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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


die ich in Deutschland zugebracht habe, wo meine Mutter eine edle Gastfreundschaft fand und ich die ersten Wohlthaten des Unterrichts genoß. Die Verbannung bietet traurige, aber doch nützliche Erfahrungen, sie lehrt fremde Völker besser kennen, ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen, und ist man später so glücklich, den Boden des Vaterlandes wieder zu betreten, so behält man doch für die Gegenden, in welchen man die Jugendjahre verlebte, die freundlichsten Erinnerungen, welche trotz Zeit und Politik sich lebendig erhalten. Ihre Vereinigung giebt mir die Gelegenheit, Ihnen diese meine Gefühle auszusprechen. Empfangen Sie sie als Beweis meiner innigsten Theilnahme und meiner Hochachtung, mit der ich bin Ihr wohlgewogener Napoleon.“ –

Für die Armen der Stadt spendete der Kaiser bei diesem Anlaß fünftausend Franken. Eine Sendung von einhundert Flaschen Champagner kam nicht rechtzeitig an. Das Festcomité versteigerte daher den Wein und bestimmte den Erlös mit den Erübrigungen von den Beiträgen der Festtheilnehmer zu einem Fond, dessen Zinsen alljährlich an arme Studirende vertheilt werden. Der kaiserliche Brief konnte unter den obwaltenden Umständen eines gewissen Eindrucks nicht verfehlen. Nachdem die Versammlung dem kaiserlichen Studiengenossen ein „dreifaches Hoch“ ausgebracht hatte, ging folgendes Telegramm an denselben ab:

„Die versammelten Studiengenossen Augsburgs haben soeben Ew. Kaiserlichen Majestät, als ehemaligem Schüler der Anstalt von St. Anna, ein Hoch ausgebracht und sprechen für die huldvolle Erinnerung und so reichlich gespendete Gabe ihren herzlichsten Dank aus.“

Erscheint diese Huldigung in Anbetracht der damaligen Situation der Festversammlung wohl nicht als eine das Nationalgefühl verletzende, so muthete es uns doch wohlthuend an, wenn wir sofort unsern Völk (den jetzigen Reichstagsabgeordneten), der bei St. Stephan in Augsburg studirte, sich erheben sahen, um dem deutschen Gedanken Worte zu leihen. „Ich glaube,“ sagte er, „daß wir damit (mit dem Hoch auf Napoleon) unser Fest nicht abzuschließen vermögen. Da, wo deutsche Männer versammelt sind, sei es aus was immer für einem Anlaß, kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt den verstorbenen, den lebenden Lehrern; es kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt der Pietät, dem auswärtigen Herrscher, sondern zunächst hat bei uns im Herzen des Deutschen zu leben das Nationalgefühl, ein Deutscher zu sein, einem großen, einigen, mächtigen Ganzen anzugehören.“ Der Redner bringt also dem „großen, herrlichen, deutschen Vaterland“ ein Hoch. Als die Versammlung jubelnd in dieses Hoch einstimmte, da konnte freilich keiner von Allen auch nur ahnen, daß kaum ein Jahrzehnt später jener Studiengenosse, der soeben von den „nützlichen Erfahrungen“ der Verbannung gesprochen, die „fremde Völker besser kennen“ und „ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen lehre“, wiederum in die Verbannung ziehen müsse, weil er unser deutsches Volk nicht kannte …

Am 18. August 1867 begegnen wir dem französischen Kaiserpaar in Augsburg. Die Kaiserbegegnung in Salzburg steht bevor, und auf der Hinreise will Napoleon mit seiner Gattin die Stätten besuchen, an die sich die schönsten Erinnerungen seiner Jugend knüpfen. Im Garten seines ehemaligen Wohnhauses brach Napoleon seiner Gemahlin einen Zweig ab. Von da fuhr das Kaiserpaar zu St. Anna.

Napoleon besichtigte mit seiner Gattin alle die Räume, in denen er einst als Schüler geweilt. Auch auf seinen Namenszug, den er nach Schülerart bei seinem Abgang von der Anstalt mit Bleistift in die äußere Wand einer Fensternische gezeichnet, machte er die Kaiserin aufmerksam. Dieser Namenszug, der so lange der Zeit getrotzt, ist jetzt verwischt. Man sagte uns, es müßten wohl patriotische Schüler der Anstalt gewesen sein, die beim Ausbruch des Krieges den verhaßten Namen austilgten.

Wir sind mit unsern Aufzeichnungen über die Augsburger Episode aus dem Leben Napoleon’s zu Ende. Es ist ein gewaltiges Stück Geschichte, das sich mit dem Lebensgang jenes Mannes von Augsburg bis Wilhelmshöhe vor unseren Blicken entrollt, und erst durch das Capitel „Wilhelmshöhe“ gewinnt das Capitel „Augsburg“ für uns Deutsche ein erhöhtes Interesse. Das letzte Capitel aber in dem Romane „Napoleon, der Abenteurer“ heißt Chislehurst. Nach den kühnen Wagnissen und lärmenden Triumphen dieses wechselvollen Cäsarenlebens – die Katastrophe von Chislehurst! Welch ein tieftragischer Contrast zwischen dem geräusch- und triumphvollen Leben des Decembermannes und seinem stillen, weltabgeschiedenen Sterben! Der Ruhelose, dessen Wort von den stolzen Tuilerien aus sonst die Welt erzittern machte, ist in einem unscheinbaren Capellchen, fern von dem Schauplatze seiner Größe, zur Ruhe gegangen. Sein ganzes Leben war nur ein einziges großes Abenteuer. Geboren im Glanze der mächtigsten Krone, doch als Kind schon hinausgestoßen in die Verbannung, irrte er als Jüngling und Mann unstät und flüchtig von Land zu Land, die Seele voll brennender Sehnsucht nach einem neuen Morgen des Kaiserreichs. Mit der fieberischen Hast des Ehrgeizes stürzte er sich in Verschwörungen und tollköpfige Unternehmungen und erklomm schließlich, mit eiserner Zähigkeit von Stufe zu Stufe, über seine Eide, über Blut und Leichen hinwegschreitend, den Gipfel der ersehnten Macht, um nach einigen Jahren cäsarischer Herrlichkeit seinen Stern wiederum sinken, das stolze Gebäude auf Sand gebaut und in dem letzten verzweiflungsvollen Abenteuer alle Pläne und Hoffnungen vernichtet, Schwert und Krone zerschellt zu sehen und als Verbannter auf fremder Erde zu sterben. Wahrlich, hier hat uns der Griffel der Geschichte wieder einmal eines jener großen Dramen geschrieben, wie sie reicher an grellen Contrasten und erschütternden Effecten keines Dichters Phantasie ersinnen könnte!




Bühnen-Erinnerungen.
2. Emil Devrient.


Emil Devrient! – Vor wenigen Monden hat man ihn, den letzten großen Vertreter des reinen Idealismus in der Schauspielkunst, zu Grabe getragen! – Er war der prädestinirte Verkörperer des Idealismus. Die schlanke und doch imponirende Figur, das durchgeistigte, edle, der Antike nachgeschnittene Antlitz mit seinem herrlichen Profil, das schöne, alle Tonschattirungen willig gebende, wie Musik tönende Organ, die vollständige Beherrschung der Individualität zum technischen Zwecke und die umfassendste Bildung sind der Nation noch in keinem Zweiten in diesem Maße nahe getreten. Seine frische, glückliche Jugend blühte im goldenen Nachsommer unserer neu erstandenen Literatur. An Goethe und Schiller labte sich die feurige Seele des Jünglings. Dem frischen, berauschenden Taumel des Schiller’schen kosmopolitischen Idealismus schlug sein jugendliches Herz entgegen, und wenn für Einen, so hatte dieser für ihn seinen Marquis Posa geschrieben!

Die weimar’sche Schule unserer Dichterheroen war damals maßgebend in Sachen der Menschendarstellung. Sie war logisch hervorgegangen aus der Sturm- und Drangperiode; die gesättigte Kraft wollte um jeden Preis zur Anmuth zurückkehren. Was Schiller die Griechheit nennt, dominirte; man lehnte sich also an die Antike und damit an das Ideale. Das Bedürfniß dazu war dringendst vorhanden; denn die rohe Kraft der Haupt- und Staatsactionen hatte Publicum und Darsteller corrumpirt. Mit der Laterne des Diogenes mußte man suchen, um einen Schauspieler zu finden, der im Stande war, Jamben zu sprechen. So lächerlich es heutzutage klingt, die Rollen in den Schiller’schen und Goethe’schen Jambentragödien durften nicht dem Versmaß entsprechend ausgeschrieben werden, da die Schauspieler der damaligen Zeit erklärten, das nicht lernen zu können. So mußte Schiller, um seine Reformation des Geschmackes zu ermöglichen, zugeben, daß die betreffenden Rollen in glatter Prosa ausgeschrieben wurden. Wie sehr berechtigt war also die Rückkehr zum Schönen um jeden Preis!

Freilich – man ging in vielen Beziehungen viel zu weit. Goethe besonders. Seine Ukase zu Gunsten des Schönen auf

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