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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Menge von Logen gestiftet, die sich dann wieder in den einzelnen Ländern zu einer unabhängigen Stellung erhoben und eigene Großlogen bildeten.

Kunstgeheimnisse konnten nun allerdings die auf diese Weise umgewandelten Freimaurer keine mehr haben; aber es war damals eine Zeit, in welcher, wenn auch die Religionskriege vorüber waren, confessionelle Engherzigkeit bei Katholiken und Protestanten regierte und die Juden sowohl als christliche Secten und einzelne Freidenker verfolgt wurden. Eine Gesellschaft nun, welche auf dogmatische Spitzfindigkeiten keine Rücksicht nahm und allgemeine Toleranz verfocht, mußte vorsichtig zu Werke gehen, um nicht selbst verfolgt oder gar mit Gewalt aufgelöst zu werden. In der That haben trotz dieser Vorsicht zwei Päpste des achtzehnten und einer des neunzehnten Jahrhunderts, der Letztere (der noch lebende Pius der Neunte) sogar mehrere Male, die Freimaurer mit dem Bannfluch belegt und mit der ewigen Höllenstrafe bedroht und sie sowohl als ihre Freunde und Anhänger feierlich excommunicirt. In Spanien und Portugal hat die Inquisition bis auf die neueste Zeit die Bundesbrüder in ihre Kerker geworfen, auf die Galeeren gesandt, ja Mehrere sogar unter dem Schwerte verbluten lassen. Mit diesen rückschrittlichen Verfolgungen wetteiferte auf der andern Seite die Schreckenszeit der französischen Revolution und in neuester Zeit der Pöbel in den Vereinigten Staaten Nordamerikas unter dem Vorwande, daß die Demokratie keine Geheimnisse dulde.

Die Geheimnisse der Freimaurer waren aber stets und sind noch sehr harmloser Art. Kein Freimaurer erfährt, wie man Gold macht, Schätze findet, in den Sternen liest, die Quadratur des Kreises löst, das Leben verlängert, die Träume deutet, Geister citirt etc., dies Alles so wenig, als irgend etwas Anderes, was Uneingeweihte nicht ebenfalls wissen oder wissen können. Jeder seine Nebenmenschen liebende und nach dem Guten, Wahren und Schönen strebende Weltbürger weiß, was die Freimaurer wissen, nur theilweise unter anderen Namen und Redeweisen. Alle eigenthümlichen Formen und Redeweisen der Freimaurer aber bestehen lediglich in Anwendung der Bilder vom Bauen und Richten auf das moralische und geistige Leben. Weder die Geschichte, noch die Organisation, noch die Tendenzen der Freimaurerei sind ein Geheimniß; geheim gehalten werden nur ihre Formen, was deshalb nothwendig ist, damit mittelst derselben von Seite Unberufener kein Mißbrauch getrieben werde.

Diese Formen sind in ihrer ursprünglichen, einfachsten Gestalt von den Steinmetzenbrüderschaften in den Freimaurerbund übergegangen, aber in diesem letzteren mit der Zeit vielfach vermehrt und ausgeschmückt worden. In jedem Lande sind sie daher anders, und es giebt sogar in einzelnen, selbst kleinen Ländern mehrere „Systeme“, welche unter sich in den Formen abweichen. Solche eigenthümlichen Gebräuche finden bei Eröffnung und Schluß der Logen, bei Aufnahme der Lehrlinge und bei der Beförderung zu Gesellen und Meistern statt. Die Eröffnungs- und Schlußformen bestehen meist nur in passenden Sprüchen und Reden, wie dies noch gegenwärtig bei mehreren Handwerkergilden vorkommt, die Formen der Aufnahme und Beförderung in feierlicher Einführung des Candidaten in die Versammlung und in Ablegung eines Gelübdes von Seite des Letzteren, ein treues Bundesmitglied zu bleiben und seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.

Was man oft von furchtbaren Eiden bei dieser Gelegenheit erzählt, und von grausamer Bestrafung der Verletzung dieses Eides, sind entweder lächerliche Fabeln oder Mißverstand der bisweilen pompösen, aber harmlos gemeinten Ausdrücke des Gelübdes. Mit den freimaurerischen Gebräuchen werden in Logenversammlungen auch wissenschaftliche und künstlerische (musikalische) Vorträge verbunden, welche die Brüder in ihren guten Vorsätzen zu bestärken bestimmt sind. Zu den Formen gehören schließlich die Erkennungszeichen, welche für jeden der allgemein anerkannten drei Grade (Lehrling, Gesell, Meister) verschieden sind und in einem Worte, einem Zeichen und einer besondern Art des Händedrucks bestehen.

Wie die Formen, so weichen auch die Ansichten über den Zweck des Bundes und über die Mittel, denselben zu erreichen, in den verschiedenen Theilen der Maurerei sehr voneinander ab. Im Allgemeinen und nach den ältesten Urkunden soll der Zweck der sein, im Schooße der Menschheit die religiösen und nationalen Besonderheiten dem allgemeinen Gefühle der Menschenliebe und Humanität unterzuordnen. Es ist klar, daß hierdurch jede confessionelle und staatliche Engherzigkeit ausgeschlossen wird, und daher werden auch alle religiösen und politischen Debatten im Freimaurerbunde grundsätzlich nicht geduldet. Die Feinde des Bundes wittern oft, daß die hervorragenden Führer der religiösen und politischen, ja sogar socialen Fortschrittsparteien Freimaurer seien, und daß daher der Bund einen mächtigen Einfluß auf die Tagesereignisse ausübe. Es ist Dies durchaus nicht der Fall. Die Freimaurer sind vielmehr meist sehr ruhige Leute, und es ist uns unter ihnen gegenwärtig kein hervorragender Bewegungsmann bekannt.

Es kann indeß nicht geleugnet werden, daß die Tendenzen der Freimaurerei ziemlich vag sind, und daß daher den einzelnen Organen des Bundes ein ziemlich weiter Spielraum zur Verfolgung derselben offen steht. Im Ganzen kann gesagt werden, daß gegenwärtig in den meisten Freimaurerkreisen thatsächlich das einzige Mittel zur Erreichung der Bundeszwecke die praktische Wohlthätigkeit ist. Dieselbe wird aber bekanntlich auch von unzähligen anderen Vereinen und von Privaten geübt, welche nicht Freimaurer sind, so daß factisch der Bund sich von anderen in ähnlicher Weise strebenden Menschen nur noch durch seine hergebrachten Formen unterscheidet.

Man könnte nun glauben, gerade weil sich der Unterschied zwischen der Freimaurerei und der übrigen gebildeten und nach Höherem strebenden Menschheit nur auf Formen bezieht, sei die erstere überflüssig geworden, und in der That, wie die Radicalen sagen, ein überwundener Standpunkt. Dem stehen aber Thatsachen entgegen, und zwar sehr gewichtige: einmal die überraschendste fortwährende Verbreitung der Freimaurerei noch in unseren Tagen und ihr Ansehen in hohen, maßgebenden Kreisen, und zweitens ein in ihrem Schooße erwachendes neues thatkräftiges Leben. Die Freimaurerei ist gegenwärtig über die gesammte Erde verbreitet; ohne einheitlich organisiert zu sein, ohne gemeinsame Oberhäupter oder gar, wie man gefabelt hat, unbekannte Obere zu besitzen, hat sie ihre Pflanzschulen in sämmtlichen Ländern der fünf Erdtheile. Verboten ist sie zur Zeit nur noch im russischen Reiche und in – Deutsch-Oesterreich (in Ungarn nicht)!

Es giebt gegen hundert Großlogen, gegen zehntausend Logen, und jedenfalls über eine Million Freimaurer. Sobald in unseren Tagen Italien frei wurde, entstanden sofort Logen in Menge, und jenes Land mag solcher jetzt nahe an zweihundert zählen. Dasselbe war nach Einführung der neuen Verfassung in Ungarn der Fall, dasselbe nach der Vertreibung Isabella’s aus Spanien. Und seitdem das deutsche Reich entstanden, bilden die acht deutschen Großlogen einen festen Bund unter dem Schutze des Kaisers Wilhelm, welcher, ebenso wie sein Sohn, der vielgeliebte Kronprinz, schon seit längerer Zeit Freimaurer ist. In den drei Königreichen Schweden, Dänemark und der Niederlande ist der König selbst Großmeister. In England gehört der Prinz von Wales mit dem höchsten Adel dem Bunde an. Von vielen bedeutenden Staatsmännern, Kriegsführern, Gelehrten und Künstlern verschiedener Nationen ist dies ebenfalls zu sagen.

Das Land, in welchem gegenwärtig für neue Belebung des allerdings einige Zeit in Unthätigkeit versunken gewesenen Freimaurerbundes das Meiste und Zweckmäßigste geschieht, ist Deutschland, wo dies allerdings noth that; denn hier war der Bund bis vor verhältnißmäßig kurzer Zeit mehr zersplittert und mehr von oben herab bevormundet, als anderswo. In neuester Zeit ist hiergegen rege Opposition entstanden, welche sich in der maurerischen Presse geltend macht. Zwei Zeitschriften: die von Zille gegründete „Freimaurerzeitung“, namentlich aber die Findel’sche „Bauhütte“ vertreten die Freimaurerei in der Presse, außerdem hat sich noch ein besonderer „Verein deutscher Maurer“ gebildet, an dessen Spitze ebenfalls Findel steht. Diese Organe der reformatorisch gesinnten Freimaurerei sind seit mehr als zwölf Jahren rastlos thätig gewesen, im Sinne des Fortschritts und der wahren Humanität auf Abschaffung aller veralteten Reste unberechtigter Anschauungen, Einrichtungen und Gewohnheiten und auf Nutzbarmachung der im Bunde vorhandenen Kräfte zum Besten der Menschheit anregend und fördernd einzuwirken, und zugleich eine wahre, von allen im Laufe der Zeit eingeschlichenen Fabeln gereinigte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_453.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)