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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

weil es dem König von Dänemark gefiel, sie augenblicklich nicht zu halten. Selbst die Ausrede, der König-Herzog sei Willens, den Herzogthümern dereinst eine Verfassung zu geben, ließ Wangenheim nicht gelten, denn es handle sich um bestehendes Recht, und das Versprechen des Königs sei werthlos, wenn der Bund ihm nicht eine feste Frist setze für die Vollführung.

Man sieht daraus, wie muthig und redlich Wangenheim auf sein Ziel losging, den Bund zur Centralbehörde eines Bundesstaats umzugestalten, dessen gleichberechtigte Mitglieder auf dem Wege des Rechts zur freiheitlichen Entwicklung gelangen sollten, allem Absolutismus der heiligen Allianz zum Trotze. In Wien durchschaute man dies und rief schon jetzt Halt! „Seine apostolische Majestät werde niemals dulden, daß den deutschen Souveränen Fristen gesetzt würden zur Ertheilung von Verfassungen“ – so wurde Wangenheim auf Metternich’s Gebot zurechtgewiesen.

Trotz all solcher Unbilden arbeitete Wangenheim für alle Pläne gemeinsamer deutscher Gesetzgebung, welche damals noch am Bunde angeregt wurden, rastlos weiter. Und so kann Treitschke es als die segensreichste Frucht seines Wirkens preisen, daß „durch den entschlossenen Widerspruch der Partei Wangenheim’s einige Jahre es verhindert wurde, daß der Bundestag zu jenem willenlosen Diener des Wiener Hofs herabsank, dessen Fürst Metternich bedurfte“.

Auf irre Bahnen gerieth allerdings der rührige Kämpfer in den Verhandlungen über die Anfänge des preußischen Zollvereins, und ebenso über das Bundesheerwesen, und mit ebenso wenig Glück suchte er Wessenberg’s[1], des Constanzer Bisthumsverwesers, Plan einer deutschen Kirche unter einem Primas und einer Nationalsynode zu fördern. Welcher Schaden für Deutschland aus dem Mißlingen dieses großen Gedankens beider Männer erwuchs, das hat unsere Gegenwart am bittersten zu spüren.

Das Zusammenhalten der Opposition wurde Metternich immer bedenklicher. Da brachen (1820) die Insurrectionen in Spanien und Neapel aus – und die heilige Allianz eilte nach Troppau, um ihr frommes Manifest zu erlassen „wider die tyrannische Macht der Rebellion und des Lasters“! Und als nun Metternich mit dem Plan hervortrat, den „heiligen Bund“ zu einer ähnlichen permanenten österreichischen Polizeibehörde für Europa auszubilden, wie der Bundestag für Deutschland war, verkündete Wangenheim durch Wort und Schrift: „jetzt beginne der Kampf des constitutionellen Systems gegen den Absolutismus.“ Und als dazu noch in den folgenden Jahren die Insurrektionen in Piemont und der griechische, ganz Europa erregende Befreiungskrieg kam, so konnte wohl das Schreckgespenst einer Verbindung der deutschen Opposition der Mittelstaaten mit einer Opposition der europäischen Liberalen in den noch fortdelirirenden Diplomatenköpfen aufsteigen. Es erfolgten die großen Feuerlöschtage der heiligen Allianz zu Laibach und Verona, und als Metternich von letzteren heimgekehrt war, berief er seine Bundestagsgetreuen nach Wien und eröffnete ihnen – die Kriegserklärung des Wiener Hofes gegen Wangenheim’s Partei. „Epuration des Bundestags“ nannte man dies, und der von den „demokratischen Elementen der süddeutschen Regierungen“ gereinigte Bundestag sollte dann auf Anrufen der Einzelstaaten die deutschen Verfassungen so auslegen, „wie es das höchste der Staatsgesetze verschreibt“ – das heißt, die Verfassungsrechte der Deutschen sollten auf das Niveau der österreichischen Freiheit herabgedrückt werden.

Verrath und Abfall unterstützten Metternich’s Plan; Baiern und Baden beugten sich vor den Großmächten, und Wangenheim ward von seinem eigenen König verlassen. So frech waren die Sieger durch ihren Triumph geworden, daß sie ihm nicht einmal vergönnten, um seinen Abschied zu bitten, sondern sich noch seiner Beschimpfung erfreuten, einfach abberufen zu werden. Als Grund der Abberufung galt die furchtbare Behauptung, welche er in seinem Gutachten über die berüchtigte westphälische Domainenangelegenheit gegen die Ansprüche des Kurfürsten von Hessen aufgestellt hatte, „der Staat sei ewig, denn sein wesentlichster Bestandtheil, das Volk, dauere fort und habe das Recht, sich einem anderen Oberhaupte zu unterwerfen, wenn die rechtmäßige Dynastie am Regimente verhindert sei“. Für Diplomaten, in deren Augen der Thron Alles, das Volk Nichts galt, war mit diesem Satze das heilige Princip der Legitimität in seinen Grundvesten angetastet – und dafür war die Strafe des Verbrechers noch eine gelinde. Lepel und Harnier folgten ihm bald nach, und des nun gereinigten Bundestags erster Beschluß war, „daß wissenschaftlichen Lehren in der Gesetzgebung des Bundes fortan keine Autorität zustehe, ja nicht einmal eine Berufung darauf gestattet sei!“ – Mit diesem Beschlusse war die Absperrung des Bundestags von dem geistigen Leben der Nation vollendet, und er ging nun ohne Scham und Scheu die Bahn, die ihn zu dem Jahre 1848 und endlich, 1866, in den „schwarzen Bären“ nach Augsburg führte, wo er mit der von ihm fünfzig Jahre verfolgten schwarz-roth-goldenen Fahne in der Hand verendete.

Mit Wangenheim waren die letzten freisinnigen Elemente aus dem württembergischen Regierungskreise geschieden, und nun erst erkannte das Volk Württembergs, was es an ihm besessen und nun verloren hatte. Und des Volkes Dank vergaß ihn nicht. Im Jahre 1832 wählte ihn ein schwäbischer Kreis zum Landtagsabgeordneten; die Regierung erklärte sich jedoch gegen seine Wahl, angeblich weil ein Verfassungsparagraph bestimme, daß der Gewählte im Königreiche seinen Wohnsitz haben müsse. Vergeblich sprach damals der längst mit Wangenheim ausgesöhnte Ludwig Uhland: „Giebt es nicht auch ein geistiges Heimathsrecht, das nicht ganz von der Scholle abhängt? Ist es nicht auch ein Wohnen im Lande, wenn man im Angedenken seiner Bewohner lebt und durch ihr Vertrauen zur Repräsentation berufen wurde?“ In der Schrift, die er hierüber veröffentlichte, „Die Wahl des Freiherrn von Wangenheim“, finden wir auch die Schilderung seines Lebens. Zum letzten Male trat politisch der Fünfundsiebenzigjährige im Sturmjahre 1848 auf, aber nur augenblicklich und ohne Erfolg. Seine Zeit war vorüber.

Als Wangenheim den Frankfurter Bundestagsstaub von den Füßen geschüttelt hatte, zog er erst nach Dresden und ließ sich dann in Coburg für immer nieder. Er besaß auf dem Glockenberge ein stattliches Haus mit großen Garten- und Parkanlagen. In dieses Haus wurde ich von des Ministers Sohne und Liebling, Paul, als dessen Spielkamerad eingeführt, wann und wie, weiß ich nicht mehr. Nur eine dort erlebte Festlichkeit bildet einen Glanzpunkt meiner Knabenerinnerung. Zum vierundfünfzigsten Geburtstage „des Herrn Ministers“ (am vierzehnten März 1827)[2] wurde eine Kinderkomödie aufgeführt. Da bin auch ich zum ersten und letzten Male in meinem Leben Schauspieler gewesen. Als Aeltester der kleinen Schaar spielte ich den „Papa“ des Stückes. Meine Kinder waren zwei kleine hübsche Gräfinnen von Rotenhan, deren Bruder Max und ein kleiner Baron Ernst von Coburg. Seit jenem Abend habe ich diese meine damaligen Kinder nie wieder gesehen; ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Paul hatte die Rolle eines Hausknechts zu spielen und führte sie so vortrefflich durch, daß er den lauten Jubel seines Vaters erregte; das Talent saß aber tiefer, als damals Jemand ahnen konnte, und hat später dem alten Herrn nicht blos Tage, sondern Jahre voll Sorge und Trauer bereitet. Für mich hatte der Abend nur die eine Folge, daß Wangenheim mich bei jeder heitern Begegnung im späteren Leben standhaft fort „Papa“ titulirte.

Unvergeßlich ist es mir, wie Wangenheim, sich mit uns Kindern abzugeben verstand. Wie oft, wenn wir zusammensaßen im Hause oder im Garten, kam der hohe schlanke Mann im langen braunen Rock, die rundglasige Brille auf der scharf hervortretenden Nase des länglichen edlen Gesichts, setzte sich zu uns, examinirte uns, das that er sehr gern, oder erzählte uns Geschichten, und wie köstlich paßte er sie unserm Verständniß an! – Oder er ordnete selbst Spiele an oder trieb uns zu den Turngeräthen am fernsten Ende des Parks. Kein Wunder, daß wir mit ebenso großer Liebe als Ehrfurcht an ihm hingen. Beides wuchs nur, als wir später auch die bedeutende Vergangenheit des Mannes kennen und verstehen lernten.

Als Paul 1836 auf die Universität ging, siedelte Wangenheim mit der ganzen Familie nach Jena über und bezog das Griesbach’sche Haus, in welchem einst Schiller gewohnt hatte. Hier erneueten sich für ihn die Tage von Tübingen. In kürzester

  1. Vgl. Gartenlaube, 1863, Seite 37 f.
  2. Es war demnach am 14. März 1873 Wangenheim’s hundertster Geburtstag zu feiern.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_226.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)