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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Himmel heraufbeschworen. Wäre seine Frau eine echte Abessinierin gewesen, sie würde sich wahrscheinlich in das Unvermeidliche gefügt haben; denn die Abessinier, obgleich Christen, sind doch sehr lax in ihren Ehebegriffen, und jede Abessinierin weiß, daß sie ihren Mann nicht für sich allein zu besitzen hoffen darf. Indeß seine Frau hatte im elterlichen Hause andere Begriffe empfangen und sie wollte es nicht dulden, daß man ihr Nebenbuhlerinnen gab. Sie ließ also ihrem Gatten die Wahl zwischen ihr und den andern, und da dieser undankbar genug war, die Vielheit der Einheit vorzuziehen, so schied sie sich von ihm, kehrte zu ihrem Vater zurück und, wie ich höre, soll sie jetzt schon an einen Andern verheirathet sein; eine echt abessinische Weise, Rache zu nehmen.

Nach dem Abzug der Gattin ließ Aba Kaissi völlig seinen Neigungen den Zügel schießen. Das Leben im Regierungshause wurde nun noch viel toller. In Saus und Braus, in steter ausgelassener Lustigkeit vergingen die Tage. Die Abessinier befanden sich sehr wohl dabei und wünschten nichts Besseres, als die stete Fortdauer dieses Jubels. Nur Einer fühlte sich nicht von diesem Schlaraffenleben befriedigt. Dieser Eine war Niemand anders, als Aba Kaissi selbst. So lange ihm dieses Leben neu war (und in seiner früheren Laufbahn hatte er niemals ähnliche Mußestunden feiern können), so lange hatte es einen Reiz auf ihn ausgeübt. Aber der echte Abenteurer vermag keine Ruhe zu ertragen. Lieber im Feld mit einem Stück trockenen Brod, das er sich noch dazu mit seinen Waffen erkämpfen muß, als üppig leben in der Stadt und nichts thun und keine Abenteuer bestehen. Ein Freund aus Massaua schrieb mir über Aba Kaissi’s Zustand, nachdem derselbe einige Monate in der Stadt gelebt hatte:

„Der Mann ist ganz melancholisch geworden. Er kann das civilisirte Leben offenbar nicht vertragen. Ihm, der acht Jahre in der Wildniß zugebracht hat, ist die Zimmerluft tödtlich, die Stadt viel zu enge. Tage lang sitzt er auf der Dachterrasse, schaut sehnsüchtig nach dem Festland (Massaua ist eine Insel), nach den Bergen Abessiniens und wünscht sich zurück in seine frühere aufregende Thätigkeit. Seine größte Klage ist die, daß er hier keine Beschäftigung in seinem Fache findet.“

Diese Klage lautet etwas naiv. Allerdings ist es schwer, einem Menschen, dessen Fach das Rebellenthum und der Raub ist, in einer wohlregierten Stadt „Beschäftigung in diesem Fache“ zu geben. Umsonst suchte man ihm vorzustellen, daß in dieser Beziehung das „Recht zur Arbeit“ nicht gelte. Er sehnte sich fort und plante und plante so lange, bis er endlich Mittel und Wege fand, zu entfliehen, denn freiwillig hätte die ägyptische Regierung diese Landesgeißel nicht wieder losgelassen. Indeß Aba Kaissi hielt seine Absicht vor der Regierung geheim. Als er diese daher eines Tages ersuchen ließ, ihm die Erlaubniß zu einer Spazierfahrt auf dem Meere, die er seiner Gesundheit wegen machen müsse, zu ertheilen, so gestattete man es ihm ohne Arges zu fürchten, besonders da die Schiffer in Massaua von der Behörde beeidigt und ganz in ihren Händen sind. Aber kaum auf offenem Meere, zwang er die Schiffer, ihre Richtung zu wechseln und ihn an einer unbesetzten Stelle der Küste zu landen. Er hatte nur einige Männer bei sich, aber entschlossene Kerle, und nebenbei gute Waffen und Munition, womit er sich so ganz in der Stille in Massaua versorgt hatte.

Kaum hatte man die Kunde von der Flucht des Räuberfürsten in der Stadt vernommen, als auch sehr kurze Zeit darauf schon die ersten Nachrichten von der wieder aufgenommenen „Beschäftigung in seinem Fache“ einliefen. Der erste Streich, von dem man Kunde erhielt, war spaßhaft. Dieser bestand nämlich darin, daß er einen Engländer, wie es hieß – beerbt hatte. Letzterer hatte einen längeren Jagdzug in’s Innere unternommen, sich aber dabei mit der seinen Landsleuten eigenen Nichtbeachtung des Klimas (was in England geht, das muß auch überall gehen) der tropischen Mittagssonne unvorsichtig ausgesetzt, und war am Sonnenstich gestorben. Die zahlreichen Effecten, die er bei sich gehabt, sollten nun nach Massaua zurückbefördert werden. Da kam aber Aba Kaissi herbei, wählte sich aus der „Erbschaft“ das, was ihm am besten gefiel, nämlich die Waffen, Munition und die geistigen Getränke, aus, und nahm sie mit sich. Das Andere, das heißt viele Conserven von Lebensmitteln, die der Europäer zwar sehr theuer bezahlt, aber der Abessinier gar nicht zu schätzen weiß, die Bücher, englischen Kleider und Instrumente ließ er als werthlos zurück.

Dadurch war ihm nun die Möglichkeit gegeben, wieder eine Menge verwegener Kerle zu werben und zu bewaffnen und bald sah er sich abermals an der Spitze eines kleinen Trupps, geringzählig zwar, aber wegen der europäischen Waffen, vor denen die Abessinier eine fast abergläubische Angst haben, desto mehr gefürchtet. Noch hatte er das ägyptische Gebiet nicht verlassen. Dies mußte er indeß schleunigst thun, denn die ägyptische Regierung versteht keinen Spaß mit Raubrebellen. Er wollte jedoch auch in diesem Gebiet ein Andenken hinterlassen, wahrscheinlich als Dank für die genossene Gastfreundschaft oder aus Rache für die ausgestandene Langweile.

An der ägyptisch-abessinischen Grenze lebte ein kleiner Fürst, dessen Vorfahren noch vor wenigen Menschenaltern unabhängig und mächtig waren, der aber jetzt von Aegypten mediatisirt worden und nicht viel mehr, als ein ägyptischer Beamter ist. Dieser Mann soll die Grenze bewachen, da man ihm jedoch nicht ganz traut, so hat man ihn nie so recht mit den modernen Waffen ausgestattet, wie sie die eigentliche ägyptische Armee besitzt. Er zählte zwar mehr Truppen, als Aba Kaissi, aber dieser war ihm an Bewaffnung überlegen. Es wurde ihm daher ein Leichtes, das Dorf des kleinen Herrn zu umzingeln und Alles dort in seine Gewalt zu bekommen. Er hatte es jedoch nur auf eines abgesehen, nämlich auf die Casse der Provinz, in welcher ganz beträchtliche Steuergelder niedergelegt waren. Diese nahm er natürlich in Besitz, gab aber dafür eine regelmäßige Quittung: „Empfangen als Steuerertrag im Namen des Vicekönigs von Aegypten, gezeichnet: Aba Kaissi“. Bald darauf zog er ab, nachdem er vorher noch den kleinen Fürsten seines langen Purpurgewands entkleidet und dieses mitgenommen hatte. Dieses Purpurgewand kenne ich auch von Ansehen. Es ist der einzige Rest aus der Machtzeit des kleinen Fürstengeschlechts und dem jetzigen Schattenfürsten als solcher doppelt theuer. Gemacht ist es wie ein ungeheuer weiter und langer Schlafrock, mit Schleppe und Goldstickereien, auch fürchterlich großen Knöpfen. Dieses Kleidungsstück entführte nun Aba Kaissi, einer übermüthigen Laune folgend, mit in die Wildniß. Indeß bald sah er die Zweckwidrigkeit eines solchen Schleppgewands in den Wäldern ein, und da er dem edlen Grundsatz huldigt, nur das zu nehmen, was er brauchen kann, so war er großmüthig genug, es zurückzuschicken, eine Handlung, wofür ihn der Besitzer noch heute segnet. Man sieht, Aba Kaissi hat auch seine guten Seiten, ebenso wie der Dieb, der eine Brieftasche zurückschickte, nachdem er die in derselben befindlichen Banknoten an sich genommen, „weil er zu zartfühlend sei, um die darin enthaltenen Privatbriefe zu lesen und sich in fremde Familienangelegenheiten zu mischen.“

Aba Kaissi drang nun wieder in das abessinische Gebirge ein, das sich, eine kurze Strecke von der Küste, bereits zu beträchtlicher Höhe erhebt. Wundervolle Bergesgipfel mit majestätischen Felszacken, tiefdunkle Wälder, eine reiche Pflanzen- und Thierwelt umgaben ihn. Indeß für Naturschönheiten hatte er diesmal wenig Sinn. Es lag ihm vor Allem daran, in seine alte Provinz zu kommen; denn nur dort hatte er unter dem Landvolke noch einen gewissen Anhang. Ueberall sonst waren ihm die Bauern feindlich. Dies sollte ihm indeß nicht gelingen; seine Provinz war in festen Händen und er hatte keine Aussicht, deren Statthalter zu vertreiben. So irrte er denn an der Grenze umher, war bald hier, bald dort, schweifte mitunter auch in benachbarte Landschaften und führte ein wilderes Räuberleben, als je. Unzählige Streiche werden aus den drei Monaten, die sein neuestes Räuberleben gedauert hat, von ihm erzählt. Sie gleichen jedoch im Ganzen sehr den schon beschriebenen und ich muß daher fürchten, bei ihrer Schilderung den Leser zu langweilen. Endlich ging ihm die Munition aus. Da kein Engländer mehr da war, den er „beerben“ konnte, so wurde es ihm sehr schwer, sie zu erneuern. Er stieg zwar oft in die Dörfer hernieder, suchte die Bauernhäuser auf, fand aber wenig Brauchbares. Da er dann seinem Aerger Luft ließ und die Bauern mit Bastonnade und anderen Süßigkeiten heimsuchte, so war bald die ganze Gegend gegen ihn in Waffen. Die Bauern wurden um so muthiger, als sie wußten, daß es ihm an Schießbedarf fehlte, und veranstalteten eine allgemeine Hetzjagd gegen den verhaßten Raubrebellen.

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