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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


hinaus. Wohl klopfte mir das Herz, als mein Schiff die schützende Bay verließ und nach Seemannsbrauch die Flaggen eingezogen wurden; aber mein Entschluß stand fest. Nach allen Seiten hatte ich Beobachtungsposten ausgestellt, die jeden auftauchenden verdächtigen Punkt zu recognosciren hatten – da naht sich eines der vielen vor der Bay von New-York stets kreuzenden Lootsenfahrzeuge, giebt mir das Zeichen zum ‚Stoppen‘, und als es näher kommt, erkenne ich darin einen mir befreundeten Lotsen, der, an der Seite unseres Schiffes angelangt, mir zuruft:

‚Capitain, auf Nordost kreuzt ein Franzose dicht vor Euch. Ihr könnt ihn nicht passiren.‘

‚Wißt Ihr, wie er heißt?‘ antwortete ich.

‚Es ist die Fregatte ‚Latouche Trouville‘!‘

Wunderbares Verhängniß! Da vor mir lag der Capitain, wahrscheinlich brennend vor Begierde, dem geschlagenen und gekaperten Feinde die empfangene Gastfreundschaft durch großmüthige Behandlung zu vergelten. Das Blut kochte mir, wenn ich daran dache, und in mir befestigte sich der Entschluß: du fällst nicht lebend in seine Hände.

Mein Befehl hatte gelautet: die Reise antreten, aber mich nicht fangen lassen. Diesem Befehle wollte ich wörtlich nachkommen. Ob ich auch die Reise glücklich vollenden würde, das stand in höherer Macht. Langsam in regelmäßigem Tempo geht der Dampfer seine Bahn – da ertönt vom Vordermast das erwartete Signal, alle Gläser richten sich auf den bezeichneten Punkt, und nach einigen Minuten ist er mit den Ferngläsern zu erkennen – es ist der Feind. Während wir den Cours nach Nordost halten, liegt er weiter nördlich, hat uns aber jetzt offenbar erkannt und versucht, unsern Cours zu gewinnen.

Jetzt ist der entscheidende Augenblick gekommen – die Vorbereitungen für diesen Fall sind längst getroffen –, ich gebe dem Ingenieur meine Befehle: in die Oefen fliegen die bereitgehaltenen Theer- und Petroleumfässer, und nach kurzer Zeit rasselt die Maschine mit verdoppelter Schnelligkeit, mit lautem ächzenden Geräusch, und wie von Geisterhand getrieben jagt meine alte ‚Westfalia‘ über die Wellen. Nie habe ich mehr gefühlt, wie sehr mein Herz an dem Schiffe hing, das ich seit so langen Jahren geführt hatte: da draußen der Feind, um uns bei erster Gelegenheit in den Grund zu bohren, da drinnen die tosende Maschine – ‚Herr Gott! nur eine halbe Stunde gieb dem Kessel verdreifachte Festigkeit!‘ betete ich. Wohl standen unsere Passagiere bleich zwischen der doppelten Gefahr, aber keiner verrieth ein Zeichen von Schwäche. Die See ging hoch, und das war unsere Rettung. Auch drüben wurde alles Erdenkliche daran gesetzt, uns zu gewinnen, aber das schwere Schiff wurde von den erregten Wellen von einer Seite auf die andere geworfen und kam nicht rasch genug vorwärts. Nach zehn Minuten banger, peinlicher Erwartung sahen wir, daß er uns nicht mehr erreichen konnte. Da dröhnt ein Schuß über die See, der letzte Ausbruch ohnmächtiger Verzweiflung – ein donnerndes Hurrah von unserem Bord antwortet darauf und triumphirend steigt an unserem Maste die deutsche Tricolore empor. Noch eine Viertelstunde, und das feindliche Schiff ist unserem Gesichtskreise völlig entschwunden. Zehn Tage später liefen wir im Hamburger Hafen ein.“

Der Capitain lachte mit herzlicher Behaglichkeit in der Erinnerung an seinen Sieg. Wir waren Alle lebhaft angeregt.

„Haben Sie seitdem nie wieder von dem ‚Latouche Trouville‘ und von dem Capitain gehört?“ fragte endlich einer unserer Gesellschaft.

„Als ich wiederum später nach New-York kam,“ erwiderte der Capitain, „sprach ich den Lootsen, der sich damals an Bord des spanischen Dampfers befunden hatte, und dieser erzählte mir, daß der Capitain bei der Jagd auf uns die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht habe und, als er die Unmöglichkeit, uns zu erreichen, eingesehen, wie wahnsinnig auf dem Deck herumgesprungen sei. Uebrigens hat er seine Schuldigkeit gethan, wie ich die meine; er war ein braver und liebenswürdiger Officier, und wenn ich ihn heut irgendwo träfe, würde ich ihm ebenso herzlich die Hand drücken wie früher und ebenso unbefangen mit ihm über unsere Begegnungen in so verschiedenen Situationen sprechen. Der ‚Latouche Trouville‘ selbst soll im letzten Jahre im Hafen von Havanna verbrannt sein. Von dem Capitain habe ich nichts wieder gehört. Das war aber“ – und dabei sah uns der Capitain mit glänzenden Augen an, – „ein Meisterstück meiner Maschine da draußen.“

M. Pulvermacher.

Ein Sommertagebuch. Allen Respect vor der Wahrhaftigkeit Johannes Scherr’s, – sie ist uns stets einer der werthvollsten Charakterzüge dieses Autors gewesen – aber an den jetzt von ihm gemeldeten Tod seines Freundes Jeremias Sauerampfer können und wollen wir nicht glauben. Stände nicht deutlich der Name Scherr auf dem Titel des „Sommertagebuch“ vom Jahre 1872, das er im Nachlasse des angeblich verstorbenen Freundes gefunden haben will und so eben (bei Schabelitz in Zürich) herausgegeben hat, es würde dennoch jede Zeile, jede Wendung dieses Büchleins ein verrätherischer Beweis sein, daß kein Anderer als der mannhafte Geschichtskündiger in Zürich diese wuchtigen Streiche geführt, aus ureigenster Geistes- und Herzenswärme diese Blitze geschleudert haben kann. Forschen wir also nicht indiscret den Gründen nach, die Scherr bestimmt haben, bekannte Seiten und Tonarten seines Auffassens und Urtheilens hier einmal als Aeußerungen eines Anderen in die Welt zu führen. Ernstlichen Protest nur möchten wir erheben, wenn er damit gesagt haben wollte, daß der alte Freund Sauerampfer in ihm todt und begraben sei, daß er fortan verstummen und nicht mehr als ein Lebendiger zu den Lebenden sprechen solle.

Denn mehr als den wohlgedrechselten und hochtönenden Bombast, an dem wir keinen Mangel haben, brauchen wir in dem vielfach so ungeklärten, auch vielfach noch so schlummerig und mattherzig sich bewegenden Wirrsalen unserer Tage den scharfen und schneidigen Hauch solcher aufrüttelnden Prophetenstimmen, wie sie erst im vergangenen Jahre aus Scherr’s „Hammerschlägen“ durch Herz und Nieren der Nation gedrungen und wie sie jetzt wieder aus diesem „Sommertagebuch“ des Dr. Sauerampfer eine Fülle nicht blos des Genusses, sondern auch der erfrischendsten Belebung in voraussichtlich sehr weite Kreise tragen werden. Eine etwas schwarzsichtige und gallicht gefärbte Lebensanschauung? Nun ja, der Verfasser hat etwas davon, er nennt das seinen „Pessimismus“, aber wir möchten den denkenden und fühlenden Menschen sehen, der nicht respectvoll vor dieser Eigenthümlichkeit sich bewegen sollte. Denn Scherr’s mit urkräftigem Humor gepaarter Pessimismus ist keine coquette Phrase, keine frivole Blasirtheit und krampfhafte Grille; widerhaarig und abweisend, stachlig und beißend, wie er da vor uns erscheint, ist er lebendige Frucht eines großen Denkens, ist er einem unbestechlich in das Herz der Dinge eindringenden „Scharfbeobachtungsblicke“ und einem kerngesunden und goldigreinen Grunde entsprossen.

Als dieser Grund aber zeigt sich uns ein gewaltiger Haß gegen das Schlechte, das Unreife, das Narren- und Lumpenhafte, wenn es im gespreizten Lügenmantel des Guten, Berechtigten und Gereiften einherstolzirt, zeigt sich aber ferner auch eine energische Theilnahme für alles Ernste und Tüchtige, alles wahrhaft Edle, Ideale und Poetische, die oft wie lachendes Frühlingslicht das Gewölk des begründeten Zornes zertheilt und dann in hinreißend weichen und warmen Liebestönen zu unserm Gemüthe spricht. Wie sollte also nicht hochinteressant und bewegend sein, was ein solcher Originalcharakter, ein so kenntnißreicher, im Leben und Wissen erfahrener, geist- und gemüthvoller Schriftsteller beinahe vier Sommermonate hindurch ungezwungen in sein Tagebuch geschrieben hat? In kurz hingeworfenen Schilderungen, Randglossen, Bemerkungen und Urtheilen verbreitet sich das frische Buch über die verschiedensten Erscheinungen und Fragen der Zeit und des Tages. Wie bunt und mannigfaltig sich aber auch alle diese eigenartigen Aeußerungen vor uns entfalten mögen, beherrscht und zusammengehalten und sie doch sämmtlich durch den kraftvollen Grundton, die „reine und große Flamme“ einer wahrhaft heiligen Liebe zum deutschen Vaterlande, der aufjubelnden Freude über seine neu errungene Einheit und Größe. Hoffen wir also, daß Scherr mit der Trauernachricht vom Absterben dieses schwer entbehrlichen Sauerampfer nur einen kleinen Faschingsscherz gemacht, daß Sauerampfer noch lange seinen angeblichen Nachlaß überleben und uns unter diesem oder anderem Namen noch oft mit solchen Tagebüchern bis in die innerste Seele erfreuen und ergreifen wird.

A. Fr.

Arthur Müller’s letztes Gedicht. Wiederum ist ein geist- und phantasievoller Mitarbeiter der Gartenlaube zu den Todten gegangen: durch eigene Hand starb zu München am 10. April d. J. der Dichter Arthur Müller. Die Leser der Gartenlaube erinnern sich gewiß noch der lebensvollen Aufsätze über das Luther-Denkmal zu Worms und über den Chiemsee, sowie anderer interessanter Artikel aus der Feder dieses talentvollen Schriftstellers. Wir glauben das Andenken desselben nicht besser ehren zu können als durch den wenn auch verspäteten Abdruck des nachfolgenden schwungvollen Sonettes, welches er wenige Stunden vor seinem freigewählten Ende niederschrieb. Das Sonett lautet:

Allmutter Erde – Deinen Sohn nimm auf!
Aus all dem Elend, der engherz’gen Kleinheit,
Der außen um mich kriechenden Gemeinheit,
Wie sehn’ ich mich, zu enden meinen Lauf!

Allmächtig zieht es mich hinaus, hinauf,
Mein Ich will lösen sich in der Alleinheit,
Und für den frischen Odem der Allreinheit
Schlag’ ich – wie gern! – dies Dasein in den Kauf!

Ich that mein Tagewerk! Ich hab’ gestritten
Für Schönheit, Wahrheit, Freiheit, und gelitten!
Was dieser wundenreiche Kampf mir läßt,
Ist einst’ger Kraft doch nur ein schaler Rest.
Allmutter Erde, gieb dem Müden Ruh’
Und laß ihn endlich wieder werden – Du!



Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist so eben erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:
E. Werner,
Verfasser von „Ein Held der Feder“ und „Hermann“,
Am Altar.
Roman in zwei Bändern.
8. Eleg. brosch.     Preis 2 Thlr.

Der Verfasser hat sich auf dem Gebiete der Erzählung, namentlich durch seine im vorigen Jahre in der Gartenlaube abgedruckte Novelle „Am Altar“, im Sturm einen allgemein beliebten Namen erworben. Durch seine gegenwärtig die Gartenlaube schmückende, bisher noch unabgeschlossene Erzählung „Glück auf!“ ist er in der Gunst des Publicums noch mehr gestiegen, so daß wir den Wünschen der vielen neu hinzugekommenen Abonnenten zu entsprechen glauben, wenn wir sie auf die Separatausgabe des obigen Romans noch besonders aufmerksam machen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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