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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Innern; sie schwankte zwischen herbem Stolze und weicher Nachgiebigkeit. „Ich habe Manches überwinden und niederkämpfen müssen, ehe ich hierher kam; Du weißt es, Arthur, also schone es auch.“

Die Worte klangen fast wie eine Bitte; aber Arthur war bereits auf einen Punkt gekommen, wo er das nicht mehr verstand. Die wilde Bitterkeit, die furchtbare Gereiztheit, welche sein ganzes Wesen durchzitterten, gaben auch hier die alleinige Richtung und Auffassung, als er schneidend erwiderte:

„Ich zweifle durchaus nicht daran, daß Baroneß Windeg ein unendliches Opfer bringt, wenn sie sich entschließt, noch drei Monate länger den gehaßten bürgerlichen Namen zu tragen, noch länger an der Seite eines so tief verachteten Mannes zu bleiben, trotzdem man ihr die sofortige Freiheit bietet. Ich habe einst hören müssen, wie furchtbar Dir Beides war; ich kann danach ermessen, was diese Selbstüberwindung Dich kostet.“

„Du wirfst mir das Gespräch am Abende unserer Ankunft vor,“ sagte Eugenie leise. „Ich – hatte es vergessen.“

Jetzt endlich flammten seine Augen auf; aber es war nicht jenes Aufleuchten, welches sie darin gesucht und gehofft; es war etwas Fremdes, Feindseliges, was sich jetzt in ihm emporbäumte.

„Hast Du wirklich? Ob ich es vergessen habe, danach fragst Du nicht? Mit anhören habe ich es damals müssen, das war aber auch die Grenze dessen, was ich ertragen konnte. Meinst Du, ein Mann ließe sich ungestraft so in den Staub treten, wie Du es an jenem Abende thatest, und sich dann ohne Weiteres wieder daraus erheben, wenn es Dir beliebt, Deine Meinung zu ändern? Ich war nicht ganz der elende Weichling, für den Du mich gehalten; seit jener Stunde war ich es nicht mehr; die hat über mich entschieden, aber sie entschied auch über unsere Zukunft. Was mich trifft und treffen kann, werde ich allein tragen. Ich habe ja so Manches gelernt in diesen letzten Wochen; ich werde auch das durchführen, aber“ – hier richtete er sich mit glühendem Stolze in die Höhe – „aber die Frau, die mich am Tage nach unserer Trauung mit so hochmüthiger Verachtung von sich stieß, ohne auch nur zu fragen, ob der Gatte, dem sie doch nun einmal ihre Hand gegeben, auch wirklich so schuldig war, wie sie ihn glaubte, – bei der meine Erklärung, mein Wort darauf, daß sie sich im Irrthume befinde, nur als die Ausflucht eines Lügners galt – die mir auf die Frage, ob sie es nicht wenigstens der Mühe werth halte, den Versuch zur Besserung eines ‚Verlorenen‘ zu machen, dieses verächtliche Nein entgegenschleuderte – diese Frau will ich nicht an meiner Seite haben, wenn ich den Kampf um meine Zukunft ausfechte – ich will allein sein!“

Er wandte sich stürmisch ab. Eugenie stand betreten, wortlos da; so sehr sich auch das Wesen ihres Mannes in der letzten Zeit geändert hatte, leidenschaftlich hatte sie ihn noch nie gesehen, und jetzt war er es in einem Maße, das sie fast erschreckte. An dem Sturme, der ihr hier entgegenfluthete, konnte sie ermessen, was sich damals hinter seiner Gleichgültigkeit barg, die sie so tief empörte, was monatelang in ihm gewühlt hatte, bis es ihn endlich emporriß aus der Apathie, die ihm zur zweiten Natur geworden war. Jawohl,[WS 1] dieses kalte verächtliche Nein – sie wußte am besten, wie unrecht[WS 1] sie ihm damit gethan, und jetzt, wo sie sah, wie tief es ihn getroffen,[WS 1] jetzt hätte diese Stunde vielleicht Alles wieder gut gemacht, was[WS 1] jene andere verschuldet, wären nicht die unseligen letzten Worte gewesen. Die berührten die Hochmuthsader der jungen Frau, und wo ihr Stolz in’s Spiel kam, da war es vorbei mit Einsicht und Ueberlegung, selbst wo sie sich im Unrechte wußte.

„Du willst allein stehen!“ wiederholte sie. „Nun denn, aufdrängen werde ich Dir meine Nähe nicht. Ich kam, um mich zu überzeugen, ob der Plan meines Vaters auch der Deinige sei. Er ist es, wie ich sehe – ich werde also abreisen.“

Sie wandte sich zum Gehen. An der Thür hielt sie noch einmal inne; es war ihr, als sei er in dem Moment, wo sie die Hand an den Drücker legte, emporgeschnellt, als habe er eine Bewegung gemacht, ihr nachzustürzen, doch das mußte wohl Täuschung sein, denn als sie sich umwendete, stand Arthur noch am Schreibtisch, todtenbleich zwar, aber in seiner Haltung, in jedem Zuge seines Gesichts stand das Wort geschrieben, mit dem sie ihn einst von sich gestoßen, ein herbes unbeugsames Nein.

Eugenie raffte ihren letzten Muth zusammen zum Abschied.

„Wir werden uns morgen nur in Gegenwart meines Vaters sehen und dann vielleicht nie wieder, also – leb’ wohl, Arthur!“

„Leb’ wohl!“ sagte er dumpf.

Die Thür schloß sich hinter ihr; sie war verschwunden. Das letzte Alleinsein war unnütz verstrichen, die letzte Brücke zur Verständigung abgebrochen. Keines von Beiden hatte seinen Starrsinn beugen, keines das Wort aussprechen wollen, das hier allein helfen und retten konnte, das eine Wort, das Alles wieder gut gemacht hätte, und wäre zehnfach Schlimmeres geschehen; der Stolz allein redete – und damit war ihr Urtheil gesprochen. –

Grau und trübe kam der nächste Morgen über die Berge, aber im Hause war es trotz der ungewöhnlichen Stunde schon lebendig geworden. Man hatte die Abreise so früh festsetzen müssen, da man rechtzeitig den Anschluß an den Bahnzug erreichen wollte, um heute Abend noch in der Residenz einzutreffen. Vorläufig war freilich nur erst Curt von Windeg im Salon. Der Baron befand sich noch auf seinem Zimmer. Eugenie war gleichfalls noch nicht sichtbar, und der junge Officier schien mit offenbarer Ungeduld irgend etwas zu erwarten. Er hatte bereits mehrere Male den Salon durchmessen, dann am Balcon gestanden, dann auf dem Fauteuil gesessen, von dem er jetzt rasch in die Höhe sprang, als Arthur Berkow eintrat.

„Ah, Sie sind schon hier?“ sagte dieser, seinen jungen Schwager mit jener höflichen Kälte begrüßend, die zwischen ihnen Sitte war.

Curt eilte ihm lebhaft entgegen. „Ich wollte gern noch allein einige Worte mit Ihnen – aber mein Gott, was ist Ihnen? Sind Sie krank?“

„Ich?“ fragte Arthur ruhig. „Was fällt Ihnen ein? Ich befinde mich vollkommen wohl!“

„So?“ meinte Curt mit einem Blick auf das bleiche, überwachte und abgespannte Antlitz seines Schwagers, „ich hätte eher das Gegentheil angenommen.“

Arthur zuckte etwas ungeduldig die Achseln. „Ich bin das frühe Aufstehen nicht gewohnt; da sieht man immer überwacht aus. Uebrigens fürchte ich, Sie werden heute eine schlechte Fahrt haben; es ist ein abscheulicher Nebelmorgen.“

Er trat an’s Fenster, wie um nach dem Wetter zu sehen, in Wahrheit aber wohl nur, um sich den unbequemen physiognomischen Beobachtungen zu entziehen, mit denen Curt ihm lästig fiel. Dieser ließ sich aber so leicht nicht abweisen; er trat dicht an seine Seite.

„Ich wollte der Erste hier sein,“ begann er ein wenig stockend, „weil ich gern noch eine Unterredung unter vier Augen mit Ihnen haben möchte, Arthur!“

Der Angeredete wendete sich um, eben so sehr verwundert über dieses Verlangen, als über die Art der Anrede. Curt hatte ihn während der ganzen Verwandtschaft kaum einmal beim Vornamen genannt. Er pflegte sonst stets dem Beispiel seines Vaters zu folgen und das steife „Herr Berkow“ zu gebrauchen.

„Nun?“ fragte dieser befremdet zwar, aber freundlich.

In den Zügen des jungen Officiers kämpften sichtbar Unsicherheit und Verlegenheit mit anderen Empfindungen, plötzlich aber hob er sein hübsches, offenes Gesicht zu dem Schwager empor und sah ihn treuherzig an.

„Wir haben Ihnen Unrecht gethan, Arthur, und ich vielleicht am meisten! Ich war empört über die Heirath, über den Zwang, der uns geschah, und – daß ich es Ihnen nur ehrlich gestehe – ich habe Sie rechtschaffen gehaßt von dem Augenblick an, da Sie mein Schwager wurden. Seit gestern weiß ich, daß wir uns in Ihnen geirrt haben, und seitdem ist es auch aus mit dem Hasse. Es thut mir leid, sehr leid, und das – das war es, was ich Ihnen sagen wollte! Nehmen Sie es an, Arthur?“

Er streckte ihm warm und herzlich die Hand hin. Arthur ergriff sie.

„Ich danke Ihnen, Curt!“ sagte er einfach.

„Gott sei Dank! jetzt ist’s herunter; es hat mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen,“ versicherte Curt aufathmend. „Und glauben Sie mir, auch mein Vater läßt Ihnen jetzt Gerechtigkeit widerfahren. Zugestehen wird er Ihnen dies freilich nicht, aber ich weiß, daß er so denkt.“

Ein flüchtiges Lächeln zog über Berkow’s Gesicht; freilich die Stirn wurde nicht heller davon und das Auge nicht klarer;

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b c d Wort in der Vorlage nicht erkennbar, übernommen von Google
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_236.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)