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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


der am Anfang der vierziger Jahre in Berlin von sich sprechen machte; es waren dies improvisiere Zusammenkünfte von Philosophen, die ein renommistisches Denken und Empfinden in die kecksten Ausdrücke kleideten und in deren Kreisen manche schöne Emancipirte mit der Cigarre im Munde erschien. Die Atmosphäre jener Zeit hat Robert Giseke in den „Modernen Titanen“ vortrefflich geschildert. Die „Kinder der Welt“ von Paul Heyse sind ein etwas späteres Geschlecht, das aber in gerader Linie von jenen Himmelsstürmern abstammt; sie streben mit gleicher Unerschrockenheit nach geistiger Freiheit; sie haben sich von allen Ueberlieferungen der Vergangenheit emancipirt; aber ihr Streben hat einen ernsten, oft schmerzhaft ernsten Zug, nichts Herausforderndes, nichts höhnisch Ueberlegenes, nichts von jenem Cynismus, welcher zur Zeit der Berliner Freien die geistige Atmosphäre verpestete – und das Deficit an religiöser Gläubigkeit, welches anders Gesinnte ihnen zum Vorwurf machen können, wird reichlich ersetzt durch einen Fonds echt menschlicher Tugenden, durch ein Freundschaftsgefühl, das zu jeder Aufopferung bereit ist, durch die strengste Wahrheitsliebe, durch den Haß gegen das sittlich Schlechte und Verwerfliche.

Der Fachphilosoph Edwin, dem die Studien des ewig Weiblichen durch die freundliche Geneigtheit stillhaltender Modelle erleichtert werden, ist der eigentliche Honorarprofessor des Romans, welcher an Ludwig Feuerbach erinnernde Collegien, aber stets in anziehender und geistreicher Form liest. Sein Bruder „Balder“ ist eine Gestalt, die man nur als eine „Jean Paul’sche“ bezeichnen kann: eine schöne Seele in einem kranken Körper, eine durch ihre Gebrochenheit verklärte Erscheinung. Dieser schwindsüchtige Jüngling, dem die Welt verschlossen ist, der nur seinen Träumen, seinen Idealen in stiller Arbeit an seiner Drechslerbank lebt, dessen einzige verschwiegene Neigung in so schmerzlicher Weise enttäuscht wird, und der für seinen Bruder einen schönen Opfertod stirbt, ist offenbar die am meisten dichterisch empfundene Gestalt des Romans, und es ist ein feiner Zug des Dichters, daß noch Balder’s Todtenmaske ein mit Zerrüttung bedrohtes Verhältniß, die gestörte Ehe seines Bruders, wieder in harmonische Bahnen führen hilft. Der Socialist Franzelius mit dem naiven Schuhmacherstöchterchen Regina, der epikuräische Mediciner Marquard mit seiner Soubrette, der tapfere athletische Mohr, sind die andern „Kinder der Welt“, und auch der Schuhmachermeister Feyertag, der aus Schopenhauer seinen Weiberhaß schöpft, gehört mit in diesen Kreis.

Die Vertreter der entgegengesetzten Weltanschauung bilden freilich kein genügendes Gegengewicht gegen diese jüngere Generation, die wie ein Fisch im Wasser in ihrem „Atheismus“, oder wie die Frommen diese Freigeisterei bezeichnen mögen, herumplätschert. Da ist der gute Zaunmaler König, der für seine kleinen Vordergründe einen großen Hintergrund braucht und denselben in dem Glauben der Väter findet, dem er mit großer Kindlichkeit und Innigkeit anhängt; da ist die Frau Professor Valentin mit ihren „frommen“ Strümpfen für wohlthätige Zwecke und ihren sauber gestrickten Katechismusgedanken, bei denen nie eine Masche fällt; da ist vor Allem der Candidat Lorinser, der heuchlerische Wollüstling, eine allerdings aus Jesuitenromanen hinlänglich bekannte Gestalt, welche von dem Dichter mit geistreicher Glaubenssophistik retouchirt ist. Der Graf und die Vertreter des aristokratischen Lebens sind mehr episodische Figuren. Paul Heyse weiß das Glatte und geistig Nichtssagende dieser Kreise trefflich zu schildern. Dabei gewinnen die Gestalten alle Leben durch einzelne frappante Züge; in den Scenen, die auf dem Schloß des Grafen spielen, zeigt sich Paul Heyse als eleganter Salonmaler, als ein moderner Watteau.

Und soll ich Ihnen, verehrte Frau, noch von dem Styl des Romans sprechen? Paul Heyse’s Grazie ist aus seinen Novellen und Gedichten bekannt; diese etwas kühle Grazie verleugnet auch der Styl des neuen Romans an vielen Stellen nicht; aber er ist an anderen auch wieder bewegter, leidenschaftlicher; es funkelt darin von Blitzen des Esprit und jener auf den Grund des Lebens untertauchende Tiefsinn, den wir in den anmuthigen Arabesken seiner Verse vermißten, giebt hier der Darstellung oft ein ernsteres Gepräge. Man fühlt sich angeregt, einzelnen Gedankengängen wiederholt zu folgen, während man über die leichtflüssigen Schilderungen seiner früheren Novellistik dahin gleitet, ohne das Bedürfniß, zu einer oder der andern Stelle zurückzukehren.

Man wird vielleicht behaupten, daß dieser Roman nur ein Bündel von Novellen sei, mit lockerem Faden zusammengebunden; jeder der Helden hat ja seine eigene Geschichte und die Berührungspunke derselben erscheinen als zufällig; doch alle diese Helden bewegen sich in demselben geistigen Fahrwasser, und die Contraste der Charaktere und Schicksale geben nicht nur eine künstlerische Beleuchtung, sondern sie ergänzen das Gesammtbild geistigen Lebens, wie es die modernen Kinder der Welt führen.

Freilich, für das große Lesepublicum, das die Blätter eines Romans mit fieberischer Spannung umzuwenden liebt, ist der Heyse’sche Roman nicht bestimmt, wohl aber für sinnige Gemüther, wie das Ihrige, welche sich in das wechselnde Geschick der Menschen, wie sie es sich selbst schaffen durch ihre Gedanken und Empfindungen, mit liebevoller Hingebung zu vertiefen wissen.




Ein erzbischöfliches Vogelhaus.


Das rege Bestreben, welches seit einem Decennium in den Bewohnern unserer schönen Alpenstadt erwacht ist, Salzburg aus einer engen, mit alten, dumpfen Festungsmauern umgebenen Stadt zu einem freien, freundlichen Orte umzugestalten, ein Bestreben, welches bereits erfreuliche Erfolge aufweisen kann, hat sich in diesem Jahre einem Gegenstand zugewendet, der lange unbeachtet sein kümmerliches Dasein gefristet und dem Zahn der Zeit beinahe zum Opfer gefallen wäre, wenn nicht einige Naturfreunde auf denselben aufmerksam gemacht und sich dessen Rettung zur Aufgabe gestellt hätten. Es ist dies das Vogelhaus am nördlichen Ende des Mirabellgartens, d. h. des zu dem ehemals kurfürstlichen und erzbischöflichen und jetzt kaiserlichen Lustschloß Mirabella gehörigen Parks. Dieses Versailles der geistlichen Herren ist von den Erzbischöfen Wolf Dietrich und Marcus Sittich am Nordfuß des Capuzinerbergs und unweit des rechten Salzachufers zum Sommeraufenthalt erbaut und ebendeshalb mit den prachtvollsten Gartenanlagen ausgestattet worden. Das Schloß brannte 1818 ab, ist aber als Eigenthum des Kaiserhauses, seiner Bestimmung entsprechend, restauriert und der Garten dem öffentlichen Zugang frei gegeben worden. Er gehört zu den beliebtesten, oft von Concertmusik belebten Luststätten der heiteren Salzburger und ihrer zahlreichen Sommergäste. Hier nun, und zwar jenem Platze zugewendet, auf dem ein neuer Stadttheil im Entstehen begriffen ist und als dessen Mittelpunkt man die in edlem römischen Styl gehaltene Badeanstalt betrachten kann, steht das Vogelhaus, dessen schön gewölbte Kuppel herrlich von wildem Wein umrankt ist und dem Auge durch sein mildes Grün den wohlthuendsten Anblick bietet.

Dieses Gebäude dient seit wenigen Monaten einer großen Anzahl hier einheimischer Vögel zum wohnlichen Aufenthalt. Es hat schon in frühern Zeiten diese Bestimmung erfüllt und war von den prachtliebenden erzbischöflichen Fürsten zwischen 1723 und 1748 erbaut worden. Der Name „Canarizimmer“ ist ihm damals zu Theil geworden, obwohl es kaum jemals blos zum Wohnort für Kanarienvögel gedient haben dürfte. Als mit der Säcularisation des Erzstiftes die Bedeutung des Mirabellschlosses und seines Gartens als Sommeraufenthalt der regierenden Erzbischöfe fiel, gerieth auch das Vogelhaus in Vergessenheit und diente nur als Rumpelkammer. Da traten 1872 mehrere Naturfreunde in der löblichen Absicht zusammen, die Kenntniß von den befiederten Bewohnern unserer Alpenwelt unter dem größern Publicum zu fördern und lebende Exemplare zur Ansicht vorzuführen, und zwar an einem Orte, der denselben die möglichste Freiheit und Bequemlichkeit bieten könnte. Hierzu war natürlich jenes alte Vogelhaus der geeignetste Platz. Schnell wurde mit bereitwilligster Unterstützung der Stadtgemeinde an die Restauration des alten Vogel-Tempels Hand gelegt und es ging daraus ein „Aviarium“ hervor, das wohl seines Gleichen in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_330.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)