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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Niemand von den Erben anwesend sein darf. Wer übrigens sich darauf verläßt, daß es schließlich in der letzten Krankheit immer noch Zeit sein werde, ein Testament zu errichten, der möge bedenken, daß es nicht von ihm allein, sondern auch von anderen unberechenbaren Zufälligkeiten abhängt, ob es möglich ist, den Entschluß auszuführen; denn es ist nicht immer sofort ein Notar zu erlangen, und bei den Gerichten, obgleich diese in dringlichen Fällen solcher Art alles Andere aus der Hand zu legen pflegen, kommt es nicht selten vor, daß alle richterlichen Beamten bereits durch andere, vielleicht auswärtige Dienstverrichtungen in Anspruch genommen sind.

Zweitens: wie soll man sein Testament machen?

Bei einem Testamente handelt es sich darum, den Willen einer Person zu beurkunden, welche zu der Zeit, wo der Wille in Kraft tritt und ausgeführt werden soll, nicht mehr unter den Lebenden weilt und deshalb selbst nicht mehr im Stande ist, über ihre Willensmeinung entstehende Zweifel zu lösen.

Daraus folgt nun, daß bei der Abfassung eines solchen Testamentes, bei Erforschung der wahren Willensmeinung und bei der Wahl des Ausdruckes mit ganz besonderer Vorsicht und Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen werden muß.

Glücklicher Weise haben wir die Zeiten des juristischen Schnörkelstiles hinter uns. Liest man Schriften aus jenen zum Theil nicht allzu weit zurück liegenden Zeiten, so kann man sich nicht genug wundern, welche Mühe man sich früher gegeben hat, unnöthiger Weise viele Worte zu machen, Worte von gleicher oder ähnlicher Bedeutung der deutschen, lateinischen und nicht selten auch der griechischen Sprache, die beiden letzteren germanisirt, nebeneinanderzustellen. Diese Art zu schreiben war aber nicht blos komisch, sondern sie hatte auch eine sehr bedenkliche Seite, indem sie zu vielen Streitereien und Rechtsverdrehungen Veranlassung gab.

Das Zweckmäßigste ist, wie bei allen wichtigen Schriftstücken, so namentlich bei Testamenten, so einfach wie möglich zu schreiben, den für das Verhältniß passendsten Ausdruck zu wählen, sich sodann aber auch dessen allein zu bedienen. Dieser Rath wird auch von Juristen nicht genug beherzigt, und es kommt der Fall nicht selten vor, daß ein Nichtjurist eine Urkunde zweckentsprechender abfaßt, als mancher Jurist, wenn er sich nur der einfachen Worte, welche das Verhältniß unzweifelhaft ausdrücken, bedient. Wenn man zum Beispiel schreibt: „N. N. in N. soll mein Erbe sein“, oder „N. N. in N. und X. X. in X. sollen meinen Nachlaß in der und der Weise unter sich theilen“, ferner: „mein Erbe soll dem O. O. in O. diese oder jene Summe in der und der Zeit nach meinem Tode herauszahlen, oder diesen oder jenen Gegenstand geben“, so weiß Jeder, was damit gemeint ist, und auch der geschickteste Rabulist wird nicht im Stande sein, über den Sinn dieser Worte Streit zu erregen.

Nun giebt es endlich noch eine äußere Testamentsform, in welcher es sich darum handelt, zu beurkunden, daß eine gewisse Bestimmung der letzte Wille einer Person gewesen ist. Man kann hier füglich die selten vorkommenden Fälle des Soldaten- und Pesttestamentes übergehen. Das mündliche Testament, bei welchem der letzte Wille vor einer gesetzlich bestimmten Anzahl von Zeugen, welche gewisse Eigenschaften haben müssen, erklärt wird, kommt jetzt in allen den Ländern, wo die Kunst zu schreiben das Eigenthum Aller ist, nur sehr selten vor. In Ländern mit geordneten Rechtszuständen kommt am häufigsten das gerichtliche oder notarielle Testament vor, indem der Staat durch seine Behörden, Gerichte oder Notare die Erklärung des Testators, daß das und das sein letzter Wille sei, beurkunden läßt und die darüber aufgenommene Urkunde so lange in Verwahrung nimmt, bis entweder der Testator dieselbe zurückzieht, oder sein Tod erfolgt ist, und nunmehr der Zeitpunkt eintritt, den letzten Willen in Vollzug zu setzen. Der Testator kann bei dieser Form des letzten Willens wählen, ob er das von ihm verfaßte und eigenhändig geschriebene oder doch unterschriebene Testament versiegelt dem Gericht oder dem Notar übergeben will, welchen Falls diese sich darauf beschränken, zu beurkunden, daß der Testator die Erklärung abgegeben hat, es befinde sich in dem Paquete sein letzter Wille, oder er kann auch vor dem Notar oder dem Gericht seinen letzten Willen erklären, und es wird dann von diesem in Form eines Protocolls oder einer Urkunde bezeugt, daß der Testator in der und der Weise letztwillig Verfügung getroffen habe.

Durch die wohl in allen Gesetzgebungen enthaltenen Bestimmungen über die Testamentsnachträge ist die Möglichkeit geboten, einem einmal errichteten und gerichtlich niedergelegten Testamente Ergänzungen beizufügen, ohne deshalb zu der Form der Errichtung eines neuen Testamentes gezwungen zu sein. Man braucht namentlich blos in sein Testament die Bestimmung aufzunehmen, daß ein nach dem Tode des Testators in dessen Verwahrung sich vorfindendes und als Testamentsnachtrag bezeichnetes Schriftstück dem Testamente gleich geachtet werden solle. Zu mehrerer Sicherheit kann man auch einen Ort angeben, wo der Testamentsnachtrag, das Codicill, aufbewahrt werden soll, kann auch eine besondere Form, wie versiegelt und vergleichen, vorschreiben.

Unsere dritte Frage: Wer ist moralisch verpflichtet, ein Testament zu machen? – erfordert eine ausführlichere Darlegung.

Im Allgemeinen kann man als Grundsatz aufstellen, daß in denjenigen Fällen eine letztwillige Verfügung zu treffen, ein Testament zu errichten nöthig ist, wo die Bestimmungen des Gesetzes nicht mit dem Privatwillen des Erblassers in Einklang stehen, sei es nun, daß sie demselben mehr oder weniger geradezu entgegenstehen, oder daß das Gesetz Verhältnisse nicht berücksichtigt, welche der Erblasser berücksichtigt wissen will. Denn obwohl im Allgemeinen jeder Mensch über das, was er sein Eigenthum nennt, sowohl unter Lebenden als auch für den Fall des Todes frei verfügen kann, so sind doch in manchen Gesetzgebungen dem Privatwillen bei Verfügungen auf den Todesfall bestimmte Schranken gesetzt.

Die Interessengemeinschaft der Familie, zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln ist nämlich eine so innige und vielgestaltige, daß sie bei dem Testamente nicht unbeachtet bleiben darf, falls etwa der Privatwille geneigt sein sollte, Einzelne der nächsten Angehörigen von der Erbschaft ganz auszuschließen. Deshalb ist wohl in allen Gesetzgebungen die Bestimmung enthalten, daß, sofern nicht gewisse gesetzlich genau bestimmte Fälle vorliegen, den Ehegatten, Kindern und Eltern, soweit diese zu Erben berufen werden, ein gewisser in einem Bruchtheil ausgedrückter und je nach den Verhältnissen steigender oder fallender Theil des Nachlasses selbst durch letztwillige Verfügung nicht entzogen werden darf, welcher Theil dann der ihnen gebührende „Pflichttheil“ genannt wird. Da aber die gesetzlichen Bestimmungen in dieser Hinsicht in den verschiedenen Ländern so außerordentlich verschieden sind, so kann es sich nach der Tendenz dieses Aufsatzes auch nicht darum handeln, systematisch diejenigen Fälle aufzuführen, in welchen ein Testament zu errichten als nöthig oder zweckmäßig erscheint, sondern nur einige und zwar die am häufigsten vorkommenden Fälle dieser Art durchzugehen.

Hat Jemand nur ein Kind und dieses soll seine ganze Habe erhalten, oder hat er mehrere Kinder, und an diese soll nach ganz gleichen Theilen die Verlassenschaft fallen, so bedarf es keines Testamentes, denn hier bestimmt das Gesetz das Nämliche, was der Privatwille im Testamente bestimmt haben würde. Ist es dagegen der Wunsch des Erblassers, daß gewisse Theile seines Vermögens anderen Personen, denen er vielleicht für langjährige treugeleistete Dienste sich verpflichtet fühlt, zukommen sollen, oder sollen gewisse Theile seines Vermögens bereits bestehenden gemeinnützigen Anstalten zu Gute kommen, oder auch dazu dienen, solche erst in’s Leben zu rufen, so wird es zweckmäßig, ja unter Umständen sogar durchaus nothwendig sein, diese letztwillige Verfügung in einem Testamente zum Ausdruck zu bringen. Sind nämlich die Kinder alle bereits mündig und der Erblasser kann sich auf ihre Gewissenhaftigkeit in dem Grade verlassen, daß er weiß, sie werden den gegen sie ausgesprochenen Wunsch auch ohne bindende Form respectiren und zur Ausführung bringen, so würde ein Testament nicht nöthig sein. Im entgegengesetzten Falle aber, und namentlich wenn eines oder mehrere der Kinder noch unmündig sind, wird die Errichtung eines Testamentes um so gewisser nothwendig, als außerdem die Ausführung des letzten Willens in Frage gestellt werden würde.

Hat Jemand ferner seinen Angehörigen oder Einzelnen derselben schon bei seinen Lebzeiten zu diesem oder zu jenem Zwecke Theile seines Vermögens zukommen lassen, oder ist er genöthigt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_343.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)