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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


währte; denn so lange fühlte sie sich nach ihrer Privatmoral nicht zur Treue verpflichtet.“ Nachdem die Intrigue einige Monate gedauert hatte, erschien eines Tages die Schöne freudestrahlend vor ihrem Geliebten und meldete ihm auch sogleich den Grund dieser Freude.

„Denke Dir,“ sprach sie, „ich bin so glücklich, die Liebe meines Mannes wiedergewonnen zu haben. Ich komme deshalb, Dir dies zu sagen, damit Du Dich mit mir über dieses glückliche Ereigniß freuen mögest, aber zugleich auch, um von Dir Abschied zu nehmen, denn jetzt würde es unrecht sein, wenn wir uns in Zukunft noch sähen.“

Man kann sich denken, welchen sonderbaren Eindruck solche Sprache auf einen Europäer, der von der Liebe ganz anders denkt, hervorbringen mußte. Aber der Engländer, obgleich er nun erkannte, daß er nur die traurige Rolle eines Lückenbüßers gespielt hatte, machte doch gute Miene zum bösen Spiel, gratulirte ihr zum Friedensschluß mit dem Gott Hymen und fragte nur, um nicht allzu gleichgültig zu erscheinen, ob sie denn jetzt plötzlich Liebe für ihren früher so schnöde verrathenen Gatten empfinde, und ob er denn gar nicht mehr hoffen könne, sie jemals wieder zu sehen, worauf die Schöne folgende naive Antwort gab:

„Ob ich meinen Mann liebe? Natürlich! Wenn er mich wieder liebt. Ich war ihm nur untreu, weil ich mich von ihm verlassen fühlte. So lange er mich aber liebt, brauche ich keinen Ersatz. Sollte er jedoch abermals anfangen, mich zu vernachlässigen, so kann auch unser Verhältniß wieder von Neuem angeknüpft werden.“

Einer deutschen Leserin wird eine solche Denkungsart mit Recht verdammlich und wahrscheinlich auch unbegreiflich vorkommen. Aber man bedenke die von der unsrigen so abweichende Erziehung der Orientalinnen und ihre Stellung zu den Männern, ehe man einen Stein auf sie wirft. Der Orientale, welcher das Weib knechtet und es nicht viel anders behandelt, als einen schönen Vogel im Käfig, der kann vom Weibe auch keine würdige Denkungsart verlangen. Indeß, wie erwähnt, gehören solche Erscheinungen, wie die obigen, zu den ausnahmsweisen Absonderlichkeiten, wie sie das unnatürliche Haremswesen der Vornehmen mit sich bringt.

Im Mittelstand finden wir dagegen zuweilen die schönsten ehelichen Verhältnisse, wie sie selbst in Europa nicht besser gedacht werden können. Als ein Beispiel einer solchen glücklichen Ehe kann ich die Familie eines alten Mufti anführen, den ich im Jahre 1852 in Algier kennen lernte. Er besaß nur eine Frau, mit der er bereits die goldene Hochzeit hätte feiern können, wäre eine solche Feier dort üblich. Sie hatte ihm von ihrem sechszehnten Jahre an bis zu ihrem fünfzigsten eine große Anzahl von Kindern geboren, von denen noch achtzehn lebten, darunter über ein Dutzend Söhne, die ich alle kannte und deren Aeltester vom halben Jahrhundert nicht mehr fern war; der Jüngste war noch ein Jüngling. Alle diese Söhne sprachen mit einer seltenen Ehrfurcht von ihrer hochbetagten Mutter, freilich nicht oft und dann auch nur andeutungsweise, denn von Frauen überhaupt spricht der anständige Orientale fast nie; aber bei dem bloßen Namen „Mutter“ kam es wie ein frommer Schauer über sie. Der alte Mufti selbst sprach absolut niemals von seiner Frau, und zwar aus Achtung, denn je mehr der Orientale seine Frau achtet, desto mehr scheint es ihm eine Entweihung, ihrer im Gespräch zu erwähnen. Aber mir entging doch nicht das innige Verhältniß, in welchem er mit ihr lebte. Oft, wenn ich in dem den Männern vorbehaltenen Theile seines Hauses mit ihm und seinen Söhnen den Abend zubrachte, schlich sich der Alte plötzlich davon, um erst in einer Stunde wieder zurückzukehren. Frug ich nach seinem Verbleib, so genügte das einzige Wort „Imah“ (Mutter), bei dessen Klang plötzlich eine feierliche Stille eintrat, um mich aufzuklären. Der gelehrte Mufti verschmähte es nicht, einen Theil seines Abends bei seiner ihm an Bildung natürlich sehr nachstehenden, aber an Charakter vielleicht doch ebenbürtigen Gattin zuzubringen: eine Seltenheit bei Moslems, aber desto erfreulicher. Man sah die alte Frau nie. Sie schaltete wie ein unsichtbarer guter Geist im Hauswesen, aber ihr Ruhm, als einer exemplarischen Gattin und Mutter, war in der ganzen Stadt verbreitet. Dieses alte Paar war wirklich wie Philemon und Baucis. Als der Mufti hochbetagt starb, überlebte ihn seine Frau nur um wenige Wochen. Wie ich ihre Söhne fragte, woran sie gestorben, schüttelten sie nur die Köpfe und sagten: „Sie wollte eben dem Vater folgen.“




Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
XIII.


Sie gehören, verehrte Frau, nicht zu jenen Romanleserinnen, die ihren Bedarf aus den Leihbibliotheken beziehen und sich nicht scheuen, die gelesensten Bücher, die mit allen Odeurs de Paris behaftet sind, in die zarte Hand zu nehmen. Es ist dies einmal in Deutschland der Brauch; die gebieterischen Anforderungen des Salons erstrecken sich nicht auf die Lectüre; der Roman, den die fashionable Dame im Stillen liest, gehört zu den wenig ästhetischen Toilettengeheimnissen. Noch hat kein humoristischer Autor die Wanderungen eines Leihbibliothekenromans beschrieben, und doch hat ein solches Buch sehr viele Schicksale und Abenteuer, deren Erzählung vielleicht als eine Warnungstafel dienen könnte, solche ausgetretene Pfade nicht zu wandeln.

Ob indeß alle Wohlgerüche Arabiens, wie Lady Macbeth sagt, die kleinen zarten Hände der Salondamen wieder wohlriechend machen können, das ist, verehrte Freundin, nicht meine Sorge. Nicht Wohlwollen gegen die Damen der haute-volée bestimmt mich zu diesem Bedenken, sondern mein Interesse für die Literatur. Ich verkenne den Werth der Leihbibliotheken nicht, aber die besser gestellte Minderheit der Nation hat jedenfalls die Pflicht, durch Ankauf guter Dichtwerke und Romane für ihre Privatbibliothek die Literatur zu fördern. Dies ist in England und Frankreich der Fall. Alle namhaften Autoren prangen in den Bücherschränken; es gehört dies mit zur geistigen Toilette. Ob sie gerade gelesen werden oder nicht, das ist eine Frage, die in zweiter Linie steht; doch der gute Ton verlangt, daß man selbst besitzt, was man zunächst lesen will oder gelegentlich einmal lesen könnte. Dadurch wird den Werken bekannter Schriftsteller ein bedeutender Absatz gesichert, der in Deutschland zu den allergrößten Ausnahmen hört. Hier denkt der Romanverlag fast ausschließlich an die Leihbibliotheken; wegen des geringen Absatzes stellt er die Preise so hoch, daß der Ankauf für die Privatbibliothek erschwert wird.

Es kommt darauf an, verehrte Frau, daß die englische und französische Mode sich auch in Deutschland einbürgert. Hätten viele Damen der Hauptstädte ein so reizendes Leseboudoir wie Sie in Ihrem einsamen Schloß am Meere – es wäre damit der Ton angegeben, und an Nachfolge würde es nicht fehlen! Die Bücherschränke in den grünen Umrankungen, mitten in dem prächtigen Blumenflor – hier die Classiker, dort die neuen Lyriker, dort die Romanschriftsteller – dazu der schattige Balcon, der entzückende Ausblick auf die unendliche See – kann es eine einladendere Stätte geben, bald mit diesem, bald mit jenem geistigen Liebling sich zu unterhalten? Es bedarf hier keines Geisterklopfens, um sie herbei zu beschwören; man glaubt ihr unsichtbares Wehen und Weben zu empfinden, „den Geisterhauch, der ihren Zug umwittert“.

Ich bin heute so glücklich, verehrte Frau, Ihnen für Ihre Bibliothek einen neuen Roman empfehlen zu können, den dreibändigen Roman von Paul Heyse, „Kinder der Welt“.

Es giebt verschiedene Sorten von Romanen; die Aesthestik hat sich mit dem Sortiren große Mühe gegeben; aber immer neue Spielarten verwirren alle Grenzbestimmung. Nur die äußersten Gegensätze stehen fest – auf der einen Seite für das stoffhungrige Publicum der handlungsüberreiche Lieferungsroman mit seiner meistens derben und kunstlosen Holzschnittmanier, auf der andern der Roman der Geistreichen, der Roman der feinen Entwicklungen und sinnigen Betrachtungen.

Es ist wahr, der Roman von Paul Heyse gehört ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_326.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)