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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

die entstellenden Kleider abzulegen und sie mit der wenigstens gefälligeren Tracht der Städterinnen zu vertauschen. Und wie schon jetzt zahlreiche Männer doppelte Kleidung besitzen, Sonntags und in der Stadt städtisch, zu Hause und auf dem Felde dagegen bäurisch gekleidet sind, wie von der Männertracht Kappe, Weiße und Hütchen, von der weiblichen zum Beispiel der festliche, mit Scharlachtuch gefütterte Mantel, der Schleier und der den poetischen Namen „Saumagen“ tragende Kopfputz bereits verschwunden sind, so wird überhaupt die Zahl Derer, welche sich bäurisch kleiden, von Jahr zu Jahr geringer, und es erscheint als nicht ganz unmöglich, daß einmal in fernen Tagen die ganze Nationaltracht der Altenburger Bauern dahin gehen werde, von wannen sie niemals wiederkehrt.

Ebenso wie von der Tracht, hat sich auch von den mancherlei eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen des Bauernstandes der größte Theil verloren; in dieser Hinsicht besonders fordert die Zeit fast jährlich ihre zahlreichen Opfer. Wenig ist noch übrig geblieben, und dieses Wenige ist nicht besonders interessant und derartig mit modernen Elementen versetzt, den modernen Formen so angepaßt, daß es seine Ursprünglichkeit fast ganz eingebüßt hat. Diese althergebrachten Sitten bezogen sich hauptsächlich auf die festlichen Ereignisse des Familienlebens; Taufe, Verlobung, Hochzeitsfest und Begräbniß waren ihr Gegenstand. Am merkwürdigsten waren sie bei den Hochzeitsfesten und haben sich auch hier noch verhältnißmäßig am meisten erhalten. Das Interessanteste ist das Institut der Hormtjungfern oder „Hormtmeede“ (Mägde, Maide). Bei Hochzeiten und Gevatterschaften trugen nämlich die Jungfrauen eine sonderbare Kopfbedeckung, das Hormt. Es ist dies ein Kopfputz in Form einer runden Schachtel, innen und außen mit rothem Damaste oder Sammt überzogen. Um das Hormt herum gehen dreizehn silberne Bleche oder Tafeln und auf jeder derselben stehen drei Reihen erhabener Knöpfe, gleichfalls von Silber. Rund herum hängen an Henkeln silberne, stark vergoldete Schildchen, kleinen Kirschblättern ähnlich, welche im Sonnenschein hell glänzen und bei jeder Bewegung des Kopfes schellenartig ertönen. Hinten am Hormte befinden sich zwei Zöpfe, jetzt aus Werg geflochten, mit buntem Bande umwunden und in einem Halbkreise über dem Hormt gebogen. Zwischen den beiden Zöpfen sitzt ein Kränzchen von Silberlahn und rings um das Hormt hängen breite, buntfarbige Bänder, welche unter dem Kinn in eine große Schleife gebunden werden und so den Kopfputz überhaupt festhalten. Früher begleiteten bei größeren Bauernhochzeiten wohl zwanzig bis dreißig solcher Hormtjungfern die Braut zur Trauung oder bei dem Auszug oder Einzug zu Wagen. Jetzt ist diese Sitte verschwunden und das Hormt, von denen manches einen Werth von über hundert Thalern hat, ruht unbenutzt als altes Familienerbstück nur noch in den Truhen und Schränken der Großmutter.

Dagegen ist der Charakter des Altenburger Bauern bis heute sich ziemlich gleich geblieben und zeigt sich noch jetzt in manchen Eigenthümlichkeiten. Besonders hat sich bis auf unsere Tage der mit großer Zähigkeit festgehaltene Unterschied zwischen dem Bauer und dem Städter oder Bürger und das enge, geschlossene Zusammenhalten der Bauern unter sich erhalten. Noch heute besteht für den Bauer ein scharfer Gegensatz zwischen ihm und dem Stadtpublicum; er schließt sich gegen dasselbe ab, mißtraut ihm wohl auch nicht selten; selbst das Bauermädchen knüpft nicht so leicht ein Liebesverhältniß mit einem Städter an, und Verheirathungen des Bauern mit einer Städterin und umgekehrt gehören zu den Ausnahmefällen. Auch untereinander herrscht strenger Unterschied der Vermögensclassen; der Anspanner, der sein Gut mit zwei, vier, sechs und mehr Pferden bewirthschaftet, verkehrt nicht gern auf freundschaftlichem Fuße mit dem Handgutsbesitzer oder Kuhbauer, dieser wieder nicht gern mit dem bloßen Häusler, der kein Gut besitzt. Doch das sind kleine Schwächen, denen eine große Reihe guter Eigenschaften gegenübersteht. Intelligenz, Fleiß und Sparsamkeit sind durchgehends bei dem Bauernstande zu finden; Solidität zeichnet ihn vortheilhaft in seinen Geschäften aus; ein schlagfertiger Mutterwitz ist ihm gegeben, und als Landwirth steht er überall in hohem Ansehen.

Ein Hauptvergnügen des Altenburger Bauern ist das Spiel, hauptsächlich das Scatspiel, dessen Erfindung mit Recht dem Bauern zugeschrieben wird. In ihm ist er anerkannter Meister; er spielt es ruhig und gewandt, am liebsten um einen nicht zu geringen Preis, weil er meint, daß ein solcher die Aufmerksamkeit der Spielenden anspanne. Seine Verluste trägt er mit großer Ruhe und ohne Leidenschaftlichkeit. Neben dem Scat ist wohl auch noch das „Tippen“, eine Art Hazardspiel, beliebt, und an den Roßmärkten in Altenburg wurde und wird wohl auch noch lebhaft und hoch gespielt.

Die Hauptfeste des Bauern sind, außer zahlreichen Schmäusen, das Erntefest und die Dorfkirmeß oder Kirmse. Letztere, welche in den Monat November fällt, dauert in sämmtlichen Dörfern drei Wochen lang. Die Dörfer sind in dieser Hinsicht in drei Bezirke, die sogenannten Reiten, getheilt, so daß jede der drei Wochen in einer Anzahl von Dörfern Kirmse ist. Die einzelne Kirmse in jedem Dorfe dauert fast die ganze Woche hindurch; Essen, Trinken und Tanz sind die Vergnügungen der Kirmse, welche auch zahlreich von dem Publicum aus der Stadt besucht wird. Diesem gehört der Nachmittag; sobald es aber dunkelt, verschwinden die modernen Trachten der Städter, und der Tanzsaal füllt sich mit den Burschen und Mädchen des Dorfes, welche sich nun, Erstere meist in den blanken Hemdärmeln und die Mütze auf dem Kopfe, Letztere in der Festkleidung mit den saubersten weißen Strümpfen, in munterem Tanze drehen. Dabei wird durchgehends, besonders von dem weiblichen Geschlechte, sehr gut und zierlich getanzt, wenn auch nur Polka, Schottisch und Galopp, da die engen Röcke es den Mädchen geradezu unmöglich machen, Walzer zu tanzen. Den alten Nationaltanz, den sogenannten „Rumpuff“, mit einer einförmigen Melodie kennt man jetzt höchstens noch dem Namen nach. Auch in den größeren Tanzsälen der Residenz werden im Winter öfters zahlreich besuchte Bauernbälle abgehalten, auf denen die Eigenart des Bauers deutlich hervortritt.

Eine letzte, nicht zu vergessende Eigenthümlichkeit ist die Sprache der Bauern. Obwohl dieselbe unzweifelhaft eine Abart des sächsischen Dialektes ist, so hat sie doch vieles ihr völlig Eigene und sie von allen Idiomen der Umgegend Unterscheidende. Sie ist kräftig, derb und naiv, und ihre Ausdrücke beleidigen öfters das gebildete Ohr des Hochdeutschen. Trotzdem muß man ihr doch auf der andern Seite nachrühmen, daß sie, herangebildet im Kreise des ländlichen Berufs, sich mit Traulichkeit an die Erscheinungen des dörflichen Lebens anschmiegt. Freilich klingt sie dem Ohr des Nichteinheimischen wie die Sprache irgend eines wilden Völkerstammes, und auch der Eingeweihtere wird bisweilen rathlos vor manchem ihrer Ausdrücke stehen. Zu den größten Merkwürdigkeiten in dieser Beziehung gehören besonders die Namen der heimischen Ortschaften, mit denen der Bauer in der wunderlichsten Weise verfährt. So nennt er zum Beispiel die Dörfer Monstab „Musch’pch“, Dobraschütz „Dubschtz“, Brökau „Brieke“, Bornshain „Börnse“, Loitschütz „Lühtzsch“, und aus dem Namen des Dörfchens Heiligenleichnam machte er gar das Wort „Hellechen“. Und würde nicht der Fremde, welcher von einem Manne sagen hörte, das sei aber ein „gemeener“ Mann, sicher dies für einen schweren Tadel halten, während es umgekehrt nur so viel bedeutet, als es sei ein freundlicher, leutseliger Mann?[1] Ebenso seltsam ist der Umstand, daß der Bauer, will er von etwas sagen, daß es ganz besonders schön sei, sich des Wortes „häßlich schiene“ bedient.

Und doch eignet sich die Bauernsprache vermöge ihrer ausgebildeten Hinneigung zum Wirklichen vortrefflich zur Erzählung, auch zu der in poetischer Form, von Witzen und Schnurren, sowie zu kräftigen Darstellungen aus dem ländlichen und Familienleben, und Mancher, der sich durch längeren Verkehr die Rede- und Anschauungsweise der Bauern vertraut gemacht hat, versteht mit einer Erzählung in ihrer Mundart die fröhlichste Heiterkeit zu erregen. Das beste Zeichen für ihre Lebensfähigkeit aber ist es, daß sie, wie manch anderes, ausgebildeteres Idiom, auch ihren Volksdichter gefunden hat.

Auf ihn, den am 19. März 1854 zu Zwickau verstorbenen Pfarrer Friedrich Ullrich und dessen „Volksklänge in Altenburger Mundart“, deren zweite Auflage 1861 in Zwickau erschienen ist und die sich innerhalb der Kreise ihrer Heimath

  1. Ist überhaupt in volksthümlicher Redeweise und darum in vielen deutschen Mundarten der Fall; in einigen oberdeutschen Mundarten bedeutet auch „niederträchtig“ so viel als herablassend.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_444.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)