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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und Jeder kann es gedruckt lesen, daß er der einzige Shakespearekenner und -Interpretator unter den versammelten Mimen Europas ist. Was ist dem gegenüber anzufangen!? Für jede Anordnung des Regisseurs hat er nur ein vornehmes Mitleidslächeln, um schließlich Abends doch zu thun, was er will; der Regisseur hat es deshalb auch längst aufgegeben, ihm Etwas zu sagen, und läßt ihn „in Geduld über sich ergehen“.

„Der kommt nicht mehr,“ sagt dagegen der große Petrutzky, „den habe ich klein gekocht, wie wir Polen sagen!“ Auf die Bemerkung des jugendlichen Liebhabers, daß es ihn interessire dieses Sprüchwort in der Ursprache kennen zu lernen, dreht sich Petrutzky um und beginnt von anderen Dingen zu sprechen. Der Charaktermime legt los; unser Regisseur windet sich, wie ein Aal in den Händen der Köchin, unter den haarsträubenden Cäsuren und Accentuationen; er betrachtet es aber als eine, und zwar eine der größten zeitlichen Bußübungen für seine zahlreichen Jugendsünden, und nach jeder Probe kommt er sich nun um so und so viel entsühnter vor.

Auch Petrutzky hat endlich ausgerungen – wieder ein Schritt näher zur Vollendung, aber „die Todten reiten schnell!“ Im dritten und letzten Act erscheint eine gefangene Phönicierin, die ungefähr drei bis vier Sätze zu sprechen hat. Leider ist die Repräsentantin dieser Rolle Morgens erkrankt, und man hat daher Fräulein Zellenhuber, die erste Soubrette von der schönen blauen Donau, ersucht, die Rolle zu übernehmen, um die Vorstellung zu ermöglichen. Die gutmüthige Wienerin hat sogleich zugesagt, aber der fünffüßige Jambus ist ihr ein böhmisches Dorf. So gleicht ihre Recitation der Fahrt über einen jener seligen Knüppeldämme, die uns in unserer Jugend so wohlthätig die Eingeweide durcheinander geschüttelt. Der Regisseur fügt sich in männlicher Entsagung und denkt mit Caspar im „Freischütz“: „So etwas sieht ein Gescheidter gar nicht!“ – Plötzlich aber schlägt das Wort „These-us“ an sein Ohr. Wie gestochen springt er empor: „Verzeihung, mein Kind, es heißt Theseus!“

„I bitt’,“ entgegnet das Fräulein, „es heißt These-us! – Meinen’s, daß i nix g’lernt hab? Mei Vada war Oberlieutenant und i bin in einer errschten Wiener Pension erzog’n wor’n. Da ham mer einen Lehrer g’habt, der uns das Oldgrichische beig’bracht hat, und der hat alleweil These-us g’sagt, und dös sag i aa.“

„Bei uns sagt man aber Theseus, Ihre Ansicht mag ja die richtige sein, aber ich muß schon bitten, sich den norddeutschen Gebräuchen zu fügen.“

„Dann lassen’s mich überhaupt aus mit den ganzen Roll’n! Was hab’ i in a so’nem Schmarr’n zu thun; anblasen thun’s mi doch nur! Geben’s Acht, der Lieutenant von Prittwitz da unten in der Logen, wann der mich sicht in grichchischen G’wandel, da fangt er glei zum Singen an: Aber so classisch, classisch, classisch nicht wie wir! Er sagt, es giebt nur mehr ein Stück und dös is die Galathee, weil i darin in der Tunique komme!“

„Aber, mein geschätztes Fräulein, das gehört ja gar nicht hierher; wir sprechen ja vom Theseus!“

„Hol ihn der Deixel und die ganze dalkete Rollen! I kann des nit, dös kann man net von mir verlang’n.“

Fräulein Zellenhuber beginnt zu weinen; Mayer zuckt vornehm die Achseln; der Regisseur wünscht im Innern, daß Griechenland, namentlich das alte, in’s Pfeffergebiet verlegt werde. Endlich gelingt es Fräulein Heloise, die im Leben eine große Freundin der Wienerin ist, Letztere zu beruhigen, und unter vereinzelten Nachschluchzern reitet sie glücklich den Knüppeldamm bis zu Ende. Auch dieser Sturm ist abgeschlagen, die Kräfte unseres Regisseurs fangen aber an, zu erlahmen. Nach einer Scene, die Fräulein Heloise mit einem jungen Anfänger gespielt, sagt er in verbindlichster Weise zu ihr: „Mein liebes Fräulein, Sie machen wohl die Scene mit dem jungen Mann noch einmal, bitte, achten Sie ein wenig auf ihn und unterweisen Sie ihn, wo es nöthig ist! Ich muß einen Augenblick auf’s Büreau!“

Damit verschwindet er. Scharfsinnigeren Beobachtern würde es nun freilich nicht entgehen, daß dieses Bureau die am Ende des Logenganges befindliche Restauration ist, wohin der dramatische Scepterschwinger seine Schritte lenkt, um den leidigen Adam zu stärken. Dasselbe herzliche Wohlwollen, dasselbe tiefinnige Verständniß, das er noch vor wenigen Minuten seiner Kunst und seinen Collegen bewiesen, trägt er jetzt einer Pastete und einem Glase alten Portweins entgegen, und die befriedigten Gourmandwinkel an seiner Lippe sprechen deutlich: „Jedes Ding zu seiner Zeit!“ Auf die Frage des Conditors: „Wie wird’s heute Abend?“ entgegnet er selbstverständlich: „Vortrefflich! gutes Stück! großes Talent!“ – denn er weiß, daß der Conditor das im Lauf des Nachmittags sämmtlichen Gästen erzählt, und unter diesen befindet sich der Hofmarschall nebst einigen Kammerherren von Dienst. Einer davon ist entschieden nach seiner Ansicht der Autor! Gestärkt tritt er den Rückweg an, die Tragödie liegt in den letzten Zügen; er hat nur noch Mayer’s Tod vor sich, der allerdings ohne vorangegangene Magenstärkung nicht zu überwinden gewesen wäre, also nur Muth. Auf dem Corridor steht Fräulein Zellenhuber; er geht stolz und gekränkt an ihr vorüber; die gute Seele aber, die Alles vertragen kann, nur keinen „Remasuri“, eilt ihm nach, zerrt ihn am Arm zurück und plauscht in ihrem verführerischen und reizenden Oesterreichisch:

„Geh’st her, bist noch bös, Buzi? Schau, die Susi is halt a Krauskopf und redt’ manchmal dumm daher, aber sie meint’s net so. I wer’ Dir auch heut Abend den Theseus und all’ die griechischen Trotteln bringen, wie’s Du’s willst, nur sei wieder gut! Geh’ her, ich geb Dir aa ’n schön’s Busserl!“ Damit drückt sie ihre frischen schwellenden Lippen herzhaft auf die seinigen und fliegt davon, wie eine Gazelle. Der Herr Regisseur streicht wohlgefällig seinen Schnurrbart und beschließt, die Susi öfter zu kränken, damit er öfter Gelegenheit habe, so angenehme Versöhnungsscenen feiern zu können. „Regiesporteln“ nennt man das in der Kunstsprache! Die Probe geht zu Ende. Mayer ist „hurtig mit Donnergepolter“ eines sanften Todes verblichen. Man drängt von allen Seiten zum Schluß; rechts und links werden Uhren auf und zu gekappt.

„Die Kinder müssen zur Schule,“ seufzt der Heldenvater.

„Wenn die Gans anbrennt, krieg’ ich einen Höllenlärm von meinem Mann; der ist Bassist und kann nie begreifen, warum die Proben im Schauspiel so lang dauern,“ jammert die Anstandsdame.

Unseres Regisseurs Sehnsucht steht endlich auch auf Schluß, und nachdem er Mayer im Triumph hat abtragen und eine natürliche Ermahnung zum nochmaligen Durchlesen der Rollen hat ergehen lassen, spricht er die heißersehnten Worte aus: „Ich danke, meine Herrschaften; die Probe ist beendet!“

Allgemeiner stürmischer Aufbruch. Beim Passiren der Treppe ertheilt er noch hie und da kleine Winke, als da sind: „Nur nicht zu zaghaft, Fräulein! – nicht überstürzen, lieber Schulze! – mehr Mienenspiel, bester Müller!“ etc etc. An der Thür angelangt, küßt er Fräulein Heloise devot die Hand, giebt als guter Hirt der übrigen Heerde seinen Segen, bleibt so lange beobachtend stehen, bis sich sämmtliche Schäflein in den Nebengassen zerstreut haben und schlägt dann eine der vier Windrichtungen ein, je nachdem sein Barometer auf Bairisch- oder Weißbier, Roth- oder Schaumwein gestiegen, respective gesunken ist.




Ein historisches Gebirgsthal.


Seit die Eisenbahn von Rosenheim her über Kufstein einen bequemen Eingang in das schöne Unterinnthal, in die tirolische Hauptstadt und gegen den Brenner zu geöffnet hat, sind es wohl Wenige, die noch die andere Tiroler Hauptstraße bereisen, eine Straße, die in jeder Beziehung mit jener sich messen darf, wenn man auch auf ihr nicht im bequemen Coupé dahinfliegen und die Meilen zu Minuten abkürzen kann, sondern den Weg in langsamem Wagen oder mittelst noch langsamerer Fußwanderung zurücklegen und die Schönheiten und Genüsse desselben mit müden Beinen erkaufen muß.

Diese jetzt vereinsamte Straße führt aus Baiern über den Würmsee, am Kochelsee vorüber und den Walchensee entlang oder durch das Loisachthal nach Partenkirchen, von dort in südöstlicher Abbeugung in das geigenkundige Mittenwald, bei welchem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_295.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)