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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


dargestellt wurde. Die Blätter wanderten von Haus zu Haus, und es ist eine schmerzliche Thatsache, daß die Gemeinde Pömmelte ihrem treuen Prediger den Kummer machte, sich zu Zweifeln an der Reinheit und Ehrlichkeit seines Charakters hinreißen zu lassen. Es gehörte eben Uhlich’s Persönlichkeit dazu, sie zu bekehren, und zuletzt baten die Männer selber treuherzig ihren Freund, ihnen zu verzeihen.

Die Lage Pömmeltes in der Nähe der Elbe und Saale verhängte im Frühjahr 1845 eine schwere Wassersnoth über uns. Alles, was niedrig lag, ward überschwemmt; einige Häuser stürzten zusammen, in andern flüchteten sich die erschrockenen Bewohner auf den Boden, um nachher durch die Dachluken gerettet zu werden, denn schnell stieg das Wasser haushoch. Wenige hochgelegene Orte mußten Menschen und Vieh zum Aufenthalt dienen. Dazu gehörte Kirche, Schule und Pfarrhaus. Und nur ein Kahn zum Retten! Man wußte sich zu helfen. Alle möglichen größeren Waschgefäße, Thorwegflügel wurden unsere Rettungsboote und unsere untere große Stube diente vielen Obdachlosen als einstweilige Unterkunft.

Uhlich’s ehemalige Pfarrwohnung in Pömmelte.

Zu unsrer größten Sorge hatte der Vater in Sachen des Gustav-Adolf-Vereins eine dreitägige Reise angetreten. Während seiner Abwesenheit kam die Noth. Gnadau war die nächste Eisenbahnstation; von daher mußte er kommen. Wir bestiegen, nach ihm ausschauend, Mittags unsern alten Kirchthurm. Richtig! da saß er lesend auf einer grasigen Erhöhung im Felde, als Sitz ein Paquet Bücher benutzend. Das war weitab vom Wege, der, wie Alles ringsum, überschwemmt war. Nur auf Umwegen konnte er dahin gelangt sein, und das stetig steigende Wasser hatte ihm jedes Fortkommen von dort unmöglich gemacht. Unser Ortsschulz, dem ein unternehmender Knabe, auf einem Thorflügel rudernd, die Nachricht brachte, wußte sich zu ihm hinzufinden. Aber erst spät Abends traf er bei uns ein. Er hatte, im untern Dorf anlangend, sofort rettende Hand angelegt, und ganz durchnäßt langte er endlich an. Der Schade, den das Dorf erlitten, wurde nachgerade überwunden. Meine Eltern halfen aus ihren Vorräthen, und auf meines Vaters Zureden halfen auch die Wohlhabenden aus dem Dorfe den weniger Bemittelten. So kam Alles wieder in’s Geleise.

Etwas anderes aber ging aus dem Geleise. Wislicenus’ inzwischen im Druck erschienene Rede hatte gewaltig die Gemüther aufgerüttelt. Die pietistische Partei erhob immer mächtiger ihr Haupt. Was sie beabsichtigte, bewies sie deutlich durch die Verhandlungen gegen Wislicenus, die diesem Amtsentsetzung in sichere Aussicht stellten. Die Verbote der Versammlungen folgten, und an meinen Vater erging das scharfe Verbot, seine Parochie nicht zu verlassen. – Man mußte nun wohl zu ihm kommen, und so wurde denn unser Haus häufig der Sammelpunkt bedeutender Männer. Das Pfarrhaus in Pömmelte hatte urplötzlich eine Berühmtheit erlangt, an die vorher schwerlich Jemand gedacht, trotzdem man über seine Altersschwäche und sonderbare Außenseite herzlich lachte.

Seit mehr als Jahresfrist war unsere Kirche Sonntags von Fremden überfüllt, die auch das ärgste Wetter nicht von diesem Kirchenbesuche abhielt. Das Himmelfahrtsfest 1845 brachte uns zwei Wagen voll Herren aus Magdeburg, Mitglieder des Kirchencollegiums zu St. Katharinen. Sie kamen im Auftrage ihrer Gemeinde, meinem Vater die zweite Predigerstelle an der Katharinenkirche anzubieten. Daß die Stelle geringer dotirt war, als die Pfarre in Pömmelte, konnte ihm kein Grund der Ablehnung sein, ihm, dessen Streben einzig und allein darauf gerichtet war, dem Allgemeinwohl zu dienen. Im October geschah die Uebersiedelung nach Magdeburg. Ich schweige von der tiefen Wehmuth, mit der wir Alle von dem traulichen Pfarrhause schieden. War es doch, als riefe aus jedem Winkel eine Stimme alle die frohen Stunden nach, die wir dort verlebt.

Der letzte Sonntag des September brachte die Abschiedspredigt meines Vaters, bei der heiße Thränen flossen. Der Abschied, als wir wirklich davon fuhren, war herzbrechend, und tief erschüttert verließen wir das Dorf. – Im April 1846 bekam ich von meinen Eltern die erbetene Erlaubniß, einige Tage in Pömmelte weilen zu dürfen. Ich ahnte das Herzeleid nicht, das mir bevorstand. Vom Fenster des Nachbarhauses aus sah ich Stein auf Stein seine gewohnte Stelle verlassen, denn – die Pfarre wurde niedergerissen. Bei meiner Abreise war nur noch ein wüster Schutthaufen vorhanden. Heute steht an derselben Stelle ein hübsches, bequem eingerichtetes Haus. In meiner Erinnerung aber lebt das alte Pfarrhaus mit seinem spitzigen Strohdach unverändert fort, darum habe ich versucht, dem Leser ein Bild davon und von dem ehemals darin herrschenden Leben vor die Seele zu führen.

Clara Uhlich.




Blätter und Blüthen.

Instinct oder Ueberlegung. Da in unserer Gegend die Staare noch nicht recht heimisch sind, wenigstens noch nicht in den Nistkästchen brüten wollen, so zog ich ein Paar junge Staare auf und ließ sie im Frühjahr 1871 in meinem Garten fliegen. Es dauerte nicht lange, so nahmen dieselben einen Nistkasten in Besitz und brüteten darin. Es war interessant zu sehen, mit welchem Eifer die Thierchen, die so zahm geworden waren, daß sie den Garten nicht verließen und nur in ihm ihre Nahrung suchten, alle Würmer und Insecten auflasen, die beim Graben und Hacken zum Vorschein kamen.

Eines Tages, als beide Staare gerade bei dieser Arbeit beschäftigt waren, stieß ein Lerchenfalke nieder, erfaßte das Weibchen fast vor meinen Füßen, und nahm es mit fort. Glücklicherweise jedoch wurde der Räuber durch Arbeiter erschreckt und gab die noch unbeschädigte Beute wieder frei. Aber, o Schrecken! kaum einige Tage darauf nahm derselbe Raubvogel das Männchen vor meinen Augen weg und flog mit demselben in einen entfernten Garten, um es dort in Ruhe zu verzehren; durch das überaus klägliche Geschrei des armen Staares wurde es indeß auch diesmal möglich, den frechen Räuber zu verfolgen. Durch einen glücklichen Steinwurf gelang es, den kleinen Gefangenen zu befreien. Leider aber war derselbe durch dieses Unglück so verletzt worden, daß er weder im Stande war zu fliegen noch sich auf seine Füße zu verlassen, deren einer ganz gelähmt war. Nach mehreren Tagen, während welcher ich den Staar in der Stube gepflegt und gefüttert hatte, war derselbe wieder so weit hergestellt, daß er sich nothdürftig fortbewegen konnte. Hierauf ließ ich ihn wieder in den Garten, und kaum war er im Freien, als er auch schon mit großer Mühe den Baum erkletterte, auf dem sich seine Jungen befanden, um einen Einblick in den Kasten zu thun. Von dieser Zeit an holte er sich unermüdlich seine Nahrung, welche aus frischen Ameiseneiern bestand, bei mir selbst, fütterte die Jungen damit groß und zog endlich im Herbst, da er sich bis auf eine kleine Lähmung wieder völlig erholt hatte, mit seiner ganzen Familie ordnungsgemäß nach dem Süden.

Sehr gespannt war ich im Frühjahr 1872, ob sich die Staare wieder in meinem Garten einfinden würden. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, da in den benachbarten Hölzern die Staare längst eingezogen waren, als in den ersten Tagen des April ein Paar Staare in den Garten kamen und denselben von einer hohen Fichte aus genau betrachteten. Sobald mich der eine Vogel bemerkte, kam er auf mich zugeflogen, schlug mit den Flügeln und fing in seiner Freude einen ganz merkwürdigen Gesang an, als wolle er mir die Erlebnisse seiner Reise erzählen. Dabei lief er mir häufig sogar durch die Füße, so daß ich mich sehr in Acht nehmen mußte, ihn nicht zu treten. Von nun an verließ mich der Staar während des ganzen Tags nicht wieder; er ging mit mir in’s Haus, ließ sich dort Leckerbissen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_365.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)