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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Persien, wo der schiitische Ritus den Abschluß einer Zeitehe (und zwar auf kürzeste Zeit; eine Stunde ist das Minimum) sehr erleichtert, soll es vorkommen, daß eine Wittwe mit irgend einem untergeordneten Manne, etwa einem Diener, einen Contract schließt, wonach dieser nur für die Dauer der Reise den Ehemann spielt. Indeß wird es den Frauen in ihrem Vaterland meist schwer, einen solchen provisorischen Tugendwächter zu finden. Was machen sie also? Sie begeben sich dennoch auf die Reise. Sie wissen, daß sie den Erwarteten (der nicht immer ein Ersehnter ist) in Mekka oder Medina finden werden. In diesen beiden Städten hat sich nämlich ein Geschäft ausgebildet, welches darin besteht, daß Männer, deren ehelicher Himmel nicht das vollzählige Viergestirn aufweist, gegen gute Bezahlung fromme Pilgerinnen für die Dauer der Wallfahrt in denselben aufnehmen. In diesem Fall wird die Ehe ganz regelmäßig geschlossen und nach beendigter Pilgerfahrt ebenso gesetzmäßig wieder gelöst. Meist sind diese Ehestandsverkäufer arme Teufel, Fremdenführer (denn dieses Geschäft blüht in Mekka), die wir Lohnbediente nennen würden. Sie stehen also gewöhnlich auf einer viel tieferen gesellschaftlichen Stufe, als die Damen, welche sie mit ihrer Hand beglücken, und diese würden sich schämen, zu Hause solche Eheherren zu besitzen. In sehr vielen Fällen sind die provisorischen Gatten denn auch nichts, als die unterthänigen Diener ihrer Zahlmeisterinnen. Ich kannte einen alten Fremdenführer in Mekka, einen kleinen verschrumpften Greis, der längst über das Alter hinaus war, wo man sich noch nach einer Gattin sehnt, und der dennoch mit dem Heirathen von Pilgerinnen ganz lucrative Geschäfte zu machen pflegte. Dieser Biedermann war während drei Viertheilen des Jahres Wittwer, während der Pilgermonate aber erfreute er sich eines vollen Viergespanns legitimer Gattinnen. Diese zahlten so gut, daß er das ganze übrige Jahr bequem davon leben konnte, behandelten ihn jedoch fast immer ziemlich verächtlich. Seine Thätigkeit beschränkte sich übrigens auf deren Begleitung auf der Straße und zur Moschee. In ihre Zimmer ließen ihn die Frauen, obgleich sie vor dem Gesetz seine Gattinnen waren, gar nicht hinein.

Daß ein solches Verhältniß zu einem bleibenden Bunde führt, soll nur sehr selten vorkommen. Diese Art von Ehemännern pflegt nur für die Reize des Beutels empfänglich zu sein. Indeß wurde mir ein Fall erzählt, wo von Seiten des Mannes wenigstens der Wunsch vorhanden war, das Verhältniß zu einem dauernden zu gestalten, nicht aber von Seiten der Frau. Diese, eine stolze, junge Wittwe aus Bagdad, hatte das Unglück, ihren gemietheten Eheherrn rasend verliebt in sich zu machen, so daß dieser, als die Zeit des Scheidens kam, nichts davon wissen wollte. Nach dem Buchstaben des Gesetzes konnte sie ihn nicht zur Scheidung zwingen. Aber sie besaß andere Mittel. Durch die schönen Augen ihres Geldbeutels wußte sie die ganze Zunft der Fremdenführer zu gewinnen, so daß diese das Benehmen des Mannes als eine Schmach für ihr Gewerbe erklärten und diesen zwangen, der Frau ihren Willen zu thun. Damit war aber seine Liebe noch nicht ausgelöscht. Sie blieb vielmehr so heftig, daß er ihr nachreiste. In ihrer Heimath, Bagdad, konnte sie nicht ausgehen, ohne diesen unbequem gewordenen Menschen sich ihr nachschleichen zu sehen. Blickte sie zum Haremgitter heraus auf die Straße, unfehlbar sah sie den Schmachtenden ihrer Thür gegenüber aufgepflanzt. Dies wurde ihr so lästig, daß sie, um mehr Schutz zu haben, der Werbung eines höhern Officiers Gehör gab. Aber auch der neue Ehebund schreckte den Verliebten nicht ab. Endlich klagte sie ihrem Manne ihr Leid. Das half. Schon am folgenden Tage war der Anbeter nicht mehr zu sehen. Sie war indeß doch neugierig zu erfahren, was aus ihm geworden. Aber sie fürchtete sich ihren Mann zu fragen. Lange blieb sie im Ungewissen. Da begegnete ihr eines Tages, als sie aus dem öffentlichen Bade nach Hause ging, ein Trupp türkischer Soldaten, in dessen letzter Reihe sie eine klägliche, abgehärmte Gestalt in Rekrutenuniform gewahrte, die ihr bekannt schien. Es war wirklich ihr unberufener Liebhaber und einstiger Gemahl, den ihr jetziger Mann mir nichts dir nichts unter die Soldaten gesteckt hatte. Jetzt aber begann das Gegenstück dieses Liebesromans: die Frau fühlte sich plötzlich von Mitleid bewegt über den, der aus Liebe zu ihr so viel leiden mußte. Das Mitleid führte zu einem wärmeren Gefühl. Ihr neuer Gatte war ihr auf einmal verhaßt geworden und sie beschloß, ihm die Hölle so heiß zu machen, daß er sich von ihr scheiden lasse. Diesen Zweck erreichte sie denn am Ende auch, mußte jedoch in den Händen des Officiers manche ihrer goldnen Federn lassen, denn auf’s Rupfen verstehen sich die türkischen Officiere vortrefflich. Nun war sie frei, aber der Liebhaber, der jetzt auch ein Geliebter geworden war, diente in der türkischen Armee. Sie wollte ihn loskaufen. Zum Unglück aber speculirte der Oberst des Regiments selbst auf die Hand der immer noch schönen und wohlhabenden Geschiedenen. Da machte sie sich nach Constantinopel auf, reichte dort bei Hoch und Niedrig Bittschriften ein, bestach rechts und links, bis sie endlich die Befreiung ihres Anbeters erkauft hatte. Damit reiste sie nach Bagdad zurück. Jetzt sollte der Abschluß des Romans durch eine Heirath erfolgen. Dazu konnte es jedoch leider nicht kommen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Hauptperson fehlte. Der Liebhaber war nicht mehr in Bagdad. Er war desertirt und Niemand wußte, wohin. Nun versank die Frau in Schwermuth und um sich zu trösten, unternahm sie abermals eine Wallfahrt nach Mekka. Dort mußte sie sich natürlich wieder nach einem Anstandsgatten als Tugendschild und Beschützer umsehen. Man verschaffte ihr bald einen solchen, und als sie ihn zu sehen bekam, fand es sich, daß es der Deserteur von Bagdad war. Diesmal soll die Verbindung keine bloße Anstandsehe geblieben sein. Dieses Stückchen ist vielleicht nicht wahr, aber jedenfalls „gut erfunden“, da es ein rechtes Bild von orientalischen Eheschicksalen giebt. Es ist eine Lieblingsanekdote der Fremdenführer, da es ihren Stand ehrt. Man könnte ein Lustspiel daraus machen, aber nur ein türkisches.

Daß in einem Lande, wo die Frau so tief gestellt ist, wo sie keine Erziehung genießt, wo man ihr keinerlei Vertrauen zeigt, auch ihr Charakter und ihre sittliche Würde oft leiden, wird man begreiflich finden. Indeß ist dies nicht in dem Grade der Fall, wie man vielleicht annehmen möchte. Beispiele von Untreue kommen allerdings vor, jedoch stets nur durch Schuld des Mannes, wenn er seine Gattin in ungebührlicher Weise vernachlässigt. Namentlich geschieht dies in den vornehmen Ständen, wo die Harems oft so zahlreich sind, daß auf jede einzelne Bewohnerin derselben wenig Rücksicht genommen wird. Manche sucht sich deshalb auf verbotene Weise zu entschädigen. An Vermittlerinnen, die ihr einen Liebhaber verschaffen, fehlt es nicht. Wie jedoch mit diesem zusammenkommen? Die Harems der Vornehmen sind fest verschlossen und von der schwarzen Schaar der Eunuchen treu bewacht. Hier giebt aber gerade die eifersüchtige Sitte den besten Ausweg an die Hand. In vielen Ländern des Orients nöthigt diese Sitte die Frauen zu einer so dichten Verschleierung, daß man sie eher eine „Gesichtsverpackung“ nennen kann. Eine so verschleierte Frau kann an ihrem Bediententroß, ja an ihrem eigenen Eheherrn vorbeigehen, ohne erkannt zu werden, außer allenfalls an ihren Kleidern. Diese vertauscht sie deshalb mit dem Costüm einer Frau von niedrigem Stande, und dazu giebt das Bad die beste Gelegenheit. Pomphaft gekleidet und dicht verschleiert, gefolgt von Sclavinnen und Eunuchen, begiebt sich die vornehme Frau in das öffentliche Frauenbad. Die Eunuchen lagern vor der Thür und erwarten die Rückkunft der Herrin, die gewöhnlich erst in einigen Stunden erfolgt, denn das Bad ist im Orient ein langwieriger Proceß. Inzwischen gehen die Frauen niedrigen Standes unbeachtet und unbegleitet ein und aus. In der Tracht einer solchen, die sie im Bade angezogen, verläßt auch die Vornehme das eben betretene Local, geht unerkannt und unbehelligt mitten durch die Schaar ihrer Wächter und begiebt sich in das von der Vermittlerin bestimmte Haus, wo sie den Liebhaber erwartet. Dies soll namentlich in Cairo sehr oft vorkommen, wo die übliche sehr dichte Verschleierung und das bescheidene, aber auch gut verhüllende Costüm der Fellahat (Bäuerinnen) die Täuschung sehr erleichtern.

Selbst Europäer kommen zuweilen dazu, mit einer vornehmen Cairierin eine solche Intrigue anzuknüpfen. Ich kannte einen in Cairo wohnenden Engländer, welcher einem ähnlichen Verhältnisse einen eigenthümlichen Einblick in die von der europäischen so verschiedene Denkungsart der Orientalinnen verdankte. „Von Liebe,“ sagte er, „war von Seiten meiner Schönen keine Rede. Sie suchte nur Zerstreuung, weil ihr Mann sie vernachlässigte, und auch dies nur so lange, als die Vernachlässigung

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