede eindringlicher wirkt, als der anspruchsvolle Virtuos mit großen Arien, so muß auch der deutsche Componist, der das deutsche Wesen in der Innerlichkeit und Keuschheit der Empfindung erkannte und ausprägte, der Liebling aller wahren Verehrer deutscher Kunst bleiben. Wohl sind vor und nach Mendelssohn genialere Tonschöpfer hervorgetreten. Es hat zum Beispiel Robert Schumann eine Fülle poetischen Tiefsinns, wonniger Gluth und geistreich charakteristischer Reize in seinen Compositionen geboten, wie sie vorher und nachher keinem Componisten erreichbar war. Richard Wagner hat mit seinen prunkhaften Schöpfungen alles Dagewesene überboten. Sein Makart’sches Colorit, der Pomp seiner Instrumentation, seine leidenschaftliche Gluth, die dämonische Ekstase fanatischer Einseitigkeit reißt Alles mit sich fort und berauscht die Köpfe, während das Herz leer ausgeht. Was Mendelssohn nie erstrebte, das verblendete Anstaunen, die Vergötterung Derer, die berauscht sein wollen, – sie hätte ihm niemals genügen können, denn er rang nach höheren Preisen und erreichte tiefere, nachhaltigere Erfolge.

Der in seiner Vielseitigkeit bewunderungswürdige, aber stets sich selbst getreue Mendelssohn wurde der liebreiche und geliebte Pflegevater einer ganzen Künstlergeneration von der gediegensten und edelsten Richtung. Mag die pietätlose Menge ihre Götzen umtaumeln, der Friede dieses Heiligthums bleibt davon unberührt und wird es ferner bleiben.

Gewährt es dem Musikkenner und Kunstfreunde große Genugthuung, sich das Gesammtbild des Componisten und Künstlers Mendelssohn zu vergegenwärtigen, so gehört dazu das liebenswürdige Bild des edeln Menschen, das mehr noch als sein Künstlerruhm eine wahre Herzensfreude bereitet. Die schöne Harmonie dieses kurzen, aber segensreichen Menschenlebens muß Jeden mit jener Weihestimmung erfüllen, die der gedankenvollen Einsamkeit so hohen Reiz verleiht. Von wenigen Künstlern sind uns so reichhaltige Documente oder selbstbiographische Reliquien überliefert worden, als von Mendelssohn. Seine allbekannten Briefe werden gewiß von Unzähligen wieder und wieder durchgelesen. Stets von Neuem erbaut man sich an dem schmucklosen, aber warmen Ausdrucke seiner Gefühle und Gedanken. Sind in diesen Briefen auch manche gleichgültige Dinge enthalten, manche bedeutungsarme Momente seines Lebens wiedergegeben, so ist wohl in allen Briefsammlungen dergleichen zu finden. Mendelssohn pflegte nicht, wie manche selbstbewußtere Künstler, schon von Unsterblichkeitsgefühls in Briefen zu orakeln, sondern gab sich stets in voller Wahrheit und Natürlichkeit. So sind seine Briefe reizvolle Zeichnungen von Stimmungen, die nur für die Nächsten, nicht für das große Publicum bestimmt waren, ohne Phrasenaufputz und ebenso naiv, wie die Federzeichnung der Schweizerlandschaften, die er, sich selbst belächelnd, in Mußestunden producirte. Den pietätvollen Lesern dieser Briefe können wir nun eine Art Vorspiel dazu, das zur Vervollständigung des geliebten Bildes beitragen kann, in einem noch nicht veröffentlichten Jugendbriefe Mendelssohn’s, der viele Jahre lang als theures Andenken verborgen gehalten wurde, darbieten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_457.JPG&oldid=- (Version vom 19.9.2018)