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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Befehl im Vorzimmer ihrer eigenen Wohnung. Jetzt, wo alle Gemüther in Aufregung, alle Bande der Ordnung gelöst waren, konnte man ja nicht wissen, ob die Zügellosigkeit Einzelner sich nicht bis zu Angriffen oder wenigstens bis zum Eindringen in’s Haus verstieg. Unruhe und Sorge hatte die junge Frau hinübergetrieben in die Zimmer ihres Mannes, die auf dem anderen Flügel lagen und von dessen Fenstern sie ihn kommen sah; hier freilich war der Eingang unbewacht und sie ganz allein in diesen Räumen.

„Was wollen Sie hier, Hartmann?“ fragte sie, ihren Muth zusammenraffend. „Ich glaubte nicht, daß Sie nach Allem, was vorgefallen ist, es noch versuchen würden, unser Haus zu betreten und bis in die Zimmer Ihres Chefs zu dringen. Sie wissen doch, daß er Sie nicht mehr empfangen kann.“

„Eben deshalb suchte ich ihn, um ein paar Worte mit ihm zu sprechen! Ich dachte ihn allein zu finden. Sie suchte ich nicht, gnädige Frau!“

Er war ihr bei den letzten Worten näher getreten. Eugenie wich unwillkürlich in die Tiefe des Zimmers zurück; er lachte bitter auf.

„Was doch ein paar Stunden nicht alles ändern können! Heut Morgen forderten Sie meinen Schutz und stützten sich auf meinen Arm, als ich Sie mitten durch den Lärm führte; jetzt flüchten Sie sich vor mir, als ob Sie in meiner Nähe Ihres Lebens nicht sicher wären. Herr Berkow hat die Zeit wohl gut benutzt, um mich Ihnen als einen Räuber und Mörder hinzustellen, nicht wahr?“

Die feinen Augenbrauen der jungen Frau zogen sich zusammen, als sie ihre Furcht bemeisternd, kurz und herb entgegnete: „Verlassen Sie mich! Mein Gemahl ist nicht hier. Sie sehen es ja, und auch wenn er jetzt käme, würde ich Sie schwerlich mit ihm allein lassen.“

„Warum nicht?“ fragte Ulrich langsam, aber mit einem finsteren Aufblick. „Warum nicht?“ wiederholte er heftiger, als sie schwieg.

Eugeniens furchtloser Charakter hatte sie schon oft zu Unvorsichtigkeiten verleitet, und auch jetzt dachte sie nicht an die möglichen Folgen ihrer Worte, als sie, seinen Blick fest erwidernd, sich zu der gefährlichen Antwort hinreißen ließ:

„Weil Ihre Nähe schon einmal einem Berkow verderblich geworden ist!“

Hartmann zuckte erbleichend zusammen. Einen Augenblick schien es, als wolle er auffahren in seiner ganzen alten Wildheit, aber es kam nicht dazu. Die starre Ruhe blieb auf seinen Zügen, und seine Stimme behielt den dumpfen verschleierten Ton, den sie während der ganzen Unterredung gehabt hatte.

„Das also war’s!“ sagte er halblaut. „Freilich, ich hätte denken können, daß das zuletzt auch bis zu Ihnen den Weg gefunden hat!“

Die junge Frau sah mit Befremden diese Ruhe, die sie hier nicht erwartet hatte und die ihr trotzdem unheimlich war; aber gerade das reizte sie zu einem noch größeren Wagniß. Der heutige Morgen hatte ihr gezeigt, wie unbeschränkt ihre Macht war, und sie wollte schon um Arthur’s willen Gewißheit darüber, wer ihm im Kampfe gegenüber stand. Sie ahnte, daß die Wahrheit, wenn auch sonst aller Welt, doch ihr hier nicht verweigert werden würde.

„Sie wissen also, was ich meine?“ begann sie von Neuem. „Sie verstehen meine Hindeutung? Hartmann, können Sie die Gerüchte Lügen strafen, die sich an jene unglückselige Stunde knüpfen?“

Er schlug die Arme übereinander und sah finster zu Boden. „Und wenn ich’s nun thäte, würden Sie mir glauben?“

Eugenie schwieg.

„Würden Sie mir glauben?“ fragte er noch einmal, aber mit einem Tone, als hinge an der Antwort für ihn Tod und Leben.

Sie ließ den Blick über sein Antlitz gleiten, das dieselbe qualvolle Spannung verrieth wie seine Stimme; es war noch immer leichenblaß, dieses Antlitz, aber es war ihr jetzt wieder voll und ganz zugewandt.

„Ich halte Sie eines Verbrechens fähig, wenn Ihre Leidenschaftlichkeit gereizt wird – einer Lüge nicht!“

Die mächtige Brust Ulrich’s hob sich unter einem tiefen Athemzuge, und er trat, wie um ihr jede Furcht zu benehmen, noch einen Schritt zurück. „So fragen sie, gnädige Frau! Ich werde Ihnen antworten.“

Die junge Frau zitterte leise, als sie sich auf die Lehne des Divans stützte; sie fühlte die Gefahr einer solchen Unterredung mit einem solchen Manne, aber sie that dennoch die verhängnißvolle Frage.

„Man behauptete meinem Gatten gegenüber, es sei mehr als bloßer Zufall gewesen, daß die Seile rissen an jenem Unglückstage. Was war es, Hartmann?“

„Es war Zufall, oder noch etwas Besseres, wenn Sie wollen – Gerechtigkeit war’s. Unser Chef hatte eine Aenderung an dem Hebewerke anbringen lassen, wie Alles, was er that, nur für die Nothwendigkeit, nicht für die Sicherheit. Was that es denn auch, wenn ein paar Hundert Bergleute, die damit ein- und ausfahren mußten, Tag für Tag dabei in Gefahr kamen? Es wurde ja das Doppelte und Dreifache gefordert, die unsinnigsten Lasten wurden damit gehoben, und die Lasten thaten denn auch endlich ihre Schuldigkeit, nur traf es diesmal keinen von der Knappschaft, sondern den Herrn selber. Eine Menschenhand war es nicht, gnädige Frau, die die Seile gerade in dem Augenblicke reißen ließ, wo sie ihn tragen mußten, und die meinige war’s am wenigsten. Ich sah die Gefahr kommen; wir waren gerade bei der vorletzten Bühne. Ich wagte den Sprung hinauf, und ihn –“

„Ihn stürzten Sie hinab?“ fiel Eugenie athemlos ein, als er inne hielt.

„Nein! Ich ließ ihn nur stürzen. Ich hätte ihn retten können, wenn ich gewollt hätte. Eine halbe Minute war noch Zeit dazu. Freilich galt es mein eigenes Leben; er konnte mich mit hinunterrreißen, wenn ich ihm zu Hülfe kam, aber für jeden der Cameraden, für jeden der Beamten hätte ich das riskirt – für den Mann konnte ich’s nicht. Es schoß mir in dem Augenblick heiß durch den Kopf, was er uns Alles angethan hatte, und daß ihm nur geschah, was er uns täglich zugemuthet, um Geld zu sparen, und daß ich dem Himmel nicht in’s Handwerk greifen dürfe, wenn er ausnahmsweise einmal gerecht sein wollte. Ich rührte die Hand nicht trotz seines Geschreis, und in der Minute darauf war es auch zu spät – die Förderschale stürzte und er mit ihr!“


(Fortsetzung folgt.)




Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen.


Mittel des Ausdruckes. – Lachen und Weinen. – Unvermögen und Indignation. – Staunen, Hohn und Abscheu.


(Schluß.)


Werfen wir nach Darlegung der drei Darwin’schen Principien einen Blick auf die verschiedenen Mittel des Ausdrucks. Da ist zunächst vielen Thieren wie dem Menschen das Stimmorgan ein sehr wirksames Mittel. Ursprünglich mag eine bei starker Erregung des Nervensystems eintretende unwillkürliche und zwecklose Zusammenziehung der Muskeln der Brust und der Stimmritze Veranlassung zur Aeußerung von Stimmlauten gegeben haben, jetzt aber wird die Stimme von vielen Thieren zu verschiedenen Zwecken benutzt; auch scheint Gewohnheit bei deren Verwendung mit in’s Spiel gekommen zu sein. Die Stimme, weil sie unter gewissen, Vergnügen, Schmerz, Zorn etc. veranlassenden Bedingungen gewohnheitsgemäß als nützliches Hülfsmittel angewendet wurde, wird allgemein gebraucht, sobald dieselben Empfindungen oder Gemüthsbewegungen unter völlig verschiedenen Bedingungen oder in einem geringeren Grade angeregt werden. Daß die Thierreihe auch zahlreiche Fälle aufweist, wo Lautäußerungen nicht mit den Athmungswerkzeugen zusammenhängen, kann nur angedeutet werden. Stachelschweine rasseln mit den Stacheln; Störche klappern mit den Schnäbeln.

Nächst den Lautäußerungen ist das Aufrichten und Sträuben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_304.JPG&oldid=- (Version vom 16.8.2020)