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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


In tiefster Betrübniß kehrten die Seinigen nach Berlin zurück; daß Ada’s Myrthe von Cypressen verdunkelt wurde, that dem Mutterherzen der Frau von Treskow innigst leid; sie beschloß, sich nicht von der Tochter zu trennen, sondern ihr nach der neuen Heimath zu folgen, und ging daran, mit fester Hand die traute Häuslichkeit in Berlin aufzulösen. Trauernd sah Prinz Georg ihr zu; er ahnte, wie verwaist Herz und Geist durch die Trennung von der langjährigen Freundin sein würden. Seine Equipage hielt Stunden lang vor ihrem Hause. Er half sogar oft mit eigener Hand die Bilder und liebgewordenen Hausgeräthe in die Kisten und Kasten verpacken, die wie Särge einer schönen Vergangenheit dastanden, und geizte mit jeder Stunde, die er noch in dem Treskow’schen Hause zubringen konnte.

Um diese Zeit war ich als Wittwe von Frankfurt an der Oder nach Berlin gezogen; gemeinsame Erinnerungen an erstere Stadt und gleiche Trauer führten mich mit Frau von Treskow zusammen. Ich hatte den Prinzen Georg bei ihr kennen und werthschätzen gelernt; in einem Anfluge von Humor sagte ich einst, sie solle mich zur Erbin des Reichthums, den sie in Berlin hinterlasse, ernennen. Wehmüthig lächelnd gab sie mir dieses Versprechen und hat es gehalten. Durch ihre freundliche Fürsprache ist es mir zu Theil geworden, daß der Prinz Georg mir zuweilen sein Ohr leiht und mich in meiner bescheidenen Klause, die von den gütigen Berlinern „Salon“ genannt wird, mit seiner Gegenwart erfreut.

Frau von Treskow lebt seit beinahe sieben Jahren in Italien, wo ihre Tochter glücklich verheirathet ist. Prinz Georg steht noch im lebhaftesten Briefwechsel mit Frau von Treskow. Erst kürzlich hat sie ihm das Bild ihres Enkelsohnes – ein Raphael’sches Engelsköpfchen – zugesendet. Der Prinz fährt zuweilen langsam durch die Straße, wo seine Freundin gewohnt hat, und gedenkt der Vergangenheit mit sinnendem Auge.

Der hohe Grad von Werthschätzung, den der Prinz für Frau von Treskow an den Tag legte, wurde in manchen Gesellschaftskreisen allerdings „unbegreiflich“ gefunden, denn gar viele Augen sind blind für den Glanz des Geistes und die Schönheit der Seele, woran sie so reich ist. – In dem reizenden Romane „Fiamma“ hat Günther von Freiberg der Lesewelt ein treues Spiegelbild dieses schönen Zusammenlebens und dieser edeln Dichterfreundschaft geschenkt.

F. v. Hohenhausen.




Blätter und Blüthen.

Für das Studium unserer neueren Literatur. „Wenn dieses Werk dazu dient, der geistigen Entwicklung unserer Nation in diesem Jahrhundert einen rühmlichen Denkstein zu setzen, wenn es das Interesse der Gebildeten, das sich an einzelnen Erscheinungen zersplittert, auf die Gesammtheit unseres literarischen Lebens und ihre Bedeutung hinzuweisen und dem Stolze der Nation auf ihre geistigen Schätze, der sich mehr an die Vergangenheit wendet, auch für die Gegenwart einen sichern Halt zu bieten vermag: so ist sein Zweck vollkommen erreicht. Mag der Verfasser in einzelnen Urtheilen geirrt haben, er weiß, daß persönliche Zuneigung oder Abneigung nicht seine Feder führten, sondern nur der Ernst der Ueberzeugung und die Begeisterung für das nimmer alternde geistige Leben seiner Nation!“ Mit diesen Worten schloß Rudolf Gottschall im December 1854 die Vorrede zu seinem literargeschichtlichen Werke „Die deutsche Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts“. Seitdem hat das umfassende (von Trewendt in Breslau verlegte) Buch zwei weitere, jedesmal erheblich vermehrte Auflagen erlebt und dadurch schon den Beweis geliefert, daß es in der That mit seinem Inhalte einem Bedürfnisse großer Leserkreise entgegengekommen ist und durch die Art seiner Darstellung eine über die engere literarische Sphäre hinausgreifende Anziehungskraft geübt hat.

Nicht immer freilich sprechen solche äußere Erfolge für den inneren Werth eines Produktes, aber sie fallen doch stark in’s Gewicht, wo es sich um Arbeiten von ernsterem und wissenschaftlichem Charakter handelt. Gewinnen derartige Erscheinungen nicht blos die Theilnahme eines zahlreichen Publicums, sondern wissen sie auch viele Jahre hindurch sich dauernd in der Gunst desselben zu behaupten, so läßt sich schon annehmen, daß in ihnen keine auf flüchtigen Eindruck berechnete Fabrikwaare, sondern ein positiver Gehalt, ein tüchtiger und solider Kern geboten ist. Auch Gottschall’s Literaturgeschichte haben wir neuerdings wiederholt darauf angesehen und bei reiflicher Prüfung eine ganze Reihe von Punkten gefunden, welche uns die günstige Aufnahme des Buches erklärlich machen. Ein Volksbuch allerdings in einem begrenzten Sinne dieses Wortes ist es nicht. Wer aber von einer höheren, schon gereifteren Bildung aus eine emsig in’s Detail gehende Uebersicht unserer deutschen Geisteskämpfe und Literaturströmungen seit dem Anfange des laufenden Jahrhunderts erlangen will, der findet sie hier unter der Leitung eines kenntnißreichen und vielseitig gebildeten Schriftstellers, der mit Hingebung von frühester Jugend an alle Kraft seines Denkens und Schaffens diesen Studienkeisen gewidmet hat, der edle Wärme, Ernst und Schärfe der Gesichtspunkte mit farbenvoller Anmuth schöner Darstellungsform verbindet und unzweifelhaft einer unserer vorzüglichsten Prosaiker ist.

Damit wollen wir nicht gesagt haben, daß der Leser auf jedes Wort des Verfassers schwören, alle seine persönlichen Auffassungen theilen und jedes seiner Urtheile unterschreiben soll. Der Werth der Gottschall’schen Literaturgeschichte, die man als eine lange Reihe von verbundenen Essays und Abhandlungen bezeichnen kann, liegt eben nicht in jeder dieser verschiedenen, bald schwächeren, bald außerordentlich vortrefflichen Partieen, er liegt überhaupt nicht allein in dem großen Reichthume der mannigfach ja verbesserungsdedürftigen Einzelnheiten, sondern vor Allem in der lichtvollen Gruppirung, der glänzenden Bewältigung und ordnenden Gestaltung eines ungeheuren, noch in chaotischem Flusse begriffenen Stoffes. Wie es da im Ganzen vor uns sich entfaltet, ist es wirklich ein gedanken- und lebensvolles, in großem Stile entworfenes Gemälde zeitgenössischen Strebens und Schaffens, von dem wir überzeugt sind, daß es bereits förderlich und befruchtend auf den Fortschritt der nationalen Bildung gewirkt und daß es in Zukunft eine reiche und ernste Anregung, eine Erweiterung des Wissens und eine Ausfüllung wesentlicher Bildungslücken noch Vielen bieten wird, die es vielleicht in dieser unserer Hinweisung zum ersten Male genannt sehen.


Zu den bittersten Kriegsnachwehen gehört die nachträgliche Störung so mancher tüchtig und mit Glück betretenen Lebensbahn. Die Zahl der jungen Männer, welche durch den Krieg erst ihre Gesundheit und dann noch ihre frühere Lebensstellung verloren haben, ist gar nicht gering. Der Staat hat allerdings gethan, was er konnte: er giebt den so hart Geschädigten Pension und ertheilt ihnen Civilversorgungs-Berechtigung. Da es aber sehr schwer ist, letztere geltend zu machen, so muß manche junge tüchtige Kraft feiern und darben zugleich, wenn auch das Lazareth sein Möglichstes an ihr gethan hat. Von ganz besonderer Härte ist solch ein Schicksal – solch ein Lohn für den Vaterlandsdienst mit allen seinen Entbehrungen und Gefahren –, wenn der junge Mann den Kreisen höherer geistiger Ansprüche, der Künste, Wissenschaften und Kunstgewerbe angehörte und, aus rührigster Thäthigkeit gerissen, nun nicht nur völlig brach gelegt ist, sondern des Lebens Blüthezeit dahinschwinden sieht mit kaum anderer Aussicht als der auf ein frucht- und freudeloses Leben.

Wir kennen einen solchen jungen Mann, welcher, studirter Jurist, vor dem Kriege als praktischer Beamter eine anständige Stellung hatte. Diese verlor er in Folge seiner Invalidität und wollte er in dieselbe Carriere zurücktreten, so hätte er den Dienst so ziemlich von vorne anfangen müssen. Seit noch nicht einem Jahre wieder gesund, ist nun derselbe auf Grund seiner Civilversorgungs-Berechtigung bei sämmtlichen Behörden des Königreichs Preußen, bei sämmtlichen Reichsbehörden vorstellig geworden und hat überall die nämliche Antwort bekommen: „Wegen der Menge der Bewerber sei zur Zeit die Annahme seiner Person unmöglich.“ Er hat sich vergebens bemüht, eine Privatstellung zu erlangen bei der Versicherungsbranche, als Privatsecretär, bei Eisenbahnen etc. Er hat eine für seine Verhältnisse bedeutende Summe (circa sechzig Thaler) für Annoncen ausgegeben; Alles umsonst. Institute zur Unterbringung der Invaliden, wie „Invalidendank“ und andere, haben ihm auch nicht genützt. Kurz, er hat Alles, Alles probirt, überall gebeten, überall gebettelt, und nirgends ist ihm auch nur der Schimmer einer Hoffnung geworden. Und doch war er sehr bescheiden in seinen Ansprüchen; bei den öffentlichen und Privatbehörden hat er nicht etwa gleich Anstellung verlangt, sondern nur vorläufige Probeaufnahme; bei den Privatleuten hat er nur um kleine Stellen, als Secretär, Cassen- oder Rechnungsführer gebeten. Doch, wie gesagt, Alles umsonst. Man denke sich in die Lage eines solchen Bedrängten. Immer an geistige, anregende Beschäftigung gewöhnt gewesen und nun überall zurückgewiesen, verfällt er allmählich in Trübsinn und Stumpfsinn. Es ist schwer sich vorzustellen, wie erschlaffend und zersetzend eine solche Unthätigkeit auf Geist und Körper wirkt.

Wir haben unseren Lesern dieses einen Mannes Lage vorgestellt, weil wir hoffen, daß auf diesem Wege ihm geholfen werden könne, und stellen uns zur Vermittelung von Anträgen zur Verfügung.


Wieder eine schlechte Oster-Censur! (Mit Abbildung. S. S. 257.) „Warte! Ich will Dir die Faulheit anstreichen! Schämst Du Dich nicht vor Deiner Schwester, die wieder eine Eins bekommen hat, und Du, ein Junge, bist ein Nichtskönner und bringst Examenarbeiten voller Kleckse und Flecke? Wer kein Ehrgefühl hat, muß Hiebe haben! Geh’ her, Bürschchen!“

Eine solche schöne Rede wird zur jährlichen Examenzeit schon mancher brave Vater gehalten haben. Aber auch nicht weniger Großmütter oder Tanten hat der liebe Gott zum Schutz der kleinen Sünder geschaffen, die bittend die Hand auf den Arm legen, der, mit dem sonst so friedlicher Bestimmung gewidmeten Lineal bewaffnet, zur Execution schreiten will.

Die Mutter und die vom Vater so schön gelobte, verständig darein schauende Schwester gönnen vielleicht dem allzubeharrlichen Leichtsinn einen angemessenen Denkzettel, wenn sie auch die Bemühung der allzuguten Friedensstifterin nicht ungern sehen. Ganz anders schaut aber das kleine Schwesterchen, des Bruders treue Gespielin, darein: sie verzieht den Mund schon zum Schüppchen, und wenn Papa seinen süßen Liebling vielleicht gar weinen sieht aus Angst vor den Schlägen, die diesem selber am wehesten thun, so ist’s wohl möglich, daß das Lineal seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben wird, ehe es im Dienst des väterlichen Zornes für immer schmerzliche Erinnerungen an sein langes, hartes Holz geknüpft hat. Wir wollen für Beide, für den Jungen aus der Furcht vor der gerechten Strafe, und für das gute Schwesterherzchen aus der Begnadigung des Reuigen und Zerknirschten, das Beste hoffen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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