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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

durch den ältesten Sohn anmelden lassen. Es scheint, man prahlt jetzt einigermaßen mit einer Verwandtschaft, zu der man anfangs nur mit Widerwillen herabzusteigen geruhte. Seit unserem Betriebe und unseren Einrichtungen von Seiten der Regierung eine so außerordentlich schmeichelhafte Aufmerksamkeit zu Theil wird und man sich sogar höheren Orts dafür interessirt, sind die Werke ‚courfähig‘ geworden in den Augen des alten Aristokraten. Sein Schwiegersohn freilich war es schon längst, und ich dächte, der könnte sich auch jetzt mindestens in eine Reihe stellen mit den Windegs. Die ganze Rabenauer Majoratsherrlichkeit reicht nicht zur Hälfte an die Berkow’schen Besitzungen und den Einfluß ihres Chefs. Der Baron sieht nachgerade ein, daß er mit seinen Gütern sich in der Menge der anderen verliert, während wir eine Macht in der Provinz geworden sind, der Niemand die Anerkennung mehr versagt.“

„Es wird bei uns aber auch mehr geleistet als anderswo,“ sagte der Director. „Sie studiren jetzt überall herum an unseren Einrichtungen und Verbesserungen; nachgemacht hat es uns freilich noch Keiner.“

„Ja wohl, und wenn das so fortgeht, werden wir wohl bald bei der ‚philanthropischen Musteranstalt‘ angelangt sein, gegen die der selige Herr Berkow einst so entrüstet protestirte. Nun, Gott sei Dank!“ – der Oberingenieur hob mit großem Selbstgefühl den Kopf – „wir können’s ja jetzt! Uns kommt es ja jetzt gar nicht mehr darauf an, Summen, die Andere ängstlich in die Tasche stecken müssen, auf unsere Leute zu wenden, und die Summen sind nicht klein. Und doch ist es noch nicht allzulange her, wo wir nicht um Vermögen oder Einfluß, sondern allein um die Existenz der Werke kämpften, und nicht einmal die gerettet hätten, wären uns nicht gerade in der entscheidenden Krisis ein paar Glücksfälle zu Hülfe gekommen.“

„Und hätten sich unsere Leute nicht so ausgezeichnet benommen,“ setzte der Director ernst hinzu. „Es war keine Kleinigkeit für sie, ruhig zu bleiben, während die Wühlereien und Hetzereien in der ganzen Umgegend nicht aufhören wollten. Das Unglück in den Schachten hat Geldopfer genug gekostet, gerade damals, wo uns noch jedes Tausend schwer wurde, aber ich glaube, der Herr hat es nicht zu theuer bezahlt mit Dem, was er dabei an seinen Leuten gewann. Die Stunden der Angst und Gefahr, die er da unten mit ihnen getheilt, um ihre Cameraden zu retten, die vergißt ihm noch heute Keiner und wird ihm auch Keiner vergessen; so etwas kittet zusammen für die ganze Lebenszeit. Seit dem Tage haben sie ihm getraut, als er ihnen sein Wort gab, Alles wieder gut zu machen, wenn man ihm nur Zeit ließe, sich erst selbst Luft zu schaffen; sie haben redlich gewartet, und da ist es am Ende kein Wunder, wenn er jetzt mehr thut, als er verheißen hat.“

„Meinetwegen!“ sagte der College trocken. „Er kann sich jetzt immerhin einigen Luxus darin erlauben. Uebrigens ist es tröstlich zu sehen, daß man unter Umständen auch mit der Philanthropie glänzende Geschäfte macht, wie unsere Jahresabschlüsse beweisen. Sie sind weitaus bedeutender als unter dem früheren Regimente, dem man eine besondere Menschenliebe nun gerade nicht zum Vorwurf machen konnte, und doch wurde da herausgepreßt, was nur aus den Werken herauszupressen war.“

„Sie sind ein unverbesserlicher Spötter!“ zürnte der Director. „Sie wissen doch am besten, daß sich Herr Berkow nicht von solchen Rücksichten leiten läßt.“

„Nein, dazu ist er doch noch zu sehr Idealist!“ meinte der Oberingenieur, den Vorwurf sehr gleichmüthig hinnehmend. „Glücklicher Weise ist er es nicht mehr, als sich mit der Praxis verträgt, und er hat eine zu bittere Schule durchgemacht, um nicht zu wissen, daß die Praxis doch am Ende Grundlage und Hauptbedingung all’ solcher Bestrebungen bleiben muß. Ich meinestheils bin gar nicht für den Idealismus, das wissen Sie ja.“

Der Andere lächelte ein wenig boshaft. „Ja, das wissen wir Alle, aber sollte es sich nicht einigermaßen ändern, wenn ein so durchaus idealistisches Element wie unser Herr Wilberg in Ihre Familie eintritt? Das steht ja wohl nächstens bevor, Herr College?“

Der Director schien mit dieser Hindeutung dem Herrn Collegen einen kleinen Hieb versetzt zu haben, denn Jener verzog das Gesicht und fuhr ärgerlich auf.

„Reden Sie mir nicht auch noch davon! Ich höre es schon zu Hause genug. Das muß mir passiren, mir, der ich nichts so sehr verabscheue als Sentimentalität und Ueberspanntheit! Gerade mir hat das Schicksal einen Schwiegersohn aufgehoben, der Gedichte macht und Guitarre spielt! Der Mensch ist nicht wegzubringen mit seiner Bewerbung und seinem Geseufze, und Melanie will keine Vernunft annehmen. Aber ich habe noch nicht Ja gesagt, und es ist noch sehr die Frage, ob ich es thue.“


(Schluß folgt.)




Schloß Hohnstein in der sächsischen Schweiz.


Wie in der Familie, so giebt es auch in der Natur Aschenbrödel. Als solch ein armes, zurückgesetztes Wesen erscheint mir immer das alte romantische Schloß Hohnstein, das von steilem Felsen in die reichste Landschaft sieht, zu Füßen stille Wälder, anmuthige Thäler, kleine Gebirgswässer und wunderlich geformte Steinmassen, die sich, Geschiebe und Schichten bildend, in langen Ketten dahinziehen, oder losgelöst umherliegen, die Häupter geschmückt mit saftgrünem weichen Moos und dem graziösen Farrenkraut. Die Einsamkeit, die auf dem Ganzen ruht, theilt es mit all jenen Gegenden, die seitab von der Heerstraße liegen, und erhöht dadurch das Interesse des Touristen, der sein Ziel nicht in einer zerstreuungssüchtigen Menge sucht, sondern in einer Umgebung, die von jener noch möglichst unentweiht blieb.

Mit der Eisenbahn oder dem Dampfschiff erreichen wir Rathen, das unmittelbar an der Elbe liegt. Man blickt von dort auf den nahen Lilienstein, dessen großartige Umrisse das Vorurtheil arg beschämen, als müsse der sogenannten sächsischen Schweiz, gegenüber der wirklichen, durchaus der Stempel des Kleinlichen und Niedlichen aufgedrückt sein. Allerdings ist dieser Zuname wenig glücklich gewählt, und die alte Bezeichnung „Meißner Hochland“ oder „Elbgebirge“ wäre vorzuziehen, da sie weder zu Vergleichen noch Enttäuschungen herausfordert, namentlich bei Denen, die hier Gletscher oder Edelweiß suchen, und wohl am liebsten mit Gebirgsstock und Steigeisen kommen möchten. Ehe wir Rathen verlassen, sei noch auf dessen malerische Gebirgshäuschen aufmerksam gemacht, von denen viele wie Schwalbennester an der Thalwand kleben. Wegen der alljährlich eintretenden Elbüberschwemmungen haben sie nicht selten einen Rettungskahn, der zum Hausmöbel gehört.

Der schönste Weg nach Hohnstein führt durch den „Buttermilchgrund“ und ist bequem, jedoch für den Fremden nicht ohne Führer, in zwei Stunden zu erreichen. Auf der höchsten Spitze des Felsens liegt das von drei Seiten mit Abgründen umgebene Schloß, welches durch eine steinerne Brücke mit der Stadt zusammenhängt und sich in das alte und neue theilt. Sein Ursprung greift in die ältesten Zeiten der Geschichte Sachsens zurück. Böhmische Herren von Cluhmen, Clomen oder Lohmen waren angeblich die ältesten Besitzer der Pflege von Hohenstein. Historisch gewiß ist, daß gegen 1330 die böhmischen Birken oder Berken von der Duba hier residirten, welche schon in Urkunden des zwölften Jahrhunderts vorkommen. Lateinisch wurden sie „Barones de quercu“ genannt, weil Duba soviel als Eiche heißen soll, weshalb sie auch in ihrem Wappen zwei kreuzweis übereinandergelegte schwarze Eichenäste mit fünf Zacken führten, wie noch über einem innern Thor des Schlosses zu sehen. Gleich den Burggrafen von Dohna trieben auch die Duba viel „Plackereien“, das heißt, sie pflegten neben andern ritterlichen Anmaßungen vorzüglich das Raubwesen, und hielten es mit den Hussiten, was den in Stolpen residirenden meißnischen Bischof, Johann den Vierten, derart empörte, daß nach unendlichen Kämpfen Hohnstein endlich unter meißnische Hoheit kam. Friedrich der Sanftmüthige nahm es 1444 ein, „damit die Fürsten zu Sachsen des Gebirgs vom Böhmerwalde besser mächtig werden könnten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_359.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)