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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

und sie zu beobachten, da man sonst fast nie Gelegenheit dazu hat. Was nun aber Kreuzberg unter eigentlich seiner Dressur versteht, das hat er neuerdings wieder bewiesen durch die Vorstellung, welche er seit einigen Jahren mit den zwei schönen großen und prächtig gemähnten Löwen giebt. Früher vereinigte er, seiner Mittheilung zufolge, dieselben auch mit Hyänen und Bären, seit aber eine der Hyänen von dem einen Löwen todtgebissen wurde, sind diese Thiere nicht mehr aus ihrem Käfig herauszubringen, denn selbst die pöbelhaft freche und gemeine Hyäne hat ihr Leben lieb. Für den schönen Eindruck der Löwendressur ist übrigens dieses Fernbleiben der Hyänen nur vortheilhaft, da dadurch jede Störung wegfällt, und so geht denn diese Vorstellung auch stets glatt und elegant vor sich.

In dem Centralkäfig, wo diese Vorstellung stattfindet, hat gewöhnlich der Elephant seinen Stand, muß aber, ehe die Löwen eintreten, seinen Platz verlassen, um in dem von den Hyänen theilweise geräumten Menageriewagen der andern Seite Platz zu nehmen. Derselbe Elephant war bisher der seltene „weiße“ Elephant, wird aber jetzt, wenn ich nicht irre, nicht mehr so genannt. Er sah auch früher manchmal erstaunlich weiß aus und verdiente seinen Namen mit Recht. Warum das jetzt nicht mehr der Fall ist, ob das zunehmende Alter eine Aenderung veranlaßt, wer kann das wissen, da über weiße Elephanten eben ihrer Seltenheit wegen die Erfahrungen sehr karg sind.

Nachdem wir nun also den weißen Elephanten entlassen haben, betreten die beiden schönen Löwen den Raum. Der junge Kreuzberg (er leitet jetzt größtentheils die Vorstellungen) hat die Käfigthür geöffnet, und beim Heraustreten schmiegen sich die herrlichen Thiere behaglich im Vorbeigehen an ihn, ganz in der Weise der Katzen. Zunächst beginnt eine kleine Promenade, und bei dem Ausruf „ganzes Bataillon“ wandelt das ganze Bataillon, das heißt die beiden Löwen, hinter ihnen ihr Freund, einige Mal um den massiven, durch öftern Gebrauch etwas wackligen Tisch herum. Dann erhebt sich der eine Löwe, springt auf den vorgerückten Tisch und richtet sich auf den Hinterbeinen zu einem oben hangenden Brett auf, um einen Bissen Fleisch dort zu finden, und dann in schöner stolzer Haltung eine Zeit lang aufgerichtet stehen zu bleiben – ein herrlicher Anblick. Auch der andere Löwe richtet sich sodann, um seine Figur zu zeigen, am vordern Gitter auf, wobei sich Herr Kreuzberg jedes Mal an die Thiere anlehnt, um Gruppe zu machen und das Größenverhältniß zu zeigen. Sodann kommt die eigentliche Mahlzeit. Dazu richten sich beide Thiere auf, legen sich mit den Vordertatzen nebeneinander auf den Tisch und bekommen nun in reicher Auswahl „Hammelbraten, Schweinebraten, Coteletten, Beefsteaks, Roastbeef, Rinderbraten“; alles dieses, aus einem geschlachteten Pferde geschnitten, wird trotz oft wiederholter Vorstellungen immer mit Appetit verzehrt. Aber nun kommt die Krisis. Die Herren haben so reichlich gespeist und sollen bezahlen, aber das Geld fehlt. Herr Kreuzberg fordert sie erst gütlich auf, wird aber dann grob und hält dringend den Teller hin. Die Löwen grinsen ihn an, und endlich geben sie ihm – Jeder einen gründlichen Tatzenhieb auf seinen Teller, wiederholen denselben auch, wenn ihrem Wirth das Verständniß dafür nicht gleich aufgeht. Ueber solche Schlechtigkeit, solche Zechprellerei ist natürlich Herr Kreuzberg ganz entrüstet; er macht seinen Gästen die bittersten Vorwürfe, droht ihnen mit der Polizei, schließlich mit Hinauswerfen und ladet gewöhnlich das Publicum ein, ihm dabei behülflich zu sein, bis jetzt immer ohne Resultat. Zuletzt öffnet er die Thür und fordert die Herren auf, sein Local schleunigst zu verlassen. Der eine Löwe geht auch wirklich nach Oeffnung der Thür in seinen Käfig zurück; der andere aber hat sich behaglich hingestreckt und nimmt nicht die geringste Notiz von der Aufforderung, mag dieselbe auch noch so laut und ungestüm wiederholt werden. Da geht dem Wirth ein Licht auf; er erinnert sich, daß ja der Löwe der König der Thiere ist, man also sehr höflich mit ihm reden müsse. Er bittet nun in gebückter Haltung Seine Majestät um gütiges Verlassen des Locals, und jetzt erhebt sich der Löwe und wandelt ruhigen Schrittes in seinen Käfig zurück.

Wie sich diese Schlußeffecte der Vorstellung erklären, auf welchen Kunstgriffen sie beruhen, will ich nicht verrathen, da sonst ein großer Reiz für den Beschauer, und deren wünsche ich dieser Vorstellung recht viele, verloren gehen würde. Daß die Anrede mit „Seine Majestät“ dem Löwen, um mit Bebel zu sprechen, „ganz wurst“ ist, weiß ja Jedermann, aber gerade dadurch ist dieser Schluß um so effectvoller – man kann sich die Sache eben nicht gleich erklären.

Nach der Vorführung der Löwen muß dann der Elephant seine Künste zeigen, welche wohl Jedermann kennt und deren Erwähnung daher überflüssig ist. Er bleibt auch in dem Raume, bis die bei starkem Besuch öfter wiederholte Vorstellung mit den Löwen ihn von Neuem zum jeweiligen Verlassen desselben veranlaßt. Diese Vorführung der Löwen war die zweite der im Eingang dieser Zeilen angedeuteten Ursachen meines erhöhten Interesses, und wir sind somit bei der dritten, dem Gegenstande unsres Bildes, angelangt.

Es war, glaube ich, am vorletzten Tage des kurzen Aufenthalts der Menagerie, als ich dieselbe Abends betrat. Alles war bereits von uns in Augenschein genommen, auch der unternehmende Pavian, der jedem nahe genug Gekommenen sofort Hut oder Mütze vom Kopf riß, als wir langsam nach dem Platz vor dem Centralkäfig zurückgingen, in welchem der Elephant einsam und allein stand, eben mit dem Kopf nach der rechten Seite gewandt, um die Wand dieser Seite, zum wievielsten Male weiß ich nicht, zu betrachten. Man hatte ihn ganz kurz am Fuß angekettet, um ihn am Zerstören der Bretterwände, dem die Elephanten aus Langeweile sich stets mit Erfolg widmen, zu verhindern. Da – plötzlich werden wir gewahr, daß die Thür zum Löwenkäfig offensteht, und in demselben Augenblick erscheint auch schon der eine Löwe in der Oeffnung, und sein erster Blick mußte auf den Elephanten fallen, welcher mit dem Rücken ihm zugekehrt war. Bei dem Heraustreten aus dem Käfig war der Löwe dem Nichts ahnenden Elephanten bereits so nahe, daß ein Sprung gar nicht möglich war. Trotzdem war es ein herrlicher Anblick, als sich der Löwe beim Herauskommen und beim Gewahrwerden des Elephanten sofort auf den Hinterbeinen in die Höhe richtete und mit Macht seine Tatzen in das Hintertheil des Armen einschlug, wobei er den Rachen öffnete und das Opfer zugleich mit den Zähnen packte. Ich stand wie starr von dem fesselnden Anblick und verließ meinen Platz nicht, um keinen Augenblick von dieser Scene zu verlieren, denn die Stellung des Löwen war in der That der Mühe werth, studirt zu werden.

Der Elephant, der durch die Kette gehindert war, sich umzudrehen, und wegen des kurzen Halses sich nicht umsehen kann, war offenbar höchst betroffen über die sonderbare Last und strebte nach vorwärts, aber der Kette wegen vergebens. Als indessen jetzt die Klauen seines lieben Nachbars ihm durch die Haut drangen, erscholl sein Schmerzens- und Angstgebrüll, das Einzige, was er in seiner Lage leisten konnte, in einer die Bude erschütternden Weise. Dieses Gebrüll vermehrte besonders die Angst der noch nicht zahlreichen Leute auf dem ersten Platze, und wer noch nicht geflohen war, dachte jetzt daran – aber der Maler hielt immer noch Stand, was, beiläufig gesagt, gar keine Reclame für seinen Muth sein soll. Zugleich hatte aber das Gebrüll des Elephanten die Wirkung, daß der Löwe, wie es schien, plötzlich zur Besinnung kam, von seinem Opfer abließ und in seinen Käfig zurücklief. Jetzt erschienen auch einige der Wärter, welche in den ersten Augenblicken nicht in der Nähe waren, mit Stangen, gerade als der Löwe das Versäumte nachholen wollte und bereits wieder aus dem Käfig herauskam, um seinen Angriff zu wiederholen. Aber die drohende Stange scheuchte ihn zurück, das Gitter des Elephantenkäfigs wurde geöffnet; ein Wärter stieg hinein, schloß die Thür des Löwenkäfigs und damit auch die ganze Scene. Noch lange lief Mustapha, so hieß der Missethäter, aufgeregt in seinem Käfig hin und her, während der phlegmatische Pascha, sein Bruder und College, ruhig, wie während des ganzen Vorgangs, in seiner Ecke liegen blieb, als wäre für ihn die geöffnete Thür gar nicht dagewesen. Der Elephant hingegen schien sehr durch den nachwirkenden Schmerz genirt zu werden, denn er näherte sich nach Kräften von hinten der Bretterwand und suchte sich mit großer Betriebsamkeit an den wunden Stellen zu reiben. Die Spuren der Krallen sah man deutlich, obgleich nicht alle fünf Krallen, sondern nur ungefähr drei von jeder Tatze durchgegriffen hatten. Von der Wirkung der Zähne war Nichts zu sehen; jedenfalls hatte die große Fläche des Elephantenrückens dem Erfassen Schwierigkeiten geboten; übrigens erwies

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_323.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)