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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


warnte er. Fritz fuhr zusammen und preßte krampfhaft die Flaschen an sich, um sie nicht fallen zu lassen. Schwere Schritte dröhnten in dem oberen Raum; mehrere Menschen traten geräuschvoll jetzt schon in das zweite Zimmer; Waffen klirrten. Der Vicefeldwebel beugte sich nieder, seinen Revolver aufzuheben; er fuhr hin und her mit der Hand; er konnte ihn nicht finden; er hatte vergessen, daß er sich umgewendet hatte. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. „Machen Sie sich schußfertig,“ flüsterte er mit gepreßter Stimme dem Freiwilligen zu.

„Ich habe ja die Flaschen unter dem Arm,“ erwiderte Fritz verzweifelt.

Oben wurde ein leises Gespräch geführt; dann wurde Licht angezündet. Ein heller Schein fiel durch die Kelleröffnung auf die feuchte, glitzernde Kellerwand. Dann wurde es wieder dunkel; die Schritte näherten sich der Fallthür. Sie schienen von drei bis vier Mann herzurühren.

Der Vicefeldwebel tastete nochmals vergeblich nach der Schußwaffe, dann bog er sich hinüber zu dem Freiwilligen und rang dem Widerstrebenden den Revolver aus der Hand.

„Lieber todt als gefangen!“ zischte er ihm durch die festgeschlossenen Zähne zu.

Fritz bebte, daß die Flaschen unter seinem Arme leise zusammenklirrten. Jetzt traten wuchtige Schritte auf die Kellertreppe. Der Vicefeldwebel trat energisch einen Schritt vor. „Halt!“ donnerte er mit Löwenstimme. Gleichzeitig flammte von der Treppe her ein Streichhölzchen auf und wurde auch sofort wieder wie im Schreck fortgeschleudert. Ein Gewehr wurde knackend gespannt. Das blaue Schwefellicht brannte auf der Erde weiter und warf seinen geisterhaften Schein auf die blitzenden Helme und rothen Kragen – preußischer Uniformen.

„Halt, halt,“ rief der Vicefeldwebel, „gut Freund!“

„Der Herr Vicefeldwebel!“ hörte man eine Stimme von der Treppe her rufen, aus deren Ton die Ueberraschung deutlich hervorklang.

„Gott sei Dank!“ hauchte der Freiwillige.

„Na, da soll doch gleich – ist das nicht Unterofficier Lange?“ rief der Vicefeldwebel erstaunt, aber doch sehr erleichtert.

„Zu Befehl, Herr Vicefeldwebel!“

„So ein hinterlistiger Kerl!“ murmelte der Einjährige.

Der Vicefeldwebel war zu vergnügt über diesen Ausgang des Abenteuers, um über die Angabe des Unterofficiers, er hätte eine Schleichpatrouille gemacht und sei dabei zufällig hierhergekommen, ein Wort zu verlieren.

Reich mit Flaschen beladen, trat man den Rückweg an und erreichte ohne Hinderniß die Vorposten. Als schon verschiedene Flaschen geleert waren, sagte der Vicefeldwebel versöhnt: „Na, Fritz, der Wein ist gut, aber das machen wir doch nicht wieder.“

Der Freiwillige sagte nur: „Nein!“ aber dieses Nein war der Ausdruck seiner aufrichtigsten, innigsten Ueberzeugung.

Alexander Weimann.




Wie eine große Zeitung hergestellt wird.


Es gab eine Zeit, da die Leute, welche täglich gewissenhaft ihr Journal lasen, zu den Ausnahmen gehörten – heute ist die Sache umgekehrt und ein Mann, welcher auf Bildung Anspruch macht und sich nicht durch die Lectüre eines oder des anderen Blattes über die Tagesgeschichte zu unterrichten strebt, ist eine solche Seltenheit, daß er eigentlich verdienen würde, unter den Curiositäten der Wiener Weltausstellung zu glänzen.

Obwohl dieser erfreuliche Zustand eine nicht wegzuleugnende Thatsache ist, haben aber die Leser in der Regel entweder gar keinen oder nur einen sehr mangelhaften Begriff von der Erzeugung einer großen täglich erscheinenden Zeitung. Es ist dies auch gar nicht anders möglich. Eine Zeitung ist das Product der angestrengtesten Thätigkeit so mannigfaltiger und so fieberhaft schnell in einander greifender geistiger und materieller Kräfte, daß sie Jedermann, der nicht einen intimen Einblick in das innere Getriebe derselben genommen, als ein Wunder erscheinen muß, verblüffend und beängstigend wie etwa die Erscheinungen der Optik und des Magnetismus einer minder aufgeklärten Epoche.

Nur wer vollständig begreift, würdigt auch vollständig, und es ist einer der bezeichnendsten und wohl auch am meisten zu preisenden Züge der Gegenwart, daß sie den Dingen auf den Grund zu kommen sucht. Wir wissen, daß es keine Wunder giebt, aber indem wir den auffallenden und durch ihre Wirkungen überwältigend auftretenden Erscheinungen bis zu ihren letzten Ursachen nachgehen, lernen wir die Thätigkeit, welche so Unglaubliches zu Stande gebracht, um so höher schätzen und fühlen uns gleichfalls angeregt, unsere Kräfte zu messen; indem wir Andere ganz nach Gebühr achten lernen, wächst unser eigener Muth, unser Selbstvertrauen.

Es war nur logisch, daß eine Unternehmung, wie die „Neue Freie Presse“, welche stets eine besondere Feinfühligkeit für Tagesfragen bewiesen, den Beschluß faßte, dem aus aller Herren Ländern auf der Wiener Weltausstellung zusammenströmenden Publicum in übersichtlicher und deutlicher Weise augenfällig zu zeigen, wie heutzutage eine große Zeitung hergestellt wird. Zu diesem Zwecke wurde auf dem Ausstellungsplatz, dicht am Industrie-Palaste, ein eigener Pavillon erbaut, in welchem während der sechsmonatlichen Dauer der Exposition eine im Doppelbogen erscheinende Ausstellungszeitung redigirt, gesetzt, stereotypirt, gedruckt und gefalzt werden soll, um dann frisch von der Maschine weg in die Hände des Publicums zu gelangen.

Der Pavillon ist zweckmäßig gebaut, namentlich aber mit Rücksicht auf seinen Zweck, zu belehren und zu veranschaulichen; im gefälligen Renaissancestyl gehalten, besteht er aus einem stark vorspringenden, zwei Geschosse umfassenden Mittelraum, an den sich die Seitenflügel schließen, deren gewaltige Rundbogenfenster so hoch und so breit sind wie die Thüren des Mittelbaues und das Gebälke berühren. Da es der Natur der Sache nach geboten war, den Pavillon in seiner Architektur eben so an der dem Prater zugewendeten Seite als an jener zu betonen, welche gegen die Rotunde sieht, so ist der Gedanke des Baukünstlers Hasenauer glücklich zu nennen, die entsprechenden Façaden gleichmäßig reich zu schmücken, so daß man eigentlich von einer Hauptfaçade nicht reden kann, da die eine nur die Wiederholung der andern ist. Die beiden Geschosse des Mittelbaues sind durch die vom Fuße bis zum Friese reichenden scharf ausladenden Pilaster in Eines zusammengefaßt; der ganze Bau ist von einer mit hübschem Geländer versehenen Galerie umgeben, von wo aus es jedem Wißbegierigen möglich ist, die kleinsten Einzelheiten der journalistischen Production zu belauschen und klar darüber zu werden, wie ein Vorkommniß, das etwa um zwölf Uhr Mittags geschehen, bereits um vier Uhr Nachmittags mit allen Details in der Zeitung zu lesen sein kann.

Das Erdgeschoß zerfällt in drei durch Galerien geschiedene große Säle, in deren mittlerem die nach amerikanischen Mustern construirte, in den Ateliers des Herrn G. Sigl gebaute Druckmaschine arbeiten wird. Sie bedeutet in Wahrheit eine verbesserte Auflage der bisher in Gebrauch gewesenen ähnlichen Druckmaschinen, welche stündlich zehntausend Bogen auf beiden Seiten bedruckten und der Bedienung von sechs Personen bedurften. Einzelne kleine Unzukömmlichkeiten des Mechanismus und einschlägige Verbesserungen, welche man an den englischen Druckmaschinen angebracht hatte, lenkten den technischen Director des Blattes, Christoph Reißer, auf eine Reihe von Veränderungen, welche nach seinen Angaben von dem Ingenieur Becker in der Sigl’schen Fabrik ausgeführt wurden und sich seit Kurzem bereits praktisch bewähren. Durch diese Verbesserungen wurde der ungemeine Vortheil erzielt, daß nun die Maschine ohne alle Beihülfe von Menschenhänden, selbstständig die ganze vielgegliederte Arbeit verrichtet. Diese Maschine, die erste, welche in Oesterreich mit dem sogenannten endlosen Papier im großartigen Maßstab hantiert, wird dasselbe, wie es in sechs Centner schweren Walzen von der Pittener Fabrik anlangt, unmittelbar erfassen, diese Walzen abrollen, das Papier befeuchten, nach dem Format der „Neuen Freien Presse“ schneiden, auf die Druckcylinder leiten, bedrucken und in den mit der Druckmaschine verbundenen Falzapparat so einführen, daß dieser das fertige Blatt achtfach zu jener handlichen Form faltet, wie es dem Abonnenten zukommt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_214.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)