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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Wesens mit, wie an der Harfe, die er daheim gebaut, die Saiten erklangen, wenn der Wind über sie hinstrich. Er schwanke noch nicht; aber er blieb stehen, um zu lauschen.

„Nun, wenn er durchaus nicht mehr bleiben will,“ rief der Schlosser dazwischen, „so laßt ihn geh’n, den Bauernprinzen! Wird ihm wohl jetzt einfallen, daß wir ihm nicht gut genug sind zur Gesellschaft! Jetzt, weil wir mit ihm unser Geldel verzecht haben, und ausgesäckelt sind, jetzt fürchtet er wohl, daß er uns frei halten muß, und macht sich davon.“

„Nein, das ist nicht wahr,“ unterbrach ihn das Stadtkind, „das lass’ ich dem Lindhamer von Lindham nicht nachsagen. Ich kenn’ ihn zwar erst seit heute, aber er hat den reichen Bauernsohn gezeigt und hat’s nobel gegeben, und wenn er heim geh’n will, wird er schon wissen warum. Es wird halt strenge Polizeistunde sein auf dem Lindhamerhof – er wird keinen Hausschlüssel haben und wenn das Buberl nach Gebetläuten kommt, läßt es der Alte nicht mehr hinein oder steht schon mit der Ruthe hinter der Thür.“

Unbekannt mit den Verhältnissen, hatte der Geselle den wunden Fleck in Wolf’s Gemüth berührt; von aufloderndem Zorn und Schmerzgefühl erfaßt, sprang er auf ihn zu und hielt ihn würgend an der Kehle gepackt. „Wer untersteht sich, so was von mir zu sagen?“ rief er. „Ich drück’ Dir die Seel’ aus dem Leib, Kerl, wenn Du’s nicht zurücknimmst – Niemand hat mir was einzureden; ich bin mein eigner Herr.“

„So zeig’s!“ rief der Schlosser, indem er den Angegriffenen befreite, „zeig’s und geh mit – das ist eine bessere Widerlegung, als wenn wir uns zu guter Letzt’ noch selber in die Haare kommen.“

„Geh mit!“ rief der Soldat und umfaßte ihn neuerdings, „droben auf dem Keller haben sie gewiß eine Cither … Du kannst ja so gut Cither schlagen; ich weiß es noch von dazumal, wie ich auch noch auf dem Lindhamerhof mich geplagt und geschunden hab’ für nichts und wider nichts … Du mußt uns noch Eins aufspielen heut – wir bleiben bei einander heut, bis uns die Sonn’ in den Krug schaut …“

Freiwillig schritt Wolf die Kirchzeile hinan. Die Cameraden umgaben ihn jauchzend und johlend und sangen:

„Heim soll ich gehn, da soll ich bleiben,
D’ Kugel sollt’ ich nehmen, Kegel sollt’ ich scheiben –
Heim geh’ ich nit, da bleib’ ich gern,
Wissen muß ich, wer der Letzt’ wird wer’n.“

Auf dem Keller herrschte in der That noch fröhliches, vielfach bewegtes Leben. Die meisten Bürger des Marktfleckens waren mit ihren Frauen oder Töchtern auf den Hügel heraufgekommen, um unter den Bogengängen des Kellergebäudes, das weithin gleich einer Herrenburg die Gegend überschaut, ihren Abendtrunk einzunehmen – neben ihnen, in geselliger Verträglichkeit saßen die Beamten des Orts mit ihren Familien und den zahlreichen Fremden, die der Ruf von der Heilkraft der Aiblinger Moorbäder aus aller Herren Ländern im Sommer zusammenführt, und von denen Keiner an einem schönen Abend es versäumt, die herrliche Landschaft und das erhabene Bergbild zu bewundern, das sich in seltener Schönheit gerade hier ausbreitet, immer neu, immer wechselnd und doch so gerundet, so in sich abgeschlossen, als ob des größten Meisters Hand es kunstvoll zum Gemälde geschaffen. Eine kleine Gesellschaft wandernder Musikanten hatten sich ebenfalls einen Platz ausgesucht, um den Kreis zu unterhalten, der an den Liederstücken und Ländlern Gefallen fand, die sie mit Clarinette, Waldhorn und Geige roh genug aufspielten, so daß die etwas besser gespielte Harfe, die sie begleitete, nicht im Stande war, dagegen aufzukommen und das Ganze genießbar zu machen. Die Gesellschaft bestand aus drei Männern von abenteuerlichem Aussehen und einem Mädchen: es war eine herumziehende Bande von Seiltänzern und Springern, welche auf dem Jahrmarkte ihre kecken Künste zeigen und, da sie zugleich ihr eigenes Orchester bildete, den Vorabend durch musikalische Vorträge ausnützen wollte. Die Männer sahen ziemlich abgerissen und verwildert aus; nur der Eine, welcher die Geige spielte und eine Art Oberhaupt zu sein schien, trug in Kleidung und Wesen Spuren an sich, als habe er einmal andere Tage gesehen. Das Mädchen, obwohl armselig gekleidet und sonnenverbrannt, war eine unter solcher Umgebung ungewöhnliche und überraschende Erscheinung; reiches Haar von prachtvoller Schwärze hing in zwei mächtigen mit Band durchflochtenen Zöpfen weit über ihren Rücken hinab; unter dunklen Brauen funkelten ein Paar tiefe Augen von gleicher Farbe, und aus den feinen Lippen vom Roth einer reifen Erdbeere schimmerten Zähne von perlengleicher Weiße; sie hätte unbedingt schön genannt werden müssen, hätte nicht Blick und Geberde verrathen, daß ihr der Duft der Reinheit und Unentweihtheit längst verloren gegangen war, der auf einem Mädchenangesicht, damit es schön heißen dürfe, liegen muß, wie der blaue Reif auf der ungepflückten Frucht. Eben kam Wolf mit seinen Gefährten die breite Hügelstraße herauf; ihr Gesang verkündete voraus ihre Ankunft.

„Was kommt da für wüste Gesellschaft?“ sagte, zu seinem Nachbar gewendet, ein Badegast, den Aussehen und Haltung als Officier bezeichnet hätten, wenn er auch nicht das Bändchen im Knopfloch getragen hätte. „Gehören die Bursche auch zur Einwohnerschaft, Herr Landrichter?“

Der Angeredete, ein noch rüstiger Mann von offenem, wohlwollendem Wesen, nahm eine Lunette vor die Augen, um in der dämmergrauen Ferne besser unterscheiden zu können. „Gott sei Dank, nein, Herr Major,“ erwiderte er dann, „das sind auswärtige Arbeiter, die der Eisenbahnbau vorübergehend in die Gegend geführt hat – und doch,“ fuhr er kopfschüttelnd fort, „soeben bemerke ich, daß auch ein einheimischer Bursche sich unter ihnen befindet … Ich irre mich nicht – er ist es wahrhaftig – das hätte ich doch nicht gedacht.“

Der Major und die fremde Gesellschaft waren aufmerksam geworden und wollten wissen, welche Bewandtniß es mit den Ausrufungen des Landrichters habe, welche auf besondere Verhältnisse und anziehende Ereignisse schließen ließen – er konnte nicht umhin, von dem älteren Sohne des Lindhamer von Lindham zu erzählen, der, begabt mit allen Anlagen und Fähigkeiten, das Beste in seinen Lebenskreisen zu leisten, im Begriffe stehe, auszuarten und alle seine vorzüglichen Eigenschaften nur als Untergrund für Unkraut und als fetten Fruchtboden zu verwerthen, in dem es mit doppelt wuchernder Ueppigkeit gedeihen könne. „Das hätte ich nicht gedacht,“ wiederholte er am Schlusse seines Berichts. „Mir thut der alte Lindhamer leid, der ein so braver Mann ist, und der junge auch – bisher habe ich noch immer gehofft, aber wenn er anfängt, sich in solcher Gesellschaft zu gefallen, dann bleibt wohl nichts übrig, als ihn verloren zu geben.“

„Pah, dazu ist es immer noch Zeit genug,“ entgegnete der Major und drehte seinen grauen Schnurrbart empor. „Man muß Keinen zu früh aufgeben; der Dienst hat schon manchen verbohrten Querkopf wieder zurecht gebracht … warum steckt man das Bürschchen nicht in die Uniform?“

„Er ist reich,“ sagte der Beamte, „er hat sich einen Einstandsmann gezahlt – kann also zum Dienste nicht herangezogen werden.“

„Da haben wir’s!“ rief der Major unwillig, indem er aufstand und nach dem Hackenstocke griff, der ihm seines lahmen Fußes wegen zur Krücke dienen mußte. „Ich sage es ja immer, daß all’ das Wesen nichts taugt. Bei uns in Preußen ist Jeder Soldat, und wenn ich den Burschen zwei Monate in meiner Compagnie hätte, Gott soll mich strafen, wenn ich ihn nicht zurecht gestutzt hätte, daß es nur so klappen müßte … Aber Sie haben mich neugierig gemacht, Herr Landrichter; ich will hin und mir das Menschenkind einmal ganz in der Nähe besehen … Man soll Niemand zu früh aufgeben!“ wiederholte er lachend, und hob den Hackenstock lustig in die Höhe.

Er schritt der Kegelbahn – der Bräuer hatte ein großes Kegelschieben veranstaltet – zu, begleitet von einem Theile der Gesellschaft, worunter auch Damen nicht fehlten; sie bemerkten wohl, wie hübsch der Bursche war, der, ohne es zu ahnen, der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden war – wäre er ein gewöhnlicher Mensch gewesen, von dem es nichts zu erzählen gab, er wäre unbeachtet geblieben – daß er ein leichtsinniger Bursche war, der den gewöhnlichen breit und flach getretenen Lebensweg langweilig fand, machte ihn zu einer anziehenden Erscheinung, denn das geheime Wohlgefallen an dem Ungewöhnlichen konnte sich nun Theilnahme und Mitleid nennen und in der Klage Luft machen, wie schade es sei, daß ein so hübscher junger Mensch dem Verderben verfallen sein solle.

Das Kegelspiel war eben zu Ende, als sie an der Bahn ankamen, bei der auch die Bursche kurz vorher sich aufgestellt hatten; man war eben daran, die Preise zu vertheilen, und der Kupferschmied des Orts machte sich daran, als Kegelkönig

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