Seite:Die Gartenlaube (1873) 437.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und durch riesige Dampfhebelkräfte für die gestaltende Hand des Meisters und seiner Gesellen immer an die geeigneten Stellen gehoben. So konnten etwa zwei und eine halbe Million Cubikfuß oder drei Millionen Centner riesige Steinquadern zu diesem Muster der Baukunst mit mehr als hundert einzelnen Abtheilungen, d. h. Sälen, Auditorien und Zimmern geschichtet und gedichtet werden. Und was für Auditorien und Säle! Man denke nur, daß sie von neunzehn bis zu fünfunddreißig Fuß Höhe und entsprechender Breite und Tiefe zu haben sind. Für sonstige musterhafte Solidität sorgen dreihundertsechszigtausend Centner Guß- und Schmiedeeisen, welche theils als Säulen, theils als Röhren, Bogen und Bindebalken angebracht sind.

Eine ungefähre Vorstellung von den Haupträumlichkeiten geben die Bibliothek, von hundertneunundzwanzig Fuß Länge und sechszig Fuß Breite, und die Centralhalle, welche ziemlich ebenso lang, dafür aber zehn Fuß breiter ist. Selbst die kleinsten Auditorien haben noch eine Länge von dreißig und eine Breite von mehr als zwanzig Fuß. Diese Angaben machen auf uns wenigstens den richtigen Eindruck von Herz und Sinn erweiternder Geräumigkeit, und wenn wir uns noch hinzudenken, daß durch ungefähr fünfzigtausend Geviertfuß von Fenstern das reichlichste Licht und durch den Ventilationsathmungsproceß ununterbrochen so viel reinste Luft aus der Höhe eindringt, daß Niemand die von einem Andern ausgeathmete Luft wieder für seine Lunge einzuziehen braucht, so werden wir zugeben, daß wir es hier mit einem Muster- und Meisterwerk für gemeinsame Cultur- und Wissenschaftszwecke zu thun haben. Solche Muster sollten für uns um so anregender sein, als es unseren öffentlichen Gebäuden und Versammlungstempeln aller Art noch fast durchweg an nur erträglichen Ventilationseinrichtungen fehlt, so daß die Leute aus Concerten, Theatern, Speise-, Trink- und Vergnügungslocalen immer schon deshalb mindestens mit Verstimmung und Kopfschmerz heimkehren, weil sie sich durch Athmung vergifteten. Vielleicht ist die Scharrath’sche Porenventilation, welche der Erfinder nach jahrelangen Opfern und Aergernissen wenigstens an einigen öffentlichen und Staatsgebäuden anbringen durfte, noch bestimmt und berufen, eine neue Aera in gesundheitlicher Baukunst zu begründen; für ganz große öffentliche Institute und monumentale Bauten ist aber dieses in der Glasgower Universität unter der Leitung des deutschen Ingenieurs W. Conradi zum ersten Male so großartig und segensreich durchgeführte System wegen der Sicherheit und Beständigkeit immerwährend zugfreier und frischer Zufuhr von erwärmter Luft im Winter und kühler im Sommer ebenfalls auf das Angelegentlichste zu empfehlen. Wie schon erwähnt, wollen zwei berühmte Professoren Berlins für ihre Auditorien und Laboratorien dieses System in Anwendung bringen lassen und traten zu diesem Zwecke mit W. Conradi in Verbindung. Hoffentlich ist inzwischen etwas daraus geworden, so daß wir annehmen dürfen, die gesundheitliche Baukunst werde auch in Deutschland durch erprobte Ventilationseinrichtungen endlich Eingang finden und Fortschritte machen. Freilich, leicht ist’s immer noch nicht, weil dazu höhere wissenschaftliche Baumeister und zugleich anständige, gebildete Bauspeculanten gehören.

H. Beta.




Persische Diamanten im Taunusbade.


Die Diamanten des Schahs. – Bei Krupp und komischer Einzug in Wiesbaden. – Zwei Berliner Donnen. – Lebensweise des Schahs und seiner Begleiter. – Generalingenieur Gasteyer und seine Enthüllungen. – Hauptzweck der Reise des Schahs. – Die persischen Großen im Bade. – Des Schahs Lieblingsroß. – Sitzt er, so stehen sie; steht er, so sitzen sie. – Officielles und improvisirtes Concert. – Mauvais portrtait! – Taschenspielerei. – Der Schah als freigebiger Gabenspender.


Nur das Außergewöhnliche, was die Fremde auf deutschen Boden sendet, ist heute noch im Stande, Aufsehen zu erregen. Eine japanesische Gesandtschaft erobert sich allenfalls wohl noch ein Plätzchen in der Tagesliteratur; um nachhaltigen Effect zu machen, bedarf es den Werth eines Königreichs in Diamanten, wenn diese auch als Sinnbild der Thränen eines halbverhungerten Landes gelten können.

Wie spurlos würde der vielbesprochene Schah von Persien auf deutschem Boden verschwunden sein, wenn nicht sein zusammengesparter, von Herrscher auf Herrscher vererbter Diamantenschmuck den nöthigen Effect hervorgebracht haben würde! Seine sonstigen Eigenschaften haben weder Hervorragendes noch Bewundernswerthes erkennen lassen. Sein ganzes Wesen war das eines schläfrigen, eigenwilligen, wenig gebildeten Despoten. So zeigte er sich in Petersburg; so zeigte er sich noch mehr in Berlin. Seine selbst nicht durch persische Sitten entschuldigte Indolenz entbehrte nicht nur der Liebenswürdigkeit, sondern auch der Originalität.

In Berlin wußte man ohne Zweifel nicht mehr, was mit dem Schahyczschah anzufangen sei; man sann daher darauf, ihn auf gute Manier loszuwerden; gleichzeitig trachtete man auch wohl, jene königlichen Gemächer wieder zu säubern, welche sein Gefolge – verpersert. In England war sein Empfang noch nicht vorbereitet; in Brüssel verzichtete man gern auf seine sonnenherrliche Gegenwart oder suchte dieselbe doch auf die kürzeste Frist zu beschränken, und so sandte man ihn nach Wiesbaden – vielleicht auch mit dem zarten Nebengedanken, es könne ihm und seinen Begleitern eine kleine curgemäße, also gründliche Abwaschung nur förderlich sein. Nun, die Stadt kann mit diesem Besuche zufrieden sein – er hat einen so großen Menschenzufluß zuwege gebracht, daß die vorhandenen Säle und Gartenanlagen sich, so ausgedehnt sie auch sind, als zu klein erwiesen.

Ueber Essen zur Besichtigung der Krupp’schen Eisenwerke geleitet, traf Nassr-Eddin in Wiesbaden an einem der letzten Sonntage ein. Wenn man glauben sollte, der Schah und sein Gefolge habe eine Studienreise unternommen, um sich und ihr Land durch Erfahrungen zu bereichern, so dürfte dieser äußerst flüchtige Besuch der Krupp’schen Werke leicht das Gegentheil bezeugen. Mit wenig Interesse und noch weniger Behagen sahen sich die persischen Granden die bedeutenden Etablissements unseres Kanonenkönigs im Fluge an. Imponiren konnte ihnen nur das Massige, das Riesenhammerwerk und die größten der fertigen Geschütze, und auch dies nur, weil sie augenscheinlich sich keine genügende Erklärung über die gewaltigen Kräfte geben konnten, welche hier in Bewegung gesetzt werden, um Außergewöhnliches zu schaffen.

Der Verfasser Dieses hat Gelegenheit gehabt, den Schah und die Seinigen in verschiedenen Situationen sehr genau zu beobachten, und er giebt vielleicht durch diesen Umstand manche Notizen in dem Nachfolgenden, welche sich andernfalls der Mittheilung entziehen würden.

Bedauern muß er zunächst die preußischen Officiere, welche zum Ehrendienst des Diamantenherrschers beordert waren. Ein launischerer Patron – mit allem Respect vor seiner Sonnenhoheit – ist wohl nicht leicht aufzutreiben. Einzelne Details lassen an seinem offenen Kopfe zweifeln, obwohl seine Begleitung hierin anderer Ansicht ist. Dagegen sind seine Minister mit wenigen Ausnahmen gebildete, wenn auch nicht europäisch fein auftretende, so doch manierliche Leute. Die meisten derselben sind in Paris, London oder Wien erzogen. Einige – der erste Leibarzt ist ein Engländer, der zweite ein Franzose, einer der Generale ein Oesterreicher – verleugnen ihre Abstammung nur wenig, wenngleich ihnen auch schon manches Persische anhängt. Wie sollte dies auch anders sein? Böse Gesellschaft verdirbt ja die besten Sitten. Unwahr aber ist es, daß die Herren des höhern Gefolges mit den Fingern essen. Sie bedienen sich wie wir der Messer und Gabeln und der Serviette in manierlicher Weise. Die Berliner Zeitungen haben sich hier viele Uebertreibungen zu Schulden kommen lassen oder doch nur den Troß im Auge gehabt. Bei vielen Personen des niedrigen Gefolges ist allerdings das echt persische Insectenpulver recht von Nöthen. Vorsorglich hatte man deshalb auch in Wiesbaden ausgeliehenes und nicht königliches Bettwerk dem vorhandenen substituiert. Der Rest – die niedrigste Dienerschaft – ist Schweigen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_437.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)