Seite:Die Gartenlaube (1873) 306.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


von Hautanhängen, zu denen bekanntlich Haare und Federn zählen, bei den höheren Wirbelthieren ein sehr gebräuchliches Ausdrucksmittel für Zorn und Schrecken, besonders wenn beide verbunden sind oder schnell auf einander folgen: dieses Aufrichten der Hautanhänge, das durch Zusammenziehen gewisser sogenannter glatter, unwillkürlicher Muskeln erfolgt, und das auch bei Kälte eintritt, ist eine vom Willen unabhängige Reflexthätigkeit, die man also nicht als eine zur Erlangung eines Vortheils erworbene Fähigkeit ansehen kann, die aber nichtsdestoweniger leicht eintritt und fast immer von absichtlich ausgeführten willkürlichen Bewegungen, die demselben Zwecke angepaßt sind, z. B. dem Zeigen der Zähne, bei Vögeln dem Ausbreiten der Flügel und des Schwanzes, sowie vom Ausstoßen wilder Laute begleitet ist. Das Eintreten dieser Reflexthätigkeit erklärt Darwin in folgender Weise: „Thiere sind wiederholt durch viele Generationen hindurch von Wuth und Schrecken erregt worden; in Folge hiervon werden die directen Wirkungen des gestörten Nervensystems auf die Hautanhänge beinahe sicher durch Gewohnheit und durch die Tendenz der Nervenkraft, leicht gewohnten Canälen entlang auszuströmen, verstärkt worden sein.“ – „Sobald bei Thieren die Fähigkeit des Aufrichtens hierdurch gekräftigt oder gesteigert war, müssen sie die Haare oder Federn bei rivalisirenden oder in Wuth gerathenen Männchen häufig aufgerichtet und den Umfang ihrer Körper vergrößert gesehen haben. In diesem Falle scheint es möglich zu sein, daß bei ihnen der Wunsch entstanden ist, sich ihren Feinden gegenüber größer und furchtbarer aussehen zu machen, und daß sie dabei eine drohende Stellung annahmen und rauhes Geschrei ausstießen; daß ferner derartige Stellungen und Laute nach einer Zeit durch Gewohnheit instinctiv wurden. Auf diese Weise dürften Handlungen, welche durch die Zusammenziehung willkürlicher Muskeln ausgeführt wurden, zu demselben speciellen Zwecke mit solchen, welche unwillkürliche Muskeln ausführen, combinirt worden sein.“

Vielen Säugetieren bieten Bewegungen ihrer Ohren ein charakteristisches Ausdrucksmittel. Wie verschiedene Seelenzustände vermag z. B. der Hund auf diese Weise auszudrücken! Es würde jedoch zu weit führen, den reichen Schatz interessanter Beobachtungen, den Darwin uns bietet, bezüglich der Ausdrucksformen bei verschiedenen Thieren, auch nur anzudeuten.

Wenden wir uns jetzt zu den besonderen Ausdrucksformen beim Menschen. Selbstverständlich kann aus der reichen Fülle des werthvollen Stoffes, den wir hierüber in Darwin’s Buche vereinigt finden, nur Einiges herausgehoben werden, und ich verweise dabei auf die Figuren umstehender Tafel, die nach einigen der das genannte Buch zierenden Heliotypieen durch den verdienten Porträtmaler der Gartenlaube, Herrn Neumann, mit bekannter Meisterschaft auf Holz gezeichnet wurden.

Wir beginnen mit dem Ausdrucke der Freude, die uns so unverkennbar aus dem glücklichen Kindergesichte (Figur 4) entgegenlacht. Heftige Freude führt zu mancherlei zwecklosen Bewegungen, wie Herumtanzen, in die Hände schlagen, Stampfen, und zum lauten Lachen; das Lachen scheint ursprünglich der Ausdruck großer Freude oder reinen Glücks zu sein; dies zeigen kleine Kinder so gut wie Blindgeborene, Blödsinnige und Geistesschwache. Wie das Lachen des Gekitzelten eine Reflexbewegung ist, so kann auch das ebenfalls unwillkürliche Lachen in Folge einer lächerlichen Idee, obschon nicht im strengen Sinne, doch in analoger Weise aufgefaßt werden. Laut und Bewegungen des Lachenden sind bekannt; ersterer wird durch eine tiefe Einathmung hervorgerufen, welcher kurze, unterbrochene, krampfhafte Zusammenziehungen des Brustkastens und besonders des Zwerchfells folgen, um dessen willen man sich bei heftigem, anhaltendem Lachen ja die Seiten hält und Einem der Bauch wackelt. Häufig zittert hierbei der Unterkiefer auf und nieder, wie das auch bei einigen Arten von Pavianen der Fall ist, wenn sie viel Vergnügen empfinden. Der Mund wird beim Lachen mehr oder weniger weit geöffnet, die Mundwinkel werden stark nach hinten, ebenso wie ein wenig nach oben, und die Oberlippe etwas in die Höhe gezogen. Dieses Rück- und Aufwärtsziehen der Mundwinkel vermitteln die großen Jochbeinmuskeln. Dazu werden auch einige der zur Oberlippe laufenden Muskeln in mäßige Thätigkeit versetzt; die unteren und oberen Kreismuskeln des Auges werden mehr oder weniger zusammengezogen. Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen den kreisförmigen und einigen der zur Oberlippe laufenden Muskeln. Durch dieses Rück- und Aufwärtsziehen der Mundwinkel und das Heben der Oberlippe werden die Wangen nach oben gezogen; es bilden sich charakteristische Falten unter den Augen, und eine scharf ausgesprochene Nasenlippenfalte läuft vom Flügel des Nasenlochs zum Mundwinkel herab. Dazu kommt ein helles Auge, in Folge der Spannung, die von der Zusammenziehung der Kreismuskeln und vom Drucke der in die Höhe gehobenen Wangen, hauptsächlich aber von einer durch beschleunigte Blutbewegung veranlaßten pralleren Füllung des Auges mit Blut abhängt. Dieses strahlende Auge, wie man zu sagen pflegt, ist für den Freudigerregten, den Lachenden bezeichnend. Bei sehr heftigem Lachen werden Thränen abgesondert, und zwar nicht blos bei den Europäern, sondern auch bei den verschiedensten Völkerschaften ferner Erdstriche.

Gehen wir nun vom Lachen, dem Ausdrucke der Freude, zum Weinen, dem Ausdrucke der Leiden des Körpers und der Seele, über. Wir müssen uns da zunächst schreiende Kinder vorstellen; Darwin’s Buch bietet eine ganze Auswahl von dergleichen. Wenn kleine Kinder schreien, und dies thun sie selbst bei geringem Unbehagen, so schließen sie ihre Augen fest, so daß die Haut rings um sie gefaltet und die Stirn gerunzelt ist. Hier scheinen die Augenbrauenrunzler die ersten Muskeln zu sein, welche sich zusammenziehen; sie ziehen die Augenbrauen nach unten und innen und verursachen zwischen ihnen senkrechte Stirnfurchen, während die beinahe zu gleicher Zeit sich zusammenziehenden kreisförmigen Muskeln Furchen rings um’s Auge hervorrufen. Zuletzt ziehen sich die Pyramidenmuskeln der Nase zusammen; sie ziehen die Augenbrauen und die Stirnhaut noch tiefer herab und erzeugen tiefe Querfurchen über den Nasengrund. Bei starker Zusammenziehung dieser Muskeln wird die Oberlippe gehoben, indem sich auch die nach ihr hinlaufenden Muskeln zusammenziehen, und durch dieses Heben der Oberlippe bildet sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln eine stark markirte Falte, ähnlich wie beim Lachenden. Das feste Schließen der Lider aber und der hierdurch ausgeübte Druck auf den Augapfel schützt den letztern vor der bei der Erregung während des Schreiacts unvermeidlichen Ueberfüllung mit Blut.

Ganz kleine Kinder vergießen noch keine Thränen, deren Absonderung später die so ganz allgemeine und bezeichnende Ausdrucksform für Leiden verschiedenster Art bildet und, wie bereits angeführt, auch beim heftigen Lachen erfolgt. Nach Darwin ist das Weinen das Ergebniß einer Kette von Vorgängen wie die folgenden: „Wenn Kinder Nahrung verlangen oder in irgend welcher Weise leiden, so schreien sie laut auf, gleich den Jungen der meisten anderen Thiere, zum Theil als ein Rufen nach ihren Eltern um Hülfe, zum Theil in Folge davon, daß jede große Anstrengung erleichternd wirkt. Lang anhaltendes Schreien führt unvermeidlich zur Ueberfüllung der Blutgefäße des Auges, und dies wird zuerst bewußter Weise und endlich gewohnheitsgemäß zur Zusammenziehung der Muskeln rings um das Auge geführt haben, um dasselbe zu schützen. In derselben Zeit wird der krampfhafte Druck auf die Oberfläche des Auges und die Ausdehnung der Gefäße innerhalb derselben, ohne mit Nothwendigkeit irgend eine bewußte Empfindung herbeizuführen, durch Reflexthätigkeit die Thränendrüsen afficirt haben. Endlich ist es durch die drei Principien, daß Nervenkraft leicht gewohnten Canälen entlang ausströmt, das Princip der Association, welches in seiner Wirkungsweise sehr weit ausgedehnt ist, und daß gewisse Handlungen mehr unter der Controle des Willens stehen als andere, dahin gekommen, daß ein Leiden leicht die Absonderung von Thränen veranlaßt, ohne mit Nothwendigkeit von irgend einer andern Thätigkeit begleitet zu sein.“

Für Seelenschmerz, für Gram und Sorge ist eine schräge Stellung der Augenbrauen und ein Herabziehen der Mundwinkel bezeichnend. Was die erstere betrifft, so wird sie dadurch erzeugt, daß die Zusammenziehung der kreisförmigen Muskeln, der Augenbrauenrunzler und des Pyramidenmuskels der Nase durch eine kraftvollere Zusammenziehung der mittleren Bündel des Stirnmuskels zum Theil gehemmt wird. Eine auffällige Folge dieser entgegenwirkenden Muskelthätigkeit sind die Furchen auf der Stirn. Eine Zusammenziehung des ganzen Stirnmuskels bildet Querfurchen über die ganze Breite der Stirn; ziehen sich aber, wie im vorliegenden Fall, blos die mittleren Bündel zusammen, so lagern diese Querfurchen nur auf dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_306.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)