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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


geheilt worden seien, wie nachstehender Brief beweist, der damals zur Veröffentlichung bestimmt war:

„Brückenau, den 3. Juli 1821.
Lieber Graf Seinsheim!

Es geschehen Wunder! In den letzten zehn Tagen des Monats glaubte man sich in Würzburg in die Apostelzeiten versetzt. Taube hörten – Blinde sahen – Lahme gingen – nicht durch Berührung, sondern vermittelst kurzen Gebetes auf Befehl und im Namen Jesu. Glauben an Jesus, – Glauben, daß geholfen werde, verlangte Fürst Hohenlohe – Glauben als nothwendige Bedingniß. Bereits am 28. Juni Abends betrug die Zahl der Geheilten mehr als siebzig von jedem Geschlechte, von jedem Alter, von jedem Stande, von der geringsten Volksclasse bis zum Kronprinzen, der sein in der Kindheit ohne äußerliche Veranlassung verlorenes Gehör am 27. Juni um Mittag wieder bekam, nach wenigen Minuten des vollbrachten Gebetes durch den noch nicht siebenundzwanzig Jahre alten Priester-Fürsten Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst. So gut, wie Andere, hörte ich zwar noch nicht, aber kein Vergleich zwischen dem, wie es vorher war; und seitdem verbesserte sich mein Gehör noch auffallender. Bescheiden ist der junge Fürst, und wundert sich über die auf eine vorzügliche Weise von Gott ihm gewordene Gnade. In meinem Vorzimmer, im Beisein der Hofdame Grafenreuth, wurde nach zwei Mal vergeblichem Gebete, als der Fürst auf einer Frau dringende Bitte zum dritten Male betete, diese fünfundzwanzig Jahre lang Blinde sehend. Dann noch eine andere im Beisein meines Bibliothekars Lichtenthaler. Dies sind nur ein paar Beispiele aus der Menge. Meine Ohren sind nun sehr empfindlich, so stark schallte mir am letzten Freitag die Musik, daß ich das gegen sie gerichtete Glasfenster meiner Tribüne darum zum ersten Male zumachte. Am Tage nach meiner Heilung empfing ich das heilige Abendmahl. Laut und innig war die von den Würzburgern gewordene Theilnahme, der ich von Seite des lieben Karl auch herzlich gewiß bin. Meinen Brief können Sie Jedem zeigen und abschreiben lassen. Wir leben in mehrfacher Hinsicht in einer großen Zeit.

Mit allem Gefühle

Ludwig, Kronprinz.“

Die Etiquette und die Servilität forderten schon auf diesen Brief hin, daß das „Wunder“ geglaubt wurde. In der That aber log Kronprinz Ludwig sich selbst ebenso an, wie seine Hofschranzen ihn.

Der bairische „Augustus“, wie Sepp ihn nennt, litt nämlich schon seit früher Jugend an Harthörigkeit und Jeder, der mit dem König Ludwig dem Ersten einmal ein Gespräch anfing, weiß, daß er diese Harthörigkeit nie verlor. Doch war bei trockener warmer Witterung und im Sommer sein Gehör besser, als an feuchten, kalten Tagen und im Winter. Seine Umgebung bemerkte das besser als der Kronprinz selbst. Nun waren die drei Tage vom 20. Juni an ungewöhnlich heiße und trockene, während vorher, vom Monat April an, naßkalte Witterung fast ununterbrochen geherrscht hatte. So erklärt sich das „Wunder“ des Besser-Hörens bei dem nun auf sich aufmerksam gewordenen Prinzen, der, wie Jeder weiß, nach wenigen Tagen wieder ebenso schlecht hörte, als früher.

Da also der Kronprinz und der hohe Adel den Wunderschwindel des Fürsten Hohenlohe begünstigten, da Geistlichkeit und feile Federn ihn als Wunderthäter fast Christus gleichstellten, war es leicht zu begreifen, daß von allen Seiten das blindgläubige Volk hereinströmte und vor Hohenlohe, wie vor einem Gotte, auf den Knieen liegend, um den Segen des siebenundzwanzigjährigen Jesuiten bat. Dieser eitle Mann, von dem schönen Geschlechte förmlich verfolgt, der vom Diner zum Wunderwirken, vom Wunderwirken zur Tabakspfeife oder zur Damengesellschaft eilte, machte das Wunderwirken sich ziemlich leicht. Er betete immer dieselbe Formel und zeigte sich bald brutal und hartherzig gegen die Kranken, wenn sie ihm lästig wurden, und gab ihnen spitzige Reden, die sie in Schrecken versetzten. Später machte er sich’s noch bequemer; er betete gar nicht mehr, wenn er nicht disponirt war, segnete auch nicht ferner einzeln, sondern en bloc gleich viele Kranke auf einmal, maschinenmäßig.

Wenn die Heilung nicht gehen wollte, schien sie der Wundermann ertrotzen zu wollen und donnerte namentlich die ängstlichen Weiber an, sich vom Lager zu erheben. Der umstehende Pöbel schrie dann nach: „Auf im Namen Jesu!“ und nahm die Krücken weg. Wenn auch die Kranken gleich wieder zusammensanken, war doch das Wunder geschehen und wurde proclamirt. Die Polizeidiener rissen oft die Zusammengesunkenen im Namen der heiligen Dreifaltigkeit wieder auf und schleppten die von allen Seiten Geängstigten erbärmlich weiter. „Nur glauben und etwas Kampher einreiben, dann kann es nicht fehlen!“ sagte der Polizeidiener; aber oft starben die „Geheilten“ an an den Folgen der Reise und Aufregung.

Den Wirthen und Bäckern in Würzburg war dieser Schwindel nicht unlieb, da Hunderte von Wagen täglich in die Stadt gefahren kamen. Freilich kehrte auch alles mögliche Gesindel zurück, welches die Suspendirung der Gesetze zu Gunsten des Jesuiten benutzte. Ausgewiesene Bettler und Streuner kamen unter dem Schutze des Wunders ungestraft wieder in die Stadt; sie simulirten eben auch eine Krankheit, stellten sich lahm und blind, und da sie bald darauf durch Wunder wieder gehen und sehen konnten, erhielten sie von den staunenden Betschwestern und Pfaffen Geld und Lebensmittel auf viele Wochen. Wenn jemand nicht geheilt wurde, war nicht der Fürst schuld, sondern der Kranke hatte entweder keinen Glauben oder war von schwerer Sündenlast gedrückt, weshalb diese Armen sich mit schweren Gewissensscrupeln quälten und namentlich Ehegatten sich oft die häßlichsten Vorwürfe machten. Das Volk wollte blind sein und drohte Jedem, der ihm den Staar zu stechen versuchte.

Wenn Hohenlohe unter den Hülfesuchenden Kranke erkannte, die er schon in Behandlung gehabt, sagte er zornig: „Ich habe es Euch schon gemacht, ich mache es nicht zum zweiten Male.“ Zu den Blinden sagte er: „Ihr dummen, einfältigen Menschen! Wie könnt Ihr so etwas von mir verlangen!“ Trotzdem behandelte er Einen Namens Oe–r, dessen Sehvermögen bedroht war, mit Auflegung der Hände und Bestreichung des Auges. Da es ohne Erfolg war, sagte er zum Patienten, er möge getrost fortgehen. Zum Arzte aber sprach er: „Meine Zeit ist zu beschränkt, diesen Kranken ganz zu heilen. Das würde eine halbe Stunde erfordern, bis er sehen und lesen könnte.“ Mißlangen auch, wie im Würzburger Hospitale, alle Wunderversuche, so verbreiteten doch die Jesuitenanhänger das Gerücht, Hohenlohe habe dort Viele durch Gebete geheilt. Die unverschämteste Lüge ward nicht gescheut; der Zweck heiligte eben die Mittel.

Der Pöbel, gegen den alle Polizeigesetze suspendirt waren, wurde so frech, nicht nur in die Höfe der Adeligen, sondern sogar am 29. Juni in den Kaisersaal der Residenz einzudringen. Dort ließen sich die bisher von der Polizei geächteten Streuner mitten unter den Höflingen vom frommen Kronprinzen Trost einsprechen und wurden auch wohl plötzlich sehend, wenn sie ein entsprechendes Geldgeschenk erhielten. Der Fanatismus nahm so überhand, daß es zu Thätlichkeiten kam. Abergläubische Gebete als Talismane gegen alles Mögliche wurden verbreitet; an Zeichen am Himmel, an Prophezeiungen fehlte es ebensowenig; denn es gab schlaue Pfaffen, die den Sinnentrug als baare Münze verwertheten. Ein Vicar, Namens Baur, rühmte sich, zwölftausend Exemplare seiner Broschüre, welche die Hohenlohe’schen Wunder verherrlichte, verkauft zu haben, und nannte das „ein erfreuliches Zeichen der Zeit“.

Als Hohenlohe, fêtirt und geehrt wie ein Gott, nach Ablauf des Juni nach Bamberg zurückkehren mußte, hatten seine Freunde dafür gesorgt, daß auf allen Stationen, die er berührte, die Kunde von seinen Heilungen ihm voranging. Dennoch war den Hohenlohe’schen Wundern dort ein nicht so günstiges Prognostikon zu stellen als in Würzburg; in Bamberg stand an der Spitze des Stadtmagistrats der als freisinniger Landtagsabgeordneter bekannte Bürgermeister von Hornthal. Außer ihm mißtrauten noch viele andere Bamberger dem Wundermanne, weil er in dieser Stadt schon 1819 sich berüchtigt gemacht hatte durch eine kaum glaubliche Proselytenmacherei, verübt an einem sterbenden Protestanten, Dr. Wetzel. Dieses Attentat hatte damals das „Weimarer Oppositionsblatt“ gebührend gebrandmarkt.

Trotz alledem versuchte der Fürst am 4. und 5. Juli im Bamberger Krankenhause seine Wunderkraft an einer Anzahl Patienten; aber es wollte nicht gehen, obgleich mancher gläubige Kranke in große Ekstase versetzt ward. Die Gelähmten, die Hohenlohe aufforderte, ihr Bett zu verlassen, vermochten es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_250.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)