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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen
Von Herman Schmid
(Fortsetzung.)


2.

Der Abend dämmerte bereits stark über die stillen Straßen und friedlichen Dächer von Aibling herein; die Werkstätten und die Fensterläden der Erdgeschosse begannen sich zu schließen; das Tagewerk war gethan, und die Glocken der Pfarrkirche läuteten die Zeit der Ruhe ein. Von der stattlichen Anhöhe schwebten die tiefen feierlichen Klänge über den friedlichen Marktflecken, der sich um den Hügel wie um eine Schutzwehr schmiegt, hinweg und in die sonnenrothe Landschaft hinaus. Aus der Tiefe der dunkelnden Häuser aber erscholl mit hellerem Tone das Glöcklein der kleinen Pestcapelle darein, als wäre es eine Antwort, daß die von oben tönende Botschaft des Friedens unten vernommen und verstanden worden sei.

Dennoch war es vor den Häusern noch lebhafter als sonst; wenn auch das Schreien und Spielen der Kinder verstummt war, stand doch hie und da ein Häuflein Nachbarn beisammen, denen der Stoff zum Gespräche nicht ausging, denn es war ja morgen Feiertag und obendrein Jahrmarkt, von welchem beinahe Jeder besondere Erwartungen hegte, und deshalb hatte auch Jeder vollauf von den Vorbereitungen zu erzählen, die er getroffen, um seine Pläne verwirklicht zu sehen. Auch in der Höhe war es noch keineswegs ruhig geworden; das bewiesen die verschiedenen Laute und Töne, die der abendliche Ostwind vom Hügel mitnahm und dann einzeln von den Flügeln schüttelte, wie zerstreute verflatternde Blüthen und Blumenblätter. Bald klang es wie Gesang heller fröhlicher Menschenstimmen, bald als ob Pfeife und Waldhorn zum luftigen Tanze bliesen. Dazwischen schollen in munterem Wechsel dumpfes Rollen und lautes Gelächter.

„Juhe, da geht’s noch lustig zu!“ rief ein Bursche, der mit mehreren andern aus der Thorhalle eines stattlichen Brauhauses am Marktplatze trat. „Droben auf dem Keller ist noch Alles lebendig – da gehn wir auch noch hinauf, da ist’s noch nichts mit dem Heimgehn.“ Es war eine abenteuerliche, beinahe etwas wüste Gesellschaft, der diese Worte galten: kecke, roh aussehende Bursche mit gebräunten und verwegenen Gesichtern, denen man es ansah, daß es ihnen nicht schwer fiel, bei harter Arbeit dem Wind und Wetter zu trotzen, daß sie es aber für ein unantastbares Vorrecht hielten, den durch eine schwere Woche mühevoll und langsam erworbenen Preis ihrer Anstrengung nach Gefallen in ein paar kurzen Stunden leicht und sorglos zu verjubeln. Es waren Arbeiter an der Eisenbahn, die eben damals zuerst ihre weltverknüpfenden Schienen gegen den Innstrom vorzuschieben begonnen hatte, aus mancherlei Gegend zusammengewürfelt, in mancherlei Gewand gekleidet, das ihnen aus der Zeit übrig geblieben, da sie noch einem andern minder unsteten Leben und Berufe angehört. Den Einen ließ die hellblaue Hose mit der vertragenen Spur des abgetrennten rothen Besatzstreifens als einen vormaligen Soldaten erkennen; ein Anderer hatte von den Tagen, wo er als Schlosser gearbeitet, Stücke eines Schurzfelles übrig behalten, die nun die Vorderärmel der Jacke als Ueberzug decken mußten; der Dritte ließ durch die verschossenen Ueberreste seiner Tracht, die Art, wie er das Halstuch geschlungen trug, und den gesteiften Hemdkragen errathen, daß er ein Stadtkind war, vielleicht ein Thunichtgut, dem, weil er nichts gelernt, nichts übrig geblieben war, als zu Spaten und Schaufel zu greifen. Die Uebrigen, mehr oder minder ländlich gekleidet, waren Bauernknechte, denen das freie ungebundene Herumschweifen lieber zu sein schien als der stets gleiche einförmige Dienst in irgend einem Dörflein oder gar auf einem waldverlorenen Einödhofe.

Auch Wolf war unter den Burschen – abstechend von ihnen durch die Frische und jugendliche Kraftfülle seiner Gestalt und Miene, wie durch wohlhabende Sauberkeit seines Anzugs, und doch unverkennbar ihnen verwandt in der lustigen Leichtfertigkeit, die über dem Vergnügen des Augenblicks weder der vergangenen noch der künftigen Stunde gedenkt und, der Eintagsmücke gleich, mit fröhlichem Summen über dem Pfuhle tanzt, der sie geboren – er war wie der Falke unter einer Rabenschaar, an Gestalt und Art von ihnen unterschieden und doch mit ihnen manchmal sich am Aase erfreuend. Er war aufgeregt. Sein glühendes Gesicht verrieth, daß er dem Gerstensafte weidlich zugesprochen haben mußte; der Hut mit Federstoß und Spielhahnfeder saß schräg gegen das Ohr zu, und die Enden der locker gewordenen Halsbinde hingen flatternd auf den grünen Hosenträger und den breiten Ledergurt herab, in welchen der Namenszug des Besitzers mit weißen Pfaufederstiften gezeichnet war.

Der Bursche in der blauen Soldatenhofe hatte seinen Arm in den Wolf’s gelegt und versuchte, den sich leicht Sträubenden gegen die Kirchgasse hinzuziehen, welche gemächlich ansteigend zum Keller hinaufführt. „Nichts da,“ rief er, „Du darfst noch nicht fort, Wolferl! Für das, daß wir heute nach so langer Zeit wieder so schön zusammengekommen sind, müssen wir noch beisammen bleiben! Wir gehen noch auf den Märzenkeller hinauf und trinken ein paar Stehmaß’ … weißt ja, wie’s im Schnaderhüpfel heißt …“ fuhr er fort, indem er mit hohen, widrig gellenden Fisteltönen zu singen anhub:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_383.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)