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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 20.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Hartmann schwieg. Eugenie blickte mit einem Gemisch von Grauen und Mitleid auf ihn hin. Sie wußte nur zu gut, daß die Anklagen gerecht waren, die er gegen den Todten schleuderte, und wenn auch sie im Augenblick der Gefahr selbst dem gehaßten Berkow die Hand zur Rettung geboten hätte, der Mann ihr gegenüber hatte kein Verzeihen und kein Vergessen gelernt; er ließ den Feind ruhig vor seinen Augen verderben.

„Sie haben mir die volle Wahrheit gesagt, Hartmann? Auf Ihr Wort und Ihre Ehre?“

„Auf mein Wort und meine Ehre, gnädige Frau!“

Sein Auge begegnete finster aber fest dem ihrigen; die junge Frau hegte keinen Zweifel mehr, als sie vorwurfsvoll entgegnete: „Und warum lösten Sie den Irrthum nicht? Warum sprachen Sie nicht zu den Anderen, wie jetzt eben zu mir?“

Ein Ausdruck herber Verachtung überflog seine Züge. „Weil es mir Keiner geglaubt hätte! Nicht ein Einziger, auch mein Vater nicht. Er hat ganz recht: ich bin maßlos wild und unbändig gewesen mein Lebenlang, habe Alles niedergeworfen, was mir im Wege stand, und mich nie darum gekümmert, was Andere von mir sagten; das habe ich jetzt büßen müssen. Sie wußten Alle, daß ich den Todten haßte, und nun das Unglück passirte, als ich dabei war, nun mußte ich es auch angerichtet haben. Da war gar kein Zweifel. Der eigene Vater hat es mir in’s Gesicht gesagt, und als ich nicht Ja sagen konnte, als er mich fragte, ob ich ganz unschuldig wäre an jenem Tode – ich brauchte ja blos den Arm auszustrecken, um ihn zu retten, und ich hatte es doch nicht gethan – als ich nicht Ja sagen konnte, da wollte er mich gar nicht weiter anhören. Er hätte mir auch nicht geglaubt, und wenn ich es ihm zugeschworen hätte. Dann habe ich es noch hier und da versucht bei den Cameraden, und wenn sie mir auch nicht widersprachen, so sah ich es doch an ihren Gesichtern, daß sie mich nun noch dazu für einen Lügner hielten. Betteln um ihren Glauben mochte ich nicht; so ließ ich es denn gehen, wie es gehen wollte; ich hatte ohnedies genug von ihrer Freundschaft und Cameradschaft. Wäre man mir mit den Gerichten zu Leibe gegangen, dann freilich hätte ich gesprochen; aber es wäre noch die Frage gewesen, ob mir auch da Einer geglaubt hätte.“

Eugenie schüttelte leise den Kopf. „Sie mußten sich den Glauben erzwingen, Hartmann, und Sie hätten es auch gekonnt, wenn Sie nur ernstlich gewollt hätten; aber Ihr Stolz und Trotz litten das nicht. Sie begegneten dem Argwohn mit Verachtung, und gerade das hat ihn bestärkt. Jetzt sind Sie verfehmt auf den ganzen Werken, bei den Beamten, bei meinem Gatten –“

„Was frage ich nach Herrn Berkow!“ fiel er rauh ein, „was nach all den Uebrigen! Ob sie mich verdammen oder nicht, mir gilt’s gleich. Von Ihnen, gnädige Frau, habe ich es nicht ertragen können, daß Sie sich mit Furcht, mit Verachtung von mir wandten, von Ihnen allein nicht, und Sie glauben mir jetzt, ich sehe es an Ihren Augen – das Uebrige ist mir Alles Eins!“

„Ich glaube Ihnen!“ sagte Eugenie ernst. „Und ich werde Sie meinem Gatten gegenüber wenigstens von dem schlimmsten Verdachte reinigen. Daß Sie nicht retteten, wo Sie retten konnten und mußten, darüber dürfen wir nicht mit Ihnen rechten. Das verantworten Sie vor Ihrem eigenen Gewissen! Aber Arthur soll nicht mehr glauben, daß der Mörder seines Vaters ihm gegenübersteht. Zur Versöhnung ist es freilich zu spät. Sie haben es zu weit getrieben. Ich weiß erst seit wenigen Stunden, was Alles geschehen ist und was vielleicht noch geschehen wird, wenn sich morgen der Angriff gegen die Schachte erneuert. Hartmann“ – die junge Frau beging die Unvorsichtigkeit, ganz nahe an ihn heranzutreten und bittend die Hand auf seinen Arm zu legen – „Hartmann, wir stehen an einer furchtbaren Katastrophe. Sie haben meinen Gemahl gezwungen, sich und die Seinigen auf jede Gefahr hin zu schützen, und er ist entschlossen, es zu thun. Wenn morgen Blut fließt, fließen muß, bedenken Sie, auf wen es fällt!“

Ihre Nähe, die Hand, die auf seinem Arme lag, verfehlten ihre Wirkung nicht auf Ulrich; aber die Wirkung war diesmal keine heilbringende. Seine Stimme verlor mehr und mehr die dumpfe Ruhe, indem er antwortete:

„Auf mich, meinen Sie? Nehmen Sie sich in Acht, gnädige Frau! Es könnte auch auf Sie fallen, wenn es zum Beispiel Jemanden träfe, den Sie lieben. Herr Berkow bleibt sicher nicht hier im Hause, wenn draußen gekämpft wird; das weiß ich, und ich weiß auch, wen ich mir zuerst suche, wenn der Kampf einmal los ist!“

Eugeniens Hand war schon längst zurückgezuckt, als sie selbst von ihm zurückwich. Sie hörte diesen Ton und sah zugleich einen Blick, der sie warnte; es war immer nur der gebändigte Tiger, der in der einen Minute noch ihrer Stimme gehorchte, um sich vielleicht in der nächsten schon mit seiner ganzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_317.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)