Seite:Die Gartenlaube (1873) 405.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Christ, dem rohen Heiden sein Ehrenwort gebrochen hatte? Natürlich nicht! ja nicht einmal dem Verräther wurde ein Haar gekrümmt! Und wenn nun Capitain Jack denselben Verrath an General Canby übt und ihn, nur etwas klüger und energischer, gleich niederschießt, haben der ungezähmte unwissende Wilde und seine Genossen eine härtere Strafe verdient? Gegen dieses Argument ist eigentlich gar nicht viel einzuwenden, wenigstens nicht in der Theorie. Praktisch angewendet, gestaltet sich die Sache indeß doch etwas anders.

Die schonungslose Verwaltung der Indianerangelegenheiten ist die Hauptursache dieser ganzen Indianernoth; die Noth trifft aber jetzt ausschließlich die an der Ursache völlig unschuldigen Ansiedler der neuen Territorien, und diese müssen von der Regierung in ihrem Recht beschützt werden; dazu ist dieselbe unbedingt verpflichtet, und die erste Frage ist die, wie dies am wirksamsten geschehen kann. Lautet die Antwort da: nur durch Ausrottung der Verbrecher, nun, dann mag das Gewissen der Regierung im Rückblick auf ihre eigenen Sünden gegen diese Verbrecher in ein häßliches Dilemma gerathen, aber ihre Pflicht, die Bürger zu schützen, bleibt deshalb unverändert, und ihre Aufgabe, dieselben gegen die Angriffe der Söhne der Wildniß, die sie selbst zu erbarmungslosen Raubthieren ausgebildet hat, zu sichern, klar und unbestreitbar. Der Schrei der Bedrohten nach Ausrottung ihres unversöhnlichen Feindes behält daher seine volle Berechtigung.

Die Ausführung der beschlossenen Strafe ist freilich eine andere Sache. Hier handelt sich’s nicht nur um’s Wollen, sondern vor Allem um’s Können. General Gillem’s obige Depeschen sind sehr schwungvoll; die jüngsten Ereignisse haben aber auf’s Neue den Beweis geliefert, daß ein schlauer und tapferer Gegner mit Phrasen noch lange nicht beseitigt werden kann, und Capitain Jack hat gezeigt, daß er in seinem kleinen Finger mehr Feldherrntalent besitzt, als die sämmtlichen West-Pointer Herren, die sich bis dahin nichts als blutige Köpfe in seinen Felsen geholt haben. Schade nur um die Soldaten, die von inkompetenten Führern in’s unvermeidliche Verderben hineingejagt worden sind. Die Schilderung der Kämpfe vom 14. bis zum 20. April wird das Gesagte rechtfertigen.

Am Abend des Tages, an welchem General Canby und Dr. Thomas gefallen waren (Meacham war nur schwer verwundet und erholte sich bald wieder), erfolgte ein Angriff eines Trupps berittener Modocs auf Oberst Mason’s Vorposten, wurde aber abgeschlagen. Die Wilden wurden in ihr etwa anderthalb Meilen entferntes Lager zurückgetrieben. Dieses Lager befand sich, wie man mit ziemlicher Gewißheit wußte, in einer großen Höhle im Lavabett, von deren Beschaffenheit mancherlei fabelhafte Dinge erzählt wurden; zu sehen war von diesem Lager, so wie vom Feinde überhaupt, natürlich nichts in Folge der im ersten Artikel betriebenen Beschaffenheit dieses merkwürdigen Felslabyrinthes. Dort befanden sich ohne Zweifel auch die Weiber und Kinder, so wie die etwaigen Vorräthe an Lebensmitteln und Munition; diese Höhle mußte natürlich der Hauptpunkt sein, gegen den sich der nächste Angriff zu richten hatte. Aber wie das zu machen? Das war die große Frage, welche den Herren, welche geschworen hatten, keinen von Canby’s Mördern entkommen zu lassen, jetzt Kopfzerbrechen zu verursachen anfing. Die Festung, welche sie hier vor sich hatten, war keine, die nach den in West-Point gelernten Regeln der Kriegskunst belagert oder erstürmt werden konnte; und von der Topographie dieses capriciösen Kunstwerk-Vulcans hatte keiner von ihnen eine rechte Idee. Ein Glück war’s, daß eine dunkle Ahnung der Gefahr die rachedurstigen Herren abhielt, gleich Hals über Kopf in diese verrufenen Höhlen hineinzurennen, sonst wäre vielleicht Niemand wieder herausgekommen, um die Nachricht der Vernichtung der Uebrigen zu überbringen. Wie unglaublich es klingen mag, es ist wohl nicht zu viel gesagt, was ein Officier, welcher die bisherigen Gefechte mitgemacht, behauptete: daß fünftausend Mann Infanterie allein nicht im Stande sein würden, die Indianer mit dem Verlust ihrer halben Mannschaft aus diesem Felsengewirr zu vertreiben. Es wurde daher beschlossen, sich dem Lavabett so viel wie möglich zu nähern und den ersten Angriff auf die berüchtigte Höhle Jack’s, deren Lage man ziemlich genau kannte, durch Artillerie zu machen. Eine Mörserbatterie unter Capitain Thomas wurde demgemäß in Position gebracht, und am 15. April das Bombardement eröffnet und mehrere Tage fortgesetzt. Die Wirkungen desselben konnten freilich nicht beobachtet werden, indeß schien es doch, daß die explodirenden Geschosse, welche in die zerklüfteten Felsmassen hineinfielen, zuletzt so lästig wurden, daß die Belagerten sich entschlossen, diese Position aufzugeben und sich tiefer in das Lavabett hineinzuziehen. Man schloß dies theils aus großen Feuern, die am Abend des 17. in der Gegend der Höhle bemerkt wurden, und glaubte jetzt es wagen zu dürfen, vorzudringen und im schlimmsten Fall mit stürmender Hand die Höhle zu nehmen. Sie wurde auch wirklich bald erreicht, und die Vermuthung des Abzugs des Feindes bestätigte sich. Nur fünf Nachzügler waren noch zurückgeblieben und eröffneten von ihrem Versteck aus ein Feuer auf die eindringenden Truppen, wurden indeß bald unschädlich gemacht.

Die durch das Gerücht fabelhaft ausgeschmückte Höhle erwies sich als nichts anderes denn als ein langer Spalt, der sich anderthalb Meilen weit von Nord nach Süd erstreckt, in dessen Nähe sich eine ganze Anzahl tiefer cisternenartiger Löcher befindet, ganz vortrefflich geeignet, einer kleinen Schaar zu einer unüberwindlichen Festung gegen die überlegenste Macht zu dienen. Die Bomben hatten eine furchtbare Zerstörung in dem zerrissenen ausgehöhlten Gestein angerichtet: Felsstücke lagen zertrümmert wild durcheinander; der Boden des Schlundes war mit Bombensplittern förmlich bedeckt; mehrere Kugeln waren offenbar in die Mitte des Lagers gefallen und dort explodirt. Die ganze Umgebung der Höhle und diese selbst boten einen entsetzlichen Anblick dar, während die Luft von einem abscheulichen Geruch verpestet wurde. Elf Leichen wurden aus den Felsspalten und Löchern hervorgezogen; sechs Andere waren von den mit den Truppen verbündeten Warm-Spring-Indianern abgethan worden; im Ganzen wurden neunzehn Getödtete aufgefunden. Wie viele sonst noch umgekommen, ließ sich nicht angeben, da die Gefallenen leicht in tiefe Felsspalten gestürzt und mit Steinen bedeckt werden konnten und da sie wahrscheinlich in dem am 17. April bemerkten großen Feuer auch Leichen verbrannt hatten; wenigstens wurden an der Brandstelle Schädel und Zähne gefunden. Auch Schonchin, der zweite Häuptling, war unter den Gefallenen; eine Bombe hatte ihm den unteren Theil seines Körpers vollständig zerrissen.

Von den Weißen wurden an diesen drei Tagen sechs getödtet, zwanzig verwundet und ungefähr ebenso viele durch Verstauchen der Füße beim Herabspringen von den Felsen kampfunfähig gemacht. Wie scharf die Felsen waren, geht aus der Thatsache hervor, daß die meisten Soldaten, die in neuen Schuhen ausgerückt waren, barfuß, mit zerrissenen, blutenden Füßen zurückkamen. Ein Theil der in der Nähe der Höhle gelegenen Klüfte wurde untersucht, wobei gelegentliche Schüsse, die aus denselben fielen, bewiesen, daß unsichtbare Feinde sich noch in der Nähe versteckt hielten. Jack und die meisten seiner Krieger mit den Weibern und Kindern waren glücklich entkommen und befanden sich in einer neuen, vielleicht ebenso starken oder stärkeren Position, wo? konnte natürlich nur vermuthet werden. Ebenso war man über die eigentliche Zahl der Feinde sehr im Unklaren. Die Annahme war, daß sich etwas über zweihundert Menschen im Lavabett befänden, von denen etwa sechzig waffenfähige Männer waren.

An ein weiteres Aufsuchen des Feindes war natürlich nicht zu denken. Die Truppen rückten in’s Lavabett vor, und Mason nahm im verlassenen Lager Jack’s sein Hauptquartier. Es war vor der Hand nichts weiter zu thun, als den neuen Aufenthalt der Modocs durch möglichst vorsichtiges Recognosciren auszukundschaften und scharf zu wachen, um sie am Entschlüpfen aus ihrer Festung zu hindern. Man hoffte auf einen Angriff der gesammten Feindesmacht, vergaß aber dabei ganz, daß man es mit einem Gegner zu thun hatte, der die Vortheile seines ihm genau bekannten Terrains viel zu gut kannte, um sich zu ähnlichen Thorheiten hinreißen zu lassen, wie sie einige Tage später von seinen kriegsgelehrten Gegnern begangen wurden. Sie blieben also ruhig in ihren Verstecken und ließen die Weißen hoffen und warten. Der schwächste Punkt der Belagerten schien Mangel an Wasser zu sein; dasselbe mußte aus einem dicht am Lavabett gelegenen See geholt werden, und den Weg dahin ihnen abzuschneiden, war eine Hauptaufgabe der Belagerer. Es wurden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_405.JPG&oldid=- (Version vom 6.3.2019)