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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

schwingen – sie erklang wie ein tiefer, lange ausgehaltener Grundton, auf welchen dann ein vielstimmiger Accord bald zugleich, bald gebrochen in wechselnde Tonleitern majestätisch einsetzte. Th’res horchte hoch auf; ein schönes Licht brach aus ihren Augen, und sie winkte Wolf ab, um ungestört lauschen zu können.

„Sei nit harb, Wolf!“ sagte sie dann, als die Harfe in zitterndem Gesäusel ausklang. „Ich mein’s ja gut, was ich sag’, und ich sag’s auch nicht für mich und von mir, sondern einzig und allein für Dich selbst und wegen der andern Leut’. Ich thät’ Dich nit schänden – mir hast Du schon das Herz eingefüllt mit der Windorgel, die so lieblich geht, daß man glaubt, man ist in der Kirchen – aber Du solltest es doch bedenken, schon dem Bauern, Deinem Vater, zu lieb … Du weißt, er kann’s nit leiden, wenn Du Dich von der Bauernarbeit so wegschraubst … Du solltest doch auch zum Kornschneiden hinausgehen. Der Vater wird bald herunterkommen; wenn er Dich noch daheim und bei Deiner Baßlerei findet, nachher wird er wieder zornig; er ist ja eh’ gleich in der Höh’ … nachher giebt’s Verdruß, und den kann ich nit leiden …“

Wolf sah ihr, als sie geendet hatte, einen Augenblick schweigend in’s Gesicht; er begegnete ihrem freundlich bittenden Auge und schien unschlüssig, wie er ihr erwidern sollte; aber er drückte die gemüthliche Wallung nieder, die in ihm aufzusteigen begann, und sagte scharf und spöttisch, wie zuvor: „Ja, ja, es hat halt ein Jedes was, das ihm zuwider ist, der Vater und Du und ich auch. Weil Du gar so gut zureden kannst, muß ich halt gehen, aber nit dahin, wo Ihr’s haben wollt, sondern wohin es mich freut. Verstanden? Und wenn Du wissen willst für ein anderes Mal, was mir zuwider ist, so will ich Dir’s sagen … Wenn mir Eins einred’t und eine Lehr’ geben will, als wenn’s ein Schulmeister wär’ und ich ein kleiner Schulbub’ – das kann ich nit leiden.“

Die Stufen der Gräd hinanschreitend, war er rasch im Hause verschwunden und ließ das Mädchen in sehr gekränkter Stimmung zurück; es that ihr bitter leid, daß sie bei dem besten Willen wieder den Ton nicht getroffen hatte, der zum Herzen des Burschen sprechen sollte. Es war ihr altes Unglück – ohne sich einer wärmeren Neigung zu ihm bewußt zu sein, war sie doch seit Jahren bestrebt, ihm zu Gefallen zu leben und zu thun, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte, aber sie erreichte nichts damit; er schien ihre Bemühungen gar nicht zu bemerken oder nahm sie als etwas hin, was sich dem Sohne des Hauses gegenüber, der einst dessen Herr werden sollte, von selbst verstand. Ein unsäglich bitteres Gefühl zuckte ihr durch die Seele; sie fragte und erforschte sich selbst, womit sie denn eigentlich gefehlt habe und ob es denn sein Ernst sein könne, ihre freundliche Besorgniß mit so übermüthigem Hohne zu vergelten, und bebte erschreckend zusammen, als sie nach wenigen Augenblicken Schritte über das Fletz zur Thür kommen hörte. Wenn es ihn reute! Wenn er zurückkäme! Sie that nun ebenfalls, als bemerke sie nichts und sei ganz in die Betrachtung der herrlichen Morgenlandschaft versunken. Der Kommende hielt jetzt offenbar seinen Schritt an; er kam auf den Zehen näher, sie fühlte seine Nähe hinter sich und glaubte seinen Athem zu spüren … war das wirklich Wolf? So vertraulich hatte er sich ihr noch nie genähert, und doch – wer sonst als er durfte daran denken, es zu thun?

Jetzt legte sich ein Arm sachte um ihren Leib – sie wandte sich um und hatte sich, als sie ihn erblickte, mit einem kräftigen Rucke so vollkommen frei gemacht, daß der Angekommene, von dem Empfange überrascht, unwillkürlich zurücktaumelte – es war ein anderer, etwas jüngerer Bursche, der, wenn auch Wolf in Zügen und Gestalt nicht unähnlich, von ihm doch himmelweit verschieden war. Es war dasselbe Gesicht, aber der Ausdruck war ein ganz anderer: was bei Wolf heitere übermüthige Lebenslust war, prägte sich hier als derbe Genußsucht aus, und an die Stelle liebenswürdiger Geradheit und Offenheit war hin ein Scheinbild getreten, eine gezierte, übertriebene Freundlichkeit darauf berechnet, die hinterhältigen Gedanken und Absichten zu verbergen, die in den Augenwinkeln lauerten. Auch die Gestalt war derber und anscheinend sogar kräftiger entwickelt; Nacken und Hals waren die eines Stieres, für Pflug und Joch geschaffen.

„Du bist es, Dickel?“ rief Th’res überrascht, indeß ein Roth des Unwillens über seine Kühnheit und die eigene Täuschung in ihrem Antlitz aufloderte. „Was unterstehst Dich, Du frecher Mensch?“

„Dummes Ding,“ rief er mit boshaft funkelnden Augen entgegen, „was fällt Dir denn ein, mir einen solchen Renner zu geben? Bist etwan von Glas, daß man Dich nit anrühren darf? – Ich hab’ Dir ja nur einen ‚Guten Morgen‘ geben wollen …“

„Ich brauch’ keinen solchen ‚Guten Morgen‘!“ sagte Th’res und wollte der Thür zu, wohin er ihr aber den Weg vertrat. „Wohl bin ich von Glas; d’rum bleib’ mir vom Leibe, damit Du Dich nicht schneid’st!“

„Hoho, ich fürcht’ mich nit so leicht,“ rief Dickel entgegen, „wenn Du auch noch so wild thust, es wird nit gleich Scherben geben. Meinst, ich weiß nit, wie Ihr Madeln seid, alle miteinander – oder willst Du vielleicht eine Ausnahm’ sein? Ja, Du bist eine Ausnahm’,“ setzte er, näher tretend, in einem Tone hinzu, der zärtlich sein sollte, aber nur lüstern war, „denn Du, die Schönste von Allen – mir wenigstens gefallt Keine so wie Du, Du geschrecktes Bachstelzel, und ich möcht’ Dich zum Schatz haben! Schlag’ ein und gieb mir ein Bussel als Drangeld! Nachher sind wir ein Paar …“

„Laß mich meiner Weg’ geh’n,“ sagte Th’res und versuchte neben ihm in’s Haus zu schlüpfen, „wir Zwei haben nichts zu schaffen miteinander!“

„Was nit ist, kann ja noch werden,“ erwiderte Dickel noch zudringlicher, indem er sie ’am Rocke festhielt. „Ich mein’s gewiß aufrichtig mit Dir, und wenn ich auch den Lindhamerhof nit krieg’, weil ich der zweite Sohn bin, so wird doch schon auch für mich so viel herausspringen, daß wir uns ein ordentliches Heimathl kaufen können, und wenn Du Dich vor den Leuten scheust und willst es derweil nit wissen lassen – meinetwegen, mir ist’s auch recht! Mir ist’s noch lieber, da ist noch mehr Gespaß dabei, wenn alle Welt glaubt, man kann nit Fünfe zähl’n, und schön heimlich thut man doch, was Einen gefreut. Sag’ Ja, Th’res, und es wird Dich nit reu’n, und wenn’s auch in dem G’sangel heißt:

Die Liebschaft im Haus,
Die ist selten a G’winn,
Was man an Schuhen erspart,
Geht an Strümpfen dahin…

so laß Dich’s nicht anfechten – morgen ist Markt drunten in Aibling; da kauf’ ich Dir gleich ein paar Dutzend Strümpf’, damit Du nit zu sparen brauchst …“

„Geh’n laß mich, Du ausgeschämter Mensch!“ rief Th’res stampfend und Thränen des Zornes in den Augen. „Ich ruf’ den Vater oder ich kratz’ Dir selber die Augen aus. … Du willst mich zum Schatz? Und wenn die Männer so rar wären wie der Schnee um Johanni, so möcht’ ich von Dir nichts wissen, der sich nicht schämt und einem braven, ordentlichen Madl einen solchen Antrag macht …“

(Fortsetzung folgt.)





Am Wartburgthor.


Die Berge schmückt der Frühlingsschleier,
Und alle Wälder wachten auf.
Da hebt die Auferstehungsfeier
Zur Waldburg uns das Herz hinauf.

5
Wie trotzt der Pfad, in Fels gehauen,

Zu Fels ergraut des Thors Gestein!
Und acht mal hundert Jahre schauen
In ihrer Mauern Kranz herein.

Und acht mal hundert Jahre schreiten

10
Durch dieses Thor aus dem Gefild

Und tragen Bild um Bild der Zeiten
Durch dieses Thor auf ihrem Schild.
Da drängt’s den Geist, daß er berichte,
Was, Zug um Zug, ihm steigt empor,

15
Ein treuer Pförtner der Geschichte,

Das Aug’ versenkt in’s dunkle Thor.

Hell blitzt das Schloß weit in die Thale,
Verkündend allem deutschen Land,
Daß Thüringen zum zweiten Male

20
In seiner Stämme Ring erstand.

Tief in der Unstrut liegt die Krone
Vom hingesunk’nen Königshaus:
Hoch schaut von seinem Wartburgthrone
Der Löwe in die Welt hinaus.

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