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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Bienenstöcken und Waldungen verübten Frevel, sondern auch alle anderen die Zeidelgüter, Forsthuben oder Waldungen betreffenden Irrungen, sogar daß, wenn Einer dieser Sachen halber bei einem andern Gerichte klagte, er seines Waldrechts beraubt wurde. Ueber das Zeidelgericht konnte kein anderes Gericht erkennen. Es übte seine Jurisdiction Jahrhunderte hindurch unbestritten aus, bis die preußische Occupation vom Jahre 1796 diese und alle andere privilegirte Gerichtsbarkeit beschränkte und behinderte.

Sechsmal im Jahre war der Gerichtshof in Thätigkeit. Ohne besondere Feierlichkeiten ging es im Mittelatter dabei nicht ab. Der geneigte Leser wolle mich im Geiste zu einer solchen Gerichtssitzung begleiten.

Es ist um’s Jahr 1588. Der ehrbare Rath der Stadt Nürnberg hat decretirt, daß am Dienstag nach Walpurgis das erste der sechs jährlichen Zeidelgerichte in Feucht abgehalten werden solle. Alle hierbei Betheiligten sind davon verständigt, alle Vorbereitungen getroffen worden. Die Herren Walddeputirten, sechs an der Zahl, und zwei Consiliarii verlassen in fünf herrschaftlichen Wagen, deren jeder mit vier prächtigen Rossen bespannt war, am Dienstag Morgen gleich nach Oeffnung der Thore die Stadt. Auf sehr primitiver Straße wird die Richtung nach Feucht eingeschlagen. Zwei mit Ober- und Untergewehr bewaffnete reichsstädtische Soldaten von der Nobelgarde der Einspännigen, ein städtischer Wagenmeister und ein Förster, sämmtlich beritten, bilden die übliche Bedeckung und reiten theils voran, theils hinterdrein. Neugierige sind schon in Menge auf den Beinen und lassen unter Vivatrufen den Zug an sich vorbeiziehen.

Bald jedoch ist er den Augen der Zuschauer entschwunden. Der Reichswald, der damals weit vor dem jetzt fleißig besuchten Vergnügungs- und Fabrikorte Dutzendteich seinen Anfang nahm, hat ihn aufgenommen. Nach nahezu einstündiger Fahrt kommt man zu dem freundlich in einer Waldoase gelegenen Dörfchen Altenfurt, das dem Kaiser Karl dem Großen seinen Ursprung und seine Capelle verdanken soll, und nachdem noch eine längere Strecke im Walde zurückgelegt und man um eine Straßenecke gebogen – da hört man Pferdegetrappel und sieht eine zahlreiche berittene Schaar in geringer Entfernung zu beiden Seiten der Straße aufgepflanzt. Es sind Feuchter Bürger, geführt von ihrem Förster, dem Postmeister und seinem Sohne, die zur Verherrlichung des Empfanges noch vier Postillons mitgebracht haben, die nun auf ihren Hörnern aus Leibeskräften blasen. Nach erfolgter respectvoller Begrüßung schließen sie sich den vorreitenden Einspännern an und geleiten die Gerichtsherren vollends nach Feucht. Unter dem Geläute sämmtlicher Kirchenglocken wird hier Einzug gehalten. Der Zeideloberrichter, nämlich der jedesmalige Waldamtmann von St. Laurenzerforst, der sich Tags vorher schon mit dem Gerichtsschreiber an Ort und Stelle eingefunden, empfängt die Herren und geleitet sie zu einem frugalen Frühstück in die zu Wirthschaftsräumen eingerichteten oberen Nebenzimmer im Gerichtsgebäude.

Mittlerweile sind auch die sämmtlichen Zeidler der benachbarten Orte, soweit sie nicht durch „rechtlich Ehehaft“ am Erscheinen verhindert waren, eingetroffen und lassen sich in den unteren Localitäten des Gerichtsgebäudes eine Kanne Weißbier schmecken. Meist sind es intelligent aussehende Bauersleute mit spitzigen „Dreimastern“ auf ihren Köpfen und langen, bis auf die Knöchel reichenden blauen Röcken. Sie scheinen eine Art Vorberathung zu halten, doch wird dabei mehr geflüstert als laut gesprochen.

Nach Verfluß einer Viertelstunde wird auf Verordnung des Oberrichters wieder mit sämmtlichen Kirchenglocken geläutet und in wohlgeordneter Procession geht es nun in die uralte Feuchter Kirche, wo nach Gesang und Gebet die Wichtigkeit des Tages und namentlich die Heiligkeit des Eides den Anwesenden zu Gemüth geführt wird; dann begiebt sich der Zug in der vorigen Ordnung in das Post- respective Gerichtsgebäude zurück und wird in den Gerichtssaal eingelassen. Der Oberrichter, die sechs Waldherren und die Consiliarii nehmen mit dem Gerichtsschreiber an einer langen Tafel Platz. Die Zeidler harren nach stehend der Dinge. Da erhebt sich der Oberrichter, empfiehlt sich den Herren vom Rathe zu fernerer hochgeneigter Unterstützung und Gewogenheit und ordnet die Besetzung des Gerichtes an, worauf sämmtliche Zeidler sich wieder aus dem Saale zurückziehen.

Zunächst werden nun die vier Feuchter Führer, gewöhnlich „Vierer“ genannt, berufen, die im Vorjahre mit dem Unterrichter die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten zu Feucht besorgten. Sie werden von den gesandten Herren gefragt, wie sich in diesem Jahre der „Unterrichter“ gehalten. Da sie sich mit seiner Amtsführung einverstanden erklären, wird er für’s laufende Jahr wieder zum Unterrichter bestellt, worauf man ihn eintreten und an der Seite des Oberrichters Platz nehmen heißt. Die „Vierer“ aber treten wieder ab. Hierauf werden vier der namhaftesten Zeidler aus der Gemeinde Feucht in den Saal berufen, um mit dem Unterrichter und den Rathsherren die Wahl der Vierer vorzunehmen. Auch hier wird keine Neuwahl nöthig. In dritter Reihe werden nun die zwölf Schöffen gemeinschaftlich von dem Oberrichter, den Rathsherren und dem Unterrichter erwählt und schließlich auch der bisherige Gerichtsschreiber und der Büttel bestätigt.

Nach der Beendigung der Wahlgeschäfte läßt man die Gewählten sämmtlich in den Saal treten, nimmt den Neuen einen förmlichen Eid ab und erinnert die früher schon Gewähltgewesenen durch Anrühren des schwarzen Richterstabes an ihre Pflicht. Ebenso wird mit den übrigen Zeidlern, die man nun herein läßt, bezüglich der Eidleistung verfahren und dann vom ältesten Rathsherrn folgende kurze Anrede gehalten:

„Liebe Freundt! Nachdem man von alter Zeit gutter gewohnheit herkommen nach St. Walburgentag, das Zeidelgericht unnd anderes zu befehen, zu ordnen unnd zu besetzen, Derhalben ich unnd meine Herren Collegen von einem erbern (ehrbaren) Rate, unsern Herren, bei solchem zu seyn, herausgeschickt worden, um deshalb nach unserm vermögen unnd gut bedünken helffen zu ordnen – Demnach bevelh ich euch anstat unserer Herren – Richter und Unterrichter in sachen ihres Ampths betreffend, gehorsam zu seyn.“

Nach Verlesung der Namen sämmtlicher Zeidler wurde dem Büttel befohlen, das Gericht zu verpönen, und dem Gerichtsschreiber die Bäcker-, Bierbrauer-, Wirths-, Metzgers- und Gemeindeordnung zu verlesen, worauf man zu den eigentlichen Verhandlungen schritt.

Angeklagt waren diesmal:

Die Ehefrau des Schneiders Sebastian Burkhardt zu Feucht und zwar deswegen, daß sie am Tage St. Sebaldi, den 19. August 1587, mit der Köchin des Schneiders Peter Balsam, ebenfalls in Feucht, einen Hader gehabt, dieselbe geschunden, geschmäht, … gescholten und dabei geflucht habe. Bei der Zeugenvernehmung stellte sich jedoch heraus, daß Beide sich gescholten, Schneider Balsam’s Köchin aber geflucht habe, was bei der etc. Burkhardt nicht der Fall gewesen.

Das Gericht erkannte zu Recht:

1) daß beide Parteien ernstlich sollen Frieden angeloben;

2) daß jede, insonderheit der ausgegossenen Schmachrede halber, zwei Tage und Nächte an die Bank mit dem Eisen gestraft werden solle; und

3) Balsam’s Köchin, weil sie geständigermaßen geflucht, zwei Sonntage nach einander vor die Kirche gestellt werden solle.

Angeklagt war ferner Herr Wolfgang Luder, Pfarrer zu Feucht, daß er am Sonntag vor Bartholomäi der Ordnung zuwider zu Linharden Thümbler’s gehaltener Kindtauf gegangen und allda gegessen und trunken hat.

Dagegen wußte der Herr Pfarrer Folgendes vorzubringen: „Ob man mir wohl von Alters her von jeder Kindtauf zehn Kreuzer zu Lohn zu geben schuldig – so ist mir doch in langen Jahren nie nichts an Geld gegeben worden, sondern ich bin dafür von Jedermann zu der Mahlzeit erfordert worden, wie Solches auch diesmal geschehen. Zudem ist an dem Ort nichts Unchristliches vorgegangen, daher ich denn unterthänigst gebeten haben wollt’, mich bei solchem Herkommen zu belassen; wo nit, den Unterthanen aufzulegen, mir fürder meinen Lohn, wie es von Alters Herkommen, (in Geld) zu geben.“

Auf diese Selbstvertheidigung hin wurde er der wider ihn aufgebrachten Rüge aus „angezeigter Ursachen“ für diesmal erlassen. Dagegen wurden zwölf Feuchter Bürger, die an der nämlichen Kindtaufe Theil genommen hatten, je mit einem halben Gulden gestraft. Endlich beschwerten sich die Feuchter „Vierer“ über die Ruinirung der Raine, die unordentliche Vorlegung der jedesmaligen Brodraitung, mangelhafte Fleischbeschau und Bieraich. Der Unterrichter erhielt gemessenen Befehl, diese Uebelstände

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_381.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)