Seite:Die Gartenlaube (1873) 418.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


tödtlich hell durch seine Seele; ihn denselben zu entreißen, bedurfte es einer wiederholten Frage des Landrichters, was er zu thun und welchen Bescheid er zu geben gedenke.

„Was kann ich wollen?“ entgegnete er dann mit höhnischer Gelassenheit. „Ich kann ja gar nichts wollen. Sie sagen ja selber, der Vater ist Herr im Haus und kann es machen, wie er will. Wenn der Vater in seinem Sinn findet, daß es so recht ist, werd’ ich gewiß nicht dawider streiten – dann ist es mir auch recht …“

Der Vater hatte der Antwort des Sohnes mit größter Spannung entgegengesehen; er hatte im Stillen wohl noch immer gehofft, daß die Nähe und Wucht des Schlages, der ihn treffen sollte, als ein starkes Heilmittel wirken und den Irrenden zur Besinnung und Umkehr bringen werde – statt dessen zeigte er eine fast an Unempfindlichkeit grenzende Stumpfheit, einen so grenzenlosen Leichtsinn, daß er sogar das reiche väterliche Besitzthum wie eine Kleinigkeit hingab, nur um sich nicht fügen und seiner lockern Lebensweise nicht entsagen zu müssen. Mit einem nicht völlig unterdrückten Seufzer sank er in den Stuhl, aus dem er sich wie wartend erhoben hatte, zurück. Ueber Dickl’s Angesicht, so sehr er sich Mühe gab, betrübt auszusehen, ging ein Flugfeuer tückischer Freude. Der Landrichter war auf’s Tiefste entrüstet; auch er hatte noch immer gehofft, Wolf werde im letzten Augenblick noch einlenken und die ganze Angelegenheit in das gewohnte und von Gesetz, Herkommen und Sitte ausgefahrene Geleise zurück gleiten; um so mehr empörte ihn ein solcher Grad leichtsinniger Verblendung, wie er in seiner ganzen Praxis ihm noch nicht vorgekommen. „Nun, das ist ja recht schön von dem jungen Herrn,“ rief er aus, „er macht uns ja die Verhandlung recht leicht. Da brauchen wir nur ein kleines Protokoll aufzunehmen, worin der Wolf seine Zustimmung zu dem Vorhaben seines Vaters erklärt und vielleicht Jemand zu seiner Vertretung bevollmächtigt – der Vertrag selber, der kann dann später aufgenommen werden.“

„Ja, das ist mir auch am liebsten, wenn wir’s so in der Geschwindigkeit und mit einem Male abmachen,“ entgegnete Wolf. „Der Rosenheimer Advocat soll Vollmacht von mir haben; der kann dann meine Sachen in Empfang nehmen und das, was mir gehört – heißt das,“ setzte er mit bitter höhnischem Auflachen hinzu, „wenn mir überhaupt etwas gehört.“

„Unverbesserlich,“ murmelte kopfschüttelnd der Landrichter, indem er die Klingel zog, den Schreiber herbeizurufen. „Ich glaube, er will noch obendrein seinen Spaß mit uns treiben … Dein Vater will Dir geben,“ fuhr er dann im Amtstone fort, „was er nach dem Gesetz Dir geben muß. Du erhältst Deinen Pflichttheil, aber erst nach seinem Tode; jetzt bekommst Du nur, was Du von Deiner Mutter hast. Du wirst wohl wissen, daß sie als Magd auf den Lindhamerhof gekommen ist und ihr Vermögen in einem Bündel mitgebracht hat.“

„Ja wohl weiß ich das,“ rief Wolf mit noch spotthafterem Gelächter; „da ist es ja ganz in der Ordnung, wenn der Sohn wieder mit einem Bündel hinaus wandert. Ich denk’, ich werd’ keinen starken Stecken dazu brauchen.“

„Unterbrich mich nicht!“ sagte der Landrichter barsch. „Dein Vater hat, als Deine Mutter starb, einem Jeden von Euch tausend Gulden Muttergeld ausgewiesen – die kannst Du jeden Augenblick erheben.“

„Das ist mir noch das Allerliebste,“ höhnte Wolf; „das langt gerade zu einem ordentlichen Reisgeld. Der Advocat soll’s erheben für mich; ich kann mich nicht aufhalten; ich muß heute noch fort.“

„Wie, Du willst fort?“ fragte der Landrichter mit einem Staunen, das an Entsetzen grenzte. „Willst Deine Heimath verlassen und gar nicht mehr auf den Lindhamerhof zurück?“

„Was hätt’ ich etwan noch dort zu thun?“ entgegnete Wolf. „Sollte ich mich wie ein Wunderthier anschauen und von den Ehhalten auslachen lassen oder den Knecht machen, wo ich der Herr sein sollt’? Ich hab’ keine Heimath mehr; ich geh’ in die weite Welt.“

„Bruder!“ rief hier Dickl dazwischen, dem es gerathen schien, sich nicht gänzlich stumm zu verhalten. „Bruder, das solltest Du nit thun. Bleib’ bei uns. Wir könnten uns ganz gut vertragen und leben wie die Engel im Himmel. Du glaubst gar nit, wie leid mir das ist, daß es so gegangen ist!“

„Du hast Recht, das glaub’ ich Dir wirklich nit,“ rief Wolf und griff lachend nach der Feder, die ihm der Schreiber, der inzwischen das Protokoll gefertigt, zur Unterzeichnung darbot. „Drum gieb Dir keine Müh’, Dickl – ich wünsch’ Dir alles Glück zum Lindhamerhof. So!“ setzte er dann hinzu, während er mit fester Hand unterschrieb, „b’hüt Dich Gott, Heimathl! Jetzt sind wir Zwei mit einander fertig. Und jetzt bin ich wohl zu End’ und kann gehen?“

„Ich halte Dich nicht,“ entgegnete geringschätzig der Landrichter; „wenn Du sonst nichts mehr da zu thun hast, bist Du frei wie der Vogel in der Luft.“

„Ja wohl, vogelfrei!“ lachte Wolf auf und wandte sich der Thür zu, blieb aber gleich nach den ersten Schritten stehen, um auf den Vater zurück zu blicken, der die ganze Verhandlung wortlos mit angehört und so viel wie möglich mit angesehen; er hatte die Regung voll Weichheit und Ergriffenheit, die ihn einen Augenblick angewandelt, mit trotziger Strenge niedergerungen, den Lehnstuhl zurück geschoben und stand nun wieder fest und hoch aufgerichtet da, ganz wieder der Herr und Gebieter, wie er Tags zuvor dem ungerathenen Haussohn gegenüber gestanden.

„Ob ich sonst noch ’was zu thun hab’?“ fragte Wolf zögernd und in weicherem Tone – „das kann ich nit sagen – es müßt’ nur sein, daß mir Jemand noch was mitzugeben hätt’ auf den Weg …“ Er schien einen Laut, eine Geberde des Abschiedes zu erwarten; der Alte aber that, als ob er es nicht gewahre, und wendete sich kalten Bluts gegen den Landrichter hin. „Jetzt wird das Unterschreiben wohl an mir sein,“ sagte er. Wolf wandte sich kurz ab und verließ das Zimmer, während der Alte unsichern Blicks und mit bebender Hand unterschrieb; der Landrichter, der ihm die rechte Stelle dazu bezeichnete, betrachtete dabei Wolf’s Unterschrift und rief: „Es ist trotz Allem und Allem ein merkwürdiger Bursche – eine Schrift hat er, die manchen Schulmeister zu Schanden machen würde.“ –

Wolf verließ des Schloßgebäude und eilte an der Kirche dahin, wo der Weg an einigen geringen Häusern vorüber unmittelbar in’s Freie führte. Zwischen den Fruchtäckern, auf denen der Wind schon über die Stoppeln ging, hatte er flüchtigen Schrittes bald die Waldspitze erreicht, nach der er sich schon am Morgen geflüchtet hatte, und warf sich an derselben Stelle nieder, die Zeuge seiner Kämpfe und Entschließungen gewesen. Wie reich, wie gehoben und kraftvoll war er von ihr weggeeilt, wie matt, gebeugt und arm kehrte er wieder – für die Ruhe und Zuversicht, die er mit hinweggenommen, brachte er neue Stürme zurück und neue Ungewißheit. Was sollte er nun beginnen? Er stand wie am Ursprung eines Quells, der, sich in mehrere Arme theilend, verschiedenen Landen und Geschicken entgegen zieht – der eine floß ruhig und gleichmäßig dahin zwischen bebautem Ackergelände und Mühlwerken, die er treiben mußte, und lud ihn ein, sich irgendwo als Oberknecht oder Baumeister zu verdingen und dort, wo man ihn nicht kannte, als Landmann ein stilles arbeitsames Leben zu führen – ein anderer murmelte und sprudelte mit fröhlichem Rauschen über Felsen hinunter durch abwechselndes Gartenland, mit Lusthäusern und einladenden Schenken an seinem Gestade, ein Bild des Lebens, das ihn erwarten mochte, wenn er, den Lockungen der schönen Tänzerin folgend, ein zielloses Wanderleben beginnen wollte – wieder ein anderer schlich sich in langsamen Windungen durch flachen, allmählich immer tiefer sinkenden feuchten Grund dahin, um zuletzt in den faulen stehenden Tümpeln eines Sumpfes zu verschwinden, auf dem nur nutzloses dürres Geröhricht raschelte – so konnte es kommen, wenn er die Genossen des vorigen Tages aufsuchte, mit ihnen in alltäglich gleichmäßiger Schlemmerei fort zu wirthschaften. Ueber den Vorgängen auf dem Jahrmarkte und bei Gericht war der Mittag lang vorübergegangen; die Sonne hing schon tief über den Hügeln und warf die Baumschatten immer länger auf den Rasen, aber Wolf war noch immer zu keinem andern Schlusse gekommen, als daß er zunächst nach Rosenheim hinein müsse, um dem Advocaten seine Angelegenheit zu übergeben; dahin kam er noch immer früh genug; auch war es schwer, sich von dem Orte loszureißen, denn zwischen den alten Tannenstämmen hindurch, über den tiefer liegenden Wipfeln und Sträuchern that sich eine weite Fernsicht auf und zeigte eine schöne Anhöhe mit einer Baumgruppe darauf,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_418.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)