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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

ein Unheil widerfahren, der sich an ihr versündige und aus ihr anders als mit reinen Händen schöpfe. Die Bewohner des Hofes hüteten sich daher wohl, ohne Geschirr zu schöpfen oder zu trinken, und seit Jahrzehnten war für Fremde, die etwa auf dem Fußpfade vorüberkommen und in der Kühle des Lindenschattens nach einem frischen Trunk verlangen mochten, ein kleiner Holzbecher an einem Kettlein im Boden festgemacht; war es doch einmal geschehen, daß ein Wanderer, der ermüdet und durstig mit der Hand aus der Quelle getrunken, todt am Rande derselben liegen geblieben war. Vermutlich war der Mann erhitzt gewesen und der rasche Genuß des eisig kalten Wassers war ihm tödtlich geworden; der allgemeine Glaube der Umgebung aber war und blieb, der Bann des Götzenpriesters habe ihn getödtet. Auch von dem Lehmgrunde erzählte sich das Volk und witzelte über den Reichthum des Besitzers, der zu den Bauernfürsten der Gegend gehörte: „der Lindhamer von Lindham sei zwar nicht steinreich, aber er habe den Teig, aus dem man Ducaten drehe.“

Der Lindhamerhof selbst war so seltener äußerer Umgebung und innern Eigenthümlichkeiten vollkommen entsprechend: das Wohnhaus zeigte sich als ein behäbig stattliches Gebäude nach Art und Brauch, wie sie in der Gegend von alter Zeit herkömmlich gewesen – alt und fest trug der Bau das Gepräge der Zeit, in der er entstanden war, ganz und unverändert und nur mit kleinen Ausbesserungen an sich, die allmählich im Laufe der Jahre nothwendig geworden waren. Die gegen Aufgang und Mittag gewendete Giebelseite erhob sich auf der breiten gemauerten Gräd, welche sich auch an den beiden Langseiten hinzog und, gedeckt von der rings um den ersten Stock laufenden Laube oder Altane, einen trocknen Umgang um das ganze Haus bildete. Zu beiden Seiten der Stufen, die vom Wiesplatz zu der Gräd hinauf führten, waren Sitzbänke mit Tischen anbracht, die mit Ringeln an der Wand ausgeschlagen und herabgelassen werden konnten, wenn Wind und Wetter einen Sitz im Freien erwünscht erscheinen ließen; zwischen denselben führte die Hausthür in das breite Fletz, die Hausflur, in deren Ecke rechts der große eichene Gesindetisch seine mächtigen vier Beine ausspreizete, während zu beiden Seiten Thüren in die Wohnstube und die Schlafkammer führten. Im Hintergrunde loderte dem Eintretenden das gastliche Feuer vom Küchenherde entgegen; nebenan führte eine Treppe in’s obere Stockwerk und hinter derselben aus halbangelehnter Thür tönte das Rasseln, Blöken und Schnauben, das die Nähe des Kuhstalles verräth. Das ganze Haus, im Erdgeschosse gemauert, in den übrigen Theilen aus schönem wurmfreien Lärchenholz gezimmert, machte einen ungemein wohnlichen, zur Einkehr ladenden Eindruck – von dem weißen Bewurfe des Mauerwerks hoben sich kräftig die braunroth angestrichenen Thürstöcke und Fensterläden ab, deren jeder wieder mit einem weißen Andreaskreuz verziert war; das von Alter und Wetter gebräunte Holzwerk bildete einen freundlichen Abschluß, hie und da an den Eckpfeilern oder am Gitterwerk der Laube mit dem Grün saftiger Hauswurz oder eines Nelkenbusches geschmückt, dessen rothe Blumen wie Feuertropfen daran herniederhingen. Ueber der großen Laube unter der spitzzulaufenden Dachschräge befand sich noch eine kleinere, welche zum Speicher und allerlei Vorrathskammern führte; der Giebel selbst war mit breiten braun und weiß bemalten Balken abgeschlossen, die sich in der Kreuzung in zwei Pferdeköpfe ausluden – ebenfalls ein Ueberbleibsel jener Tage, da noch den Heidengötzen Pferde geopfert und deren Köpfe zu Zier und Andenken auf den First des Hauses befestigt worden waren. Jetzt war zwischen ihnen das Zeichen des Kreuzes aufgerichtet, wie es, am Dreikönigstag mit Kreide angeschrieben, am Thürgerüst und auf dem gedruckten Haussegen prangte, der an der Thür selber angeheftet war, wie ein Schild alles Böse und alles Nidingswerk abzuwehren, das sich der Schwelle nahen möchte. Stall und Scheune, die sich in ansehnlichen Nebengebäuden nach rückwärts anschlossen, waren von einem weiten Grasanger umgeben, auf dem Obstbäume standen, die in dem Lehmboden in weit und breit beneideter Schönheit und Fruchtbarkeit gediehen. Die Linde, unter welcher der junge Bursche saß, stand einzeln seitwärts, wie ein von dem Lindenhaine zu Wacht und Spähe vorgeschobener Posten.

Der Bursche war eine ebenso männlich kräftige als jugendlich frische Erscheinung, schlank und gelenk von Gestalt, mit offenen angenehmen Zügen und einem Paar nußbrauner Augen, aus denen Heiterkeit und Frohsinn leuchteten; daß er raschen Sinns und beweglichen Gemüths war, ließ das gleichfarbige Kraushaar errathen, das in kurzen Ringellocken Nacken und Stirn umgab; auch daß er den kleinen Schnurrbart über dem etwas trotzigen Munde zu beiden Seiten in Spitzen aufgedreht trug, deutete auf die Gewohnheit hin, Alles im Leben, Scherz und Ernst, Arbeit und Vergnügen, scharf und schneidig aufzufassen. Saß auch über und in den Augen etwas von nachdenklichem Ernst, so trat es doch zurück über dem Ausdruck heiterer Leichtlebigkeit, die, nahezu an Leichtsinn streifend, als Grundzug seines Wesens zu erkennen war und wohl Jeden beim ersten Anblick für ihn gewann, wie er Jedem vergnügt, freundlich und leicht gewonnen entgegenblickte.

Er hatte einige Augenblicke an seiner Schnitzerei fortgearbeitet und dann dieselbe prüfend und betrachtend nach allen Seiten gewendet – jetzt blickte er auf, denn der Morgen war mit jedem Athemzuge höher und lichter heraufgekommen; der Wachtelschlag schmetterte jetzt laut und voll und hatte bereits die Lerche geweckt, daß sie, hellauf trillernd, mit kurzen Flügelschlägen in den Aether aufstieg, durch den jetzt ein rosiger Schimmer floß und sich an den Berghäuptern brach; unten aber, über der Ebene und an den noch angeschienenen Seiten der Berge hin zog einen Augenblick ein dunklerer Farbenton, kalt wie ein letzter Schatten der weichenden Nacht. Am Hausfirste wachten die Schwalben auf und begannen zu schwätzen und raschen Flugs durcheinander zu schießen; es war die junge Sommerbrut, der es galt, die Schwingen für die große Herbstwanderung zu üben und zu stärken. Jetzt zuckte es über dem abenteuerlichen Zackenhaupte des Heubergs empor wie Blitzfeuer und lodernde Glut; jetzt tauchte der Sonnenball vollends über die Schrofen herauf, und nun rollte und wallte der Lichtstrom blendend und überwältigend über Thal und Höhen; stärker schlug die Wachtel; jubelnd trillerte die Lerche; aus den fernen Kirchdörfern schwebte, vom Morgenwinde getragen, das halbverwehte erste Gebetläuten herauf. Während zuvor Alles reglos und in atemloser Erwartung gelauscht, hatte mit dem ersten Lichtstrahl sich ein frischer kühler Lufthauch aufgemacht, um als Flügelbote des Tages die Saaten und Grashalme zu beugen und in den Baumkronen zu rauschen.

Der Bursche hatte Holz und Messer auf die Bank gelegt, welche rund um den Lindenstamm lief; die Hände um die Kniee geschlungen, saß er vorgebeugt, wie betend, da und sah mitfeiernd in die Feier des werdenden Tages hinaus; stärker ging über ihm der Luftstrom durch die brausende Linde und vom Hause kam gleich einer Antwort ein tiefer mächtig anschwellender Ton, melodisch und feierlich, wie der Klang einer Orgel.

Zu gleicher Zeit war auch die Thür des Wohnhauses aufgegangen und ein Mädchen herausgetreten, das, wie von dem Anblick und den erhebenden Klängen überrascht, einen Augenblick in die Morgenpracht hinausschaute, dann aber daran ging, die Fensterläden zu öffnen und zu befestigen; es war eine mühlos einförmige Beschäftigung, und doch verrichtete sie dieselbe mit einer ruhigen Anmuth und sicheren Leichtigkeit, welche sogleich erkennen ließen, daß es eine wohl besonnene, mit sich selbst klare Seele sein mußte, die in der feinen geschmeidigen Gestalt hauste und aus den angenehmen Gesichtszügen sprach. Das Mädchen war nicht auffallend schön zu nennen, aber Alles an ihr war regelmäßig und stimmte so wohl zusammen, daß die ganze Erscheinung wohlthuend und harmonisch wirkte. Aus den dunklen Augen sprach Wohlwollen und Herzensgüte; in das schwache Lächeln aber, das um die feinen schmalen Lippen schwebte, war ein Zug zurückgehaltener Wehmuth gemischt und in den Mundwinkeln saß etwas, was sich sogar wie Verbitterung und Trotz ansah. Das Mädchen trug die einfache Bauerntracht der Gegend, dunkles Mieder und dunklen Faltenrock, über diesen war eine weiße Schürze gebunden, über jenes ein leicht geschlungenes blaues Seidentuch geknüpft; über dem Mieder und unter dem Tuche schloß sich das Hemd um den Hals und bauschte sich an den Schultern in kurzen Aermeln auf, die den geschmeidigen wohlgeformten Arm bloß ließen – es war Alles vollkommen schlicht und einfach und doch machte es durch Reinlichkeit und Genauigkeit den Eindruck, als habe die Trägerin eben begonnen, sich zu einem Feste zu schmücken. Das Einzige, worauf sichtlich

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