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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen
Von Herman Schmid
(Fortsetzung.)



Ehe Wolf vollenden und der verdutzte Peter etwas erwidern konnte, wurden sie durch den Schlossergesellen unterbrochen, der im Hause herumgestreunt hatte und nun unsicheren Schrittes mit einer Cither zurückkehrte, die er aufgefunden und vor Wolf auf den Tisch legte. „Was redet Ihr Zwei so ineinander hinein?“ rief er mit schwerer Zunge. „Was habt Ihr für Heimlichkeiten? Spiel’ Eins auf, Lindhamer, ein lustiges, daß mir meiner Lebtag das Geld nicht mehr ausgeht!“

Mehrere, die von Wolf’s kunstfertigem Spiele schon gehört, stimmten in die Aufforderung ein, und Wolf war nicht schwer zu bewegen, der Anforderung Folge zu leisten – im Kopfe klang ihm noch der Beifall wegen der gewonnenen Kegelwette nach; es schmeichelte ihm, vor einer so großen und zum Theil feinen Gesellschaft sich zeigen und neuen Beifall ernten zu können. Auch war es ihm ein willkommener Ableiter, den vielerlei widerstreitenden Empfindungen, die ihn bestürmten, Ausdruck zu geben. Er begann, und bald hatte sich ein immer dichterer Kreis von Zuhörern lautlos um ihn versammelt; auch der Landrichter, so wie der preußische Major und seine Damen fehlten nicht darunter. Sie waren eben im Begriffe gewesen , den Heimweg anzutreten, denn die trinkende Gesellschaft war allmählich immer lauter und unangenehmer geworden, auch ließ die sich erhellende Nacht auf der Wanderung noch den Genuß einer Mondlandschaft erwarten. Gleichwohl hielten sie im Vorübergehen an, um eine Minute zuzuhören, aber der Minuten des Zuhörens folgten immer mehrere, und sie gewahrten es nicht, daß nach mehr als einer Viertelstunde bereits über der ganzen Gegend der Duftschleier des Mondenscheins wehte.

Wolf spielte die Cither in nicht gewöhnlicher Weise; die viele Uebung hatte ihm Griff und Anschlag so geläufig gemacht, daß keine Schwierigkeiten mehr für ihn bestanden; noch mehr aber war das, was er spielte, voll Bedeutung, denn wenn er in guter Stunde die Saiten berührte, kam es ihm unbewußter Weise fast wundersam in die Finger, und die Weisen strömten ihm nur so zu, bald schwermüthig klagend, bald ausgelassen schwirrend, wie Beides in dem unscheinbaren Instrumente verschlossen liegt, bald Tanz, bald Lied, bald in bekannten, bald in eigenen Klängen, die wie eine Fülle glänzender und sinnvoller Blumen, Blüten und Blätter sich zu einen ununterbrochenen, reizenden Gewinde verschlangen. Der atemlosesten Stille folgte der lauteste Zuruf des Beifalls, als der erhitzte Spieler abermals die Saiten erklingen ließ – aber, wie es sich häufig im Leben fügt, der erste Eindruck war der mächtigste gewesen und die Wiederholung diente nur dazu, denselben in Farbe und Linie abzuschwächen und zu verwischen. Man hörte zwar nach zu, aber man wies doch andere Gedanken nicht mehr zurück, und wenn die Feineren sich bemühten, einander Bemerkungen über das Spiel und den Spieler zuzuflüstern, scheuten sich Andere nicht, etwas ferner auf dem knirschenden Kies des Weges hin und wieder zu gehen, und die Roheren fingen schon an, sich zu langweilen und mit halblautem Zurufe die Krüge aneinander zu stoßen, oder wohl gar mit klappendem Deckel die Kellnerin zu rufen.

Wolf entging das nicht. Seine Erregtheit schärfte ihm die Sinne, und er rächte sich dadurch, daß sein Spiel immer wilder und heftiger wurde, die Melodien, die er spielte, sich immer ausgelassener erhoben, – unwillig suchend ließ er seine Blicke durch den Kreis der Anwesenden laufen und blieb mit denselben zuletzt an der Harfenistin haften, die ihm nicht sehr ferne gegenüber saß; er fühlte, wie ihre schwarzen lodernden Augen fest und starr an ihm hingen; sie schien mit gespannter Aufmerksamkeit zuzuhören, während ihre Gefährten, ärgerlich darüber, daß sie so ganz verdrängt und um die Ausbeute des Abends gebracht waren, gleichgültig oder verdrossen auf ihre Krüge niedersahen. Es mahnte ihn wirklich, als ob ihn Th’res anschaue; wenn auch ihr Auge sanfter blickte, war doch um den Mund derselbe schmerzliche Zug zu sehen, der ihrem Angesicht oft einen Ausdruck gab, als halte sie mühsam die Thränen zurück über ein Leid, das nur ihr bewußt war. Ein unsägliches Mitleid wandelte ihn an; von einem raschen Gedanken erfaßt, brach er sein Spiel mit ein paar verwegenen Gängen ab und sprang laut lachend auf. „So, jetzt hab’ ich das Meinige gethan,“ rief er der erstaunten Umgebung zu, „meint Ihr ich soll Euch allein den Narren machen und für nichts und wider nichts? Ich will auch was davon haben – jetzt ist’s an Euch, zugelust habt Ihr genug, jetzt spielt Ihr mir Einen auf – ’raus mit dem Geldbeutel, und laßt die Guldenstückeln klingen!“

Damit nahm er einen Teller vom Tisch und ging mit demselben nach Art sammelnder Musikanten unter den Gästen umher; seine Cameraden lachten unmäßig über den prächtigen Spaß, der die ganze Lustbarkeit erst voll mache bis zum Rand – die Andern wußten nicht, wie sie die Laune des aufgeregten Burschen verstehen sollten; der reichste Bauerssohn der Umgegend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_399.JPG&oldid=- (Version vom 7.2.2019)