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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 11.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Es war noch ziemlich früh am Vormittage, noch dufteten und funkelten Berge und Wälder in der thauigen Frische des Frühlingsmorgens, als Eugenie Berkow allein, ohne jede Begleitung, den Waldweg entlang ritt. Sie war eine vorzügliche Reiterin und liebte dies Vergnügen leidenschaftlich, und dennoch hatte sie sich ihm hier auf dem Lande weit seltener als sonst hingegeben. Anfangs verbot das Wetter jeden Ausflug in’s Freie, später fehlte ihr die Lust dazu, der Hauptgrund aber war wohl der, daß ihr schönes Reitpferd ein Geschenk ihres Gemahls noch aus seiner Bräutigamszeit her war, und daß sie nun einmal gewohnt war, ihre Abneigung gegen den Geber auf Alles zu übertragen, was direct von ihm kam. Nur mit Widerwillen hatte sie bei der Trauung die kostbaren Diamanten ihres Brautschmuckes angelegt, die seitdem nicht wieder ihre Etuis verließen; nur halb gezwungen bewegte sie sich in der verschwenderischen Pracht, die sie seit ihrer Vermählung umgab, und auch das herrliche Thier, das eine fabelhafte Summe gekostet hatte, und das, als sie das erste Mal an der Seite ihres Verlobten darauf erschien, die Bewunderung der ganzen Residenz herausforderte, wurde von seiner Herrin auffallend vernachlässigt und gänzlich der Sorge der Dienerschaft überlassen.

Um so überraschter war diese daher, als die gnädige Frau heute Morgen befahl, Afra zu einem Spazierritte zu satteln, und den Diener, der sich fertig machte, sie wie gewöhnlich zu begleiten, bedeutete, daß sie diesmal allein reiten wolle. Ihrem Befehl wurde natürlich, wenn auch mit einiger Befremdung, Folge geleistet, und sie ritt wirklich ohne alle Begleitung fort. Arthur wußte selbstverständlich nichts davon, sie bekam ihn jetzt womöglich noch seltener als sonst zu Gesichte, da er sich häufig auch bei Tische entschuldigen ließ, und das Leben der beiden Gatten war ja überhaupt ein so getrenntes, daß nur in den seltensten Fällen der Eine wußte, was der Andere an diesem oder jenem Tage vornahm.

Eugenie ritt in raschem Trabe durch den Wald, ohne irgend einem menschlichen Wesen zu begegnen, es war in der That sehr einsam hier, und diese Einsamkeit, die Frische und Schönheit des Morgens verfehlten keineswegs ihren belebenden Einfluß auf die junge Frau, die mehrere Tage lang nicht über den Umkreis des Parkes hinausgekommen war. Die Werke feierten, und eine unheimliche Ruhe und Stille lag über der ganzen, sonst so rastlos thätigen Colonie; desto lebhafter ging es dagegen in dem Arbeitszimmer des jungen Chefs zu, das dieser kaum mehr verließ. Die Beamten kamen und gingen; Conferenzen wurden gehalten, Bücher und Papiere geprüft; Schäffer war fortwährend auf dem Wege zwischen der Residenz und den Gütern; dabei flogen Briefe und Depeschen hin und her, aber diese ganz angestrengte Thätigkeit hatte ein so ernstes, so düsteres Gepräge, als schwebe irgend ein Unheil in der Luft, dem man zuvorkommen oder gegen das man sich wenigstens rüsten wollte. Eugenie wußte allerdings, daß eine Differenz mit den Arbeitern bestand. Arthur selbst hatte es ihr mitgetheilt und hinzugefügt, daß die Sache von gar keiner Bedeutung sei und in Kurzem beigelegt sein werde. Sehr ruhig, sehr kühl hatte er ihr das gesagt und sie nur gebeten, auf ihren etwaigen Spazierfahrten möglichst die Dörfer zu vermeiden, in denen die Bergleute wohnten, da für den Augenblick doch eine etwas gereizte Stimmung herrsche. Die Beamten mußten jedenfalls Winke erhalten haben, die gnädige Frau nicht zu beunruhigen, denn Eugeniens Versuche, von dieser Seite irgend etwas Näheres zu erfahren, scheiterten an höflichem Ausweichen oder beruhigenden Versicherungen. Sie hatten ihr gesagt, daß durchaus nichts zu besorgen, daß die Sache überhaupt von gar keiner Tragweite sei und der Ausgleich jeden Tag zu erwarten stände, – und doch fühlte Eugenie deutlich die geleugnete Gefahr, wie sie die Veränderung fühlte, die seit dem Tode des alten Berkow mit ihrem Gatten vorgegangen war, obgleich er gerade ihr gegenüber sein Benehmen nicht geändert hatte.

Die junge Frau war eine zu furchtlose, zu stolze Natur, um dies Ausschließen, diese sichtbare Schonung nicht als eine Art von Beleidigung zu empfinden. Freilich, sie hatte kein Recht auf Offenheit, auf Theilnahme an den Sorgen und vielleicht Gefahren ihres Mannes; was andere Frauen beanspruchen durften, lag ihr unendlich fern. Wenn das Trennungswort bereits ausgesprochen ist und man nur noch „anstandshalber“ einige Monate mit einander aushält, um der Welt möglichst wenig Stoff zum Gerede zu geben, so ist man ja auch den gegenseitigen Interessen fremd. Das sah sie ein, und hätte sie es nicht eingesehen, so würde Arthur es ihr fühlbar gemacht haben, der sich in dem Maße, wie er sich täglich kräftiger aus seiner früheren Trägheit aufraffte und sich energischer in die angestrengteste Thätigkeit warf, immer fremder und kälter von ihr zurückzog; sie dankte es ihm wahrlich, daß er ihr das Peinliche des bevorstehenden Schrittes dadurch zu erleichtern suchte, daß er sie jetzt schon als eine völlig Fremde behandelte.

Eugenie verhehlte sich nicht, daß der Tod Berkow’s ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_171.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)