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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


innerhalb dessen möglicher Weise die Verbindung zwischen Albrecht und Agnes angeknüpft worden ist, kein Turnier in Augsburg abgehalten wurde. Noch weniger Glauben verdient die andere Angabe, Herzog Albrecht habe die Bekanntschaft der Bernauer bei einem Tanzfest gemacht, das man ihm zu Ehren veranstaltet. Wer auch nur einen oberflächlichen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse des fünfzehnten Jahrhunderts gewonnen hat, weiß, daß eine Baderstochter oder gar eine Magd keinen Zutritt zu den Festlichkeiten des Stadtadels hatte. Die Bader zählten zudem zu den verachteten Gewerben; so sehr sich unsere Altväter die Pflege und Reinigung ihres Körpers angelegen sein ließen, so glaubten sie doch diejenigen verachten zu müssen, welche diesem Geschäfte gewerbsmäßig oblagen. Die Badstuben wurden daher fast nur von Fremden besucht, während die Bürger meist eigene Badstübchen in ihren Häusern hatten. Jene öffentlichen Bäder vertraten im Mittelalter die Stelle unserer heutigen Kaffeehäuser. Auch Herzog Albrecht mag öfters von der benachbarten Grenzstadt Friedberg aus nach Augsburg gekommen sein und hier nach der Sitte der Zeit die Badstuben besucht haben. Wenn also Agnes Bernauer eine Bademagd war – und darauf deutet eine Stelle bei einem der hervorragendsten bairischen Chronisten hin – so hat meine Vermuthung, Agnes habe die Bekanntschaft des Herzogs in dem Hause ihres Dienstherrn gemacht, jedenfalls mehr Wahrscheinlichkeit für sich, als die traditionelle Auffassung, welche die Anfänge des Liebesverhältnisses in die Geschlechterstube der Augsburger Patrizier verlegt.

Hält man nun fest, daß die Stellung der Bernauer vor ihrer Verbindung mit Herzog Albrecht eine sehr untergeordnete war, so wird man auch gerechte Zweifel an der traditionell angenommenen Ehe der Beiden hegen müssen. Die Quellen sprechen sich über die Art der zwischen ihnen eingegangenen Verbindung nicht mit der nöthigen Klarheit aus. Die bairischen Chronisten bezeichnen Agnes durchgehends nur als Geliebte des Herzog; die Augsburger hingegen schweigen entweder über diesen Punkt, oder bekennen sich als nicht genügend unterrichtet. So schreibt der Benedictinermönch Clemens Sender, der bedeutendste unter den späteren Chronikenschreibern: „Hertzog Albrecht von Bayern zu München hat aines Baders tochter mit namen Agnes, ain fast schönes mensch, aufs höchst lieb gehabt, also daß man sagt, der Hertzog hatte sie zu der ee genommen und die ee versprochen, aber doch nit zur Kirchen gefiert.“

Meine Ansicht geht dahin, daß das Verhältniß zwischen Albrecht und Agnes über eine Liebschaft gewöhnlichen Schlags hinausgegangen ist, ohne daß man jedoch sofort an eine heimliche Ehe denken darf. Hätte diese stattgehabt, so würde Albrecht nicht unterlassen haben, nach der Aussöhnung mit seinem Vater auf dem Grabdenkmale der Gemordeten dieses ehrende Beiwort zu geben, wie dies beispielsweise Erzherzog Ferdinand seiner Gemahlin Philippine auf dem Grabmonumente in der Innsbrucker Hofkirche gegeben hat. Jedenfalls aber war das Band so fest, daß sich Albrecht an der Eingehung einer standesmäßigen Ehe hindern ließ. Zum Unglück für Agnes war er der einzige Sohn seines Vaters, dem Alles daran gelegen sein mußte, die oberbairischen Lande seiner Linie zu erhalten. Zwar lebte noch ein Bruderssohn des alten Herzogs; allein derselbe war so kränklich, daß man an seinem Aufkommen zweifelte. So lange der Vater glauben konnte, daß das Verhältniß zwischen Albrecht und Agnes eine gewöhnliche Liebeständelei sei, ließ er Beide ruhig gewähren. Im fünfzehnten Jahrhundert war man in derlei Dingen viel weniger rigoros als heutzutage. Sobald Herzog Ernst, der selbst außer der Ehe drei Kinder auszustatten gehabt hatte, wahrnehmen mußte, daß der Sohn, von heftiger Leidenschaft geblendet, seinen Standespflichten nachzukommen sich weigere, mußte die der Dynastie und dem Lande drohende Gefahr jede andere Rücksicht verstummen machen. Vorerst machte Herzog Ernst noch den Versuch, auf die Eitelkeit und den Ehrgeiz seines Sohnes zu wirken. Auf einem Turnier zu Regensburg ließ er Albrecht auf schmähliche Weise von den Turnierschranken zurückweisen, weil diese einem Ritter, der in den Armen seiner „Buhldirne“ seiner Ehrenpflichten vergäße, verschlossen bleiben müßten. Die Wirkung dieser Behandlung war jedoch eine der Absicht des alten Herzogs schnurstracks entgegengesetzte. Wuthentbrannt verläßt Albrecht Regensburg, eilt nach Schloß Vohburg, wo er Agnes geborgen hatte, und bringt sie, da er vielleicht schon jetzt Gewaltthätigkeiten des Vaters fürchtet, nach dem festen Straubing an der Donau. Hier umgiebt er sie mit fürstlichem Gepränge, hält ihr einen Hofstaat und läßt sie als Herzogin von Baiern ehren. Nun kennt auch der Zorn Herzog Ernst’s keine Grenze mehr. Eine Abwesenheit des Sohnes benutzend, eilt er nach Straubing, bemächtigt sich des Schlosses, in dem Agnes Hof hält, und läßt dieselbe gefangen setzen.

Näheres über die gegen die Unglückliche jedenfalls in sehr summarischer Weise geführte Untersuchung ist uns nicht überliefert; aus einem später von Herzog Ernst an Kaiser Sigismund gerichteten Briefe erfahren wir jedoch, daß sie der Zauberei angeklagt wurde. Das Urtheil der willfährigen Richter lautete auf Tod durch Ertränken. Es war dies während des ganzen Mittelalters die bei Frauen angewandte Hinrichtungsart. Die Hinrichtung wird von den Chronisten mit seltener Uebereinstimmung geschildert. Von der Donaubrücke in den reißenden Strom hinuntergestürzt, gelang es der Unglücklichen, den einen Fuß aus den Banden loszumachen, an das Ufer zu schwimmen und mit vor Angst erstickter Stimme um Hülfe zu rufen. Da ergriff der Henker, den Zorn des alten Herzogs fürchtend, eine Stange, umwickelte damit ihr langes, goldglänzendes Haar und stieß sie in die Fluthen zurück.

Als Albrecht zurückkam, war sein Schmerz grenzenlos; wütend schwur er, das unschuldige Opfer an seinem Vater, an dessen Rathgebern und Helfershelfern zu rächen. Sofort verband er sich mit Herzog Ludwig von Ingolstadt, dem alten Feinde seines Vaters, zu gemeinsamer, offener Fehde. Vergebens waren Ernst’s Mahnungen und Bitten, vergebens die Vorstellungen des Markgrafen Friedrich von Brandenburg und des Pfalzgrafen Johann. Im Frühjahr 1436 fiel Albrecht in das Gebiet seines Vaters ein, plünderte Städte und Dörfer, führte die Einwohner in die Gefangenschaft weg und zündete die verlassenen Wohnstätten an. In seiner Verzweiflung wandte sich Herzog Ernst an Kaiser Sigismund und beschwor ihn, den Rasenden zu beschwichtigen. Agnes wäre ein böses Weib gewesen – so sucht er die grausame Tödtung zu entschuldigen – so hart und streng gegen Albrecht, daß es sich mit Worten nicht aussprechen lasse. Seit drei Jahren habe er keinen fröhlichen Tag gehabt. Auch habe er erfahren, daß sie damit umgegangen, seinen Bruderssohn mit Gift aus dem Wege zu räumen. Da sie nun, obgleich öfters angegangen, von Albrecht nicht abgelassen, habe er sie ersäufen lassen.

Aber erst den Mahnungen des Baseler Concils gelang es, den Sohn versöhnlich zu stimmen. Am 17. Juli 1436 machten Vater und Sohn Frieden. Zur Sühne seiner Handlung stiftete der erstere in einer von ihm auf dem Kirchhof zu St. Peter in Straubing eigens erbauten Capelle der Gemordeten eine tägliche Messe und einen ewigen Jahrestag. Agnes selbst hatte noch bei Lebzeiten gewünscht, im Kloster der Carmeliterinnen beigesetzt zu werden. Vorläufig stiftete Albrecht auch an dieser Stelle Messe und Jahrestag; im Jahre 1447 sodann, am Agnesen-Tag, ließ er ihre Gebeine aus dem St. Peters-Friedhof erheben und zu den Carmeliterinnen überführen. Es geht dies mit Sicherheit auch daraus hervor, daß man, als auf Veranlassung der kurbaierischen Akademie im Jahre 1785 der Grabstein in der Friedhofcapelle vom Fußboden weg in die Mauer eingefügt wurde, nicht die mindeste Spur eines Sarges oder andere Ueberreste fand. Dieser Grabstein gehört daher der Zeit von 1436 bis 1447 an, innerhalb deren Agnes Bernauer in der Capelle zu St. Peter begraben war. Wahrscheinlich ist er auf Veranlassung Herzog Ernst’s gefertigt worden, der damit die grausame Tödtung sühnen zu können glaubte. Diese versöhnliche Stimmung zeigt sich auch in der Behandlung des Costümes und mehrerer anderer Beigaben. Das Haupt der Todten ruht auf einem Kissen; milder Friede lagert sich über das Antlitz, das einer Schlafenden mehr als einer Todten anzugehören scheint. Ein kostbarer Schleier, der nach der Sitte der damaligen Zeit nur Frauen vornehmen Standes zukam, umhüllt züchtig Kopf und Hals; ein langer, mit Hermelin ausgeschlagener Mantel wallt zu den Füßen herab, an denen ein Hund und eine Eidechse, die Sinnbilder häuslicher Treue und Geselligkeit, angebracht sind. Die Umschrift des Steines meldet einfach Jahr und Tag des Todes nebst dem Namen der Entschlafenen: anno domini millesimo quadrigentesimo tricesimo

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_456.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)