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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

befreundeten Grafen Görtz und durch v. Dalberg’s Vermittlung von der Herzogin Amalie als Instructor des Erbprinzen berufen; und kaum war er in die dortigen Kreise künstlerischen Strebens eingetreten, als er das in ihm erwachte Interesse für die Oper von Neuem und auf das Bedeutsamste bethätigte. Seine Frau war gefährlich krank gewesen, war wieder genesen, war gleichsam aus der Unterwelt zurückgekommen. Dies mahnte ihn an die einst von Euripides dramatisch behandelte griechische Mythe von Alceste, welche aus treuer Gattenliebe für Admet in den Tod gegangen und von Admet’s Freunde Hercules aus der Unterwelt gerettet und zurückgebracht worden, – und es kam ihm der (wie er selbst sagte) verwegene Gedanke, jene Mythe zu einer ernsten großen Oper in deutscher Sprache zu bearbeiten. Er verkannte nicht, daß sein Versuch viele Vorurtheile wider sich hatte; „eine Oper in deutscher Zunge, in der Sprache, worin Kaiser Karl der Fünfte nur mit seinem Pferde sprechen wollte, – von einem Deutschen gesetzt, von Deutschen gesungen, – was konnte man Gutes davon erwarten?“ Er scheute aber vor dem kühnen Unternehmen nicht zurück und vertraute aus Schweitzer’s Compositionstalent.

Nach Wieland’s Ansicht über das Wesen und die Aufgabe der Oper sollten im Singspiel Poesie, Musik und Action das Meiste thun, um den Zweck, der nicht in Bezauberung der Sinne, sondern in mächtiger Rührung des Herzens bestehe, zu erreichen; Costüm und Decorationen sollten nur die Täuschung befördern helfen, das Ganze aber so wenig Aufwand erfordern, daß auch die mittelmäßigste Stadt in Deutschland vermögend wäre, sich wenigstens zu gewissen festlichen Zeiten des Jahres ein öffentliches Vergnügen von der edelsten Art und gewiß nicht ohne nützlichen Einfluß auf Geschmack und Sitten zu verschaffen. Zudem er in dieser Ansicht mit den Anschauungen der Herzogin harmonirte, dichtete er, davon ausgehend, das Singspiel Alceste in fünf Auszügen. Das Theater hatte nur vier Solosänger; er konnte also auch nur so viel Personen aufnehmen. Besonders aber gefiel ihm die Idee, der Alceste zwei Kinder zu geben, weil er selbst damals nur zwei hatte. Er las die vollendete Dichtung der Herzogin vor; sie frug ihn, wer sie denn componiren würde, und er ließ sich durch ihre Empfehlung Wolf’s von der Wahl Schweitzer’s nicht abbringen. Schweitzer war aber für sein Vertrauen außerordentlich dankbar, kam oft zu ihm, ließ sich die Dichtung vorlesen und schritt mit voller Liebe zur Composition des Stückes.

Noch ehe die Composition vollendet war, ließ Wieland seine Dichtung 1772 im Druck erscheinen. Die Kritik begrüßte sie anerkennend und freudig als die erste deutsche Oper; man frug sich jetzt plötzlich, warum uns denn nur Welschland mit Opern bereichere, warum Frankreich uns in dem lyrischen Schauspiel den Vorzug streitig machen solle? und ob nicht die deutsche Sprache weit mehr Mannigfaltigkeit, Harmonie und Volltöniges habe als die französische? Schweitzer aber componirte die Oper mit großem Glück. Mag auch an seiner Composition noch stellenweises Anlehnen an italienische Vorbilder, mögen die leidigen Coloraturen, mag der Mangel an Ensemblenummern zu rügen sein, andererseits bekundete seine Composition doch zugleich ein selbstständiges, originales künstlerisches Schaffen, überall aber ein verständnißvolles Eingehen auf die Intentionen des Dichters, und zeichnete sich überdies durch reichere Instrumentirung, als man sonst gewohnt war, vorteilhaft aus. Ein besonderes Glück für die Oper war es, daß ihre Titelrolle in der Sängerin Franziska Romana Koch eine meisterhafte Darstellerin fand. Dies zeigte sich schon bei den Proben, von denen Wieland einst den ergötzlichen Zwischenfall mittheilte: „Einesmals war es im Hoftheater bei der Probe sehr dunkel. Ich stehe hinter einem Pfeiler und rufe der Alceste-Koch, die sich in einer Stelle selbst übertrifft, zu: O, Du Engel (eine Phrase, die ich bei jedem mir liebgewordenen weiblichen Wesen ohne alle Beziehung brauche)! Unglücklicherweise hat die Herzogin, die, mir unbewußt, auf einer andern Seite des Theaters uns behorcht, dies gehört. Vier Wochen lang war ich aus aller Gnade gefallen. Sie sah mich gar nicht an, oder wenn sie dies nicht vermeiden konnte, warf sie mir Blitz und Flamme mit ihrem Blick zu. Endlich klärte sich das Räthsel (denn dies war es für mich durchaus gewesen) auf und Alles kam in’s alte Gleis.“

Zuerst in Weimar kam die Alceste am 28. Mai 1773 zum ersten Mal zur Aufführung und erntete den allgemeinsten und reichsten Beifall. Insbesondere bezauberte Frau Koch als Alceste (trotz ihres Rococo-Costüms) durch ihre schöne Gestalt, ihren trefflichen Gesang und rührendes Spiel alle Herzen. Es folgten in demselben und dem folgenden Jahre öftere Wiederholungen in Weimar, alle mit gleichem begeisterten Beifall. Ueberglücklich, aber auch allzu überschwenglich und provocirend schrieb Wieland in einem Briefe an Jacobi und schrieb es in seinem „Deutschen Merkur“ in die Welt hinaus: „Daß Alceste von einem Deutschen componirt worden, ist ein Umstand, der in der Geschichte unserer Musik immer merkwürdig bleiben wird. Denn glauben Sie mir, die Pergolesi, die Galuppi, die Sacchini würden diesen Deutschen mit Freuden für ihren Bruder erkennen. Ich weiß nur Eines an unserm vortrefflichen Schweitzer auszusetzen, und dies Eine ist, daß er – keinen so musikalischen Namen hat als jene. Aber nur noch etliche solche Meisterstücke, wie seine ‚Alceste‘, so wird dieser Name der Nachwelt gewiß so ehrwürdig sein, als gewiß mir seine ‚Alceste‘ für die Unsterblichkeit der meinigen Bürge ist. Erstauen werden Sie, mit eigenen Ohren hören, tief in Ihrer eigenen Seele fühlen, wie groß die Gewalt dieses Tonkünstlers über unser Herz, wie sehr er Maler und Dichter ist, wie meisterhaft er des eigenthümlichen Charakters der Personen sich bemächtigt, mit welchem Feuer er ihre Leidenschaften, mit welcher Wahrheit, Feinheit und Zärtlichkeit er ihre Empfindungen ausdrückt.“

Als Frau Koch-Alceste am 16. Februar 1774 wie das ganze Publicum, so auch den Dichter von Neuem entzückt hatte, schrieb dieser in derselben Nacht ein enthusiastisches Gedicht auf sie, welche sei, was sie scheine: Alceste! Am andern Morgen sandte er es ihr mit der Bitte, ja Niemandem eine Abschrift davon zu geben. Mit Unwillen fand er es gleichwohl im folgenden Theaterkalender abgedruckt und sich, den Verehrer der Frau Koch, dadurch dem Spott der Herzogin ausgesetzt. Leider machte schon wenige Monate später, am 6. Mai 1774, der Weimarische Schloßbrand, der auch das Hoftheater in Asche legte, weitere Aufführungen unmöglich. Die Herzogin mußte die Seyler’sche Gesellschaft entlassen; sie zog nach Gotha und mit ihr auch Schweitzer, welcher dort Hofcapellmeister wurde.

Die Oper machte ihre Runde über die Bühne, und überall, zuerst in Gotha, dann in Frankfurt, Mannheim, Schwetzingen etc., überall erregte sie großes Aufsehen und lautesten, rauschenden Beifall. Iffland wurde von ihr enthusiasmirt und poetisch angeregt. Gluck ersuchte den Dichter, ihm einen deutschen Operntext ähnlicher Art zu schreiben, den er in Musik setzen wolle. Von Mannheim erhielt er den Auftrag, eine neue deutsche Oper für das dortige Operntheater zu schreiben. Die Bahn war gebrochen; wieder im Verein mit Schweitzer schuf Wieland im Jahre 1777 die zweite Oper „Rosamunde“; er reiste selbst nach Mannheim zur Aufführung, welche aber durch den Tod des Kurfürsten von Baiern gestört wurde, und der große Genius der deutschen Musik, der damals einundzwanzigjährige Mozart, der sich damals in Mannheim aufhielt und wegen Unwohlseins Schweitzer’s sogar eine Probe der „Rosamunde“ dirigirte, machte am 3. December 1777 seinem Vater die vertrauliche und interessante briefliche Mittheilung: „In den zukünftigen Opern sind sehr schöne Sachen, und ich zweifle gar nicht, daß sie gewiß reüssiren werden. Die ‚Alceste‘ hat sehr gefallen und ist doch nicht halb so schön wie die ‚Rosamunde‘. Freilich hat Das viel beigetragen, weil es das erste deutsche Singspiel war.“

Diese Lorbern Schweitzer’s ließen seinem talentvollen Nebenbuhler Wolf in Weimar keine Ruhe. Er, den die Herzogin Amalie einst für die Composition der „Alceste“ vergebens vorgeschlagen hatte, wollte gerade für diesen Stoff sein Compositionstalent bewähren; auch er setzte (1783) die Wieland’sche „Alceste“ in Musik; sie kam zur Aufführung, aber mißfiel völlig, und der Künstler gerieth darüber in tiefe Melancholie. Vergebens suchte ihn die theilnehmende Herzogin dadurch zu retten, daß sie bei ihm Unterricht im Clavierspielen nahm und ihm bei jeder Gelegenheit Beweise ihrer vollen Anerkennung gab; seine Melancholie steigerte sich nur und führte endlich am 8. December 1792 seinen Tod herbei.

Aber auch die Schattenseiten fehlten im Erfolge der „Alceste“ nicht, und Wieland’s eigene überschwengliche Lobpreisung derselben trug nicht wenig dazu bei. Die strenge musikalische Kritik schwang

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_412.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)