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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

seien; welche Jahreszeit die passendste zur Reise ist etc. etc. Der und Jener möchte mit so und so vielen europamüden Nachbarn auswandern, besitzt so und so viel Vermögen und hat nun das bodenloseste Vertrauen in meine Kenntnisse über die Verhältnisse jedes Staates dieser Union. Zu mir mit dem „echt deutschen Wesen“ hat er ein Vertrauen gefaßt; mein gutes Herz ist ja aus allen meinen Aufsätzen in der Gartenlaube klar zu ersehen (dieser Passus fließt so oft in die Briefe ein, daß ich fast an die Wahrheit der Behauptung glauben möchte) – in mir wird er sich nicht täuschen und ich soll ihm sagen, wo in den Vereinigten Staaten er am besten hinziehe, wo es am gesündesten ist und wo er am zufriedensten leben kann etc. Seitenlang erzählt mir der Briefsteller seine Privatverhältnisse, damit ich dieselben genau beurtheilen könne, theilt mir die zartesten Familiengeheimnisse mit, deren Lesen mich oft tief erröthen läßt. Ich könnte hier Stellen aus solchen Briefen wiedergeben, die ungeheure Heiterkeit von Pol zu Pol erregen müßten; aber, wie gesagt, ich will Niemanden compromittiren und werde zu schweigen wissen.

In einer Menge von Briefen werde ich gefragt, ob ehrliche Leute an der Spitze von dieser oder jener Eisenbahngesellschaft stehen, in deren Aktien mein unbekannter Freund, durch hohe Procente angelockt, sein Baarvermögen angelegt hat; eine fast komische Frage für einen alten Deutschamerikaner, wie Schreiber dieses ist, der weiß, daß bei dergleichen Unternehmungen die Ehrlichkeit hier zu Lande mit der Diogeneslaterne gesucht werden muß und jedenfalls da aufhört, wo der Profit zu Ende ist, und daß ein Uneingeweihter gar keine Einsicht in die Verhältnisse solcher Gesellschaften erlangen kann. Oder es wünscht (wovon ich zahlreiche Belege besitze) Jemand Butter, Bier und Eier, Tuche, Strumpfwaaren, Handschuhe oder andere Artikel aus den östlichen Unionsstaaten oder aus Deutschland nach Californien zu schicken, oder Lachse aus Oregon zu beziehen, oder er will den Preis von hiesigen Producten wissen, – da wendet er sich natürlich an den ihm aus der Gartenlaube bekannten Herrn Kf. in S. Frc. – Der kennt ja die californischen Verhältnisse auf das Genaueste und wird gewiß in einem ausführlichen Briefe gern die nöthige Auskunft ertheilen. Der Mann ist gewiß die Gefälligkeit selber und hat als Schriftsteller ja Zeit vollauf!

Von Hunderten bin ich gefragt worden, ob Handelsbeflissene in dieser Stadt leicht eine gute Anstellung erlangen könnten, oder ob ich nicht gar die Gefälligkeit haben wollte, Jemandem eine solche einträgliche Stelle zu verschaffen; oder es wünscht eine unternehmende deutsche Dame einen Platz als Lehrerin und Haushälterin in einer hiesigen reichen und gebildeten Familie; oder Jemand meldet sich in einem sehr uncorrect geschriebenen und schlecht stilisirten Briefe als Schullehrer und beansprucht gleich ein hohes Gehalt, im Glauben, daß die californischen halbcivilisirten Nabobs, denen er seine werthvollen Dienste anbietet, mit beiden Händen zugreifen werden – kommt er dann mit solcher vorgefaßten Meinung hierher und findet eine großstädtische Bevölkerung ganz nach europäischer Weise und gute Bildungsanstalten und treffliche Lehrer in Menge und fällt gar beim Examen durch, so muß er, statt ein Professor zu werden, vielleicht die Stelle eines Schüsselwaschers in einem Restaurant versehen, was Alles schon dagewesen ist. Wenn ich nun dieses der Wahrheit gemäß auseinandersetze und Anderen antworte, daß gesunde und arbeitsame Dienstmädchen hier bei hohem Lohn mit Leichtigkeit ein Unterkommen fänden, aber keine deutschen Gouvernanten; daß man in Californien, wo unternehmende Leute aus allen Weltgegenden zusammengeströmt sind, nur die tüchtigsten Leute in jedem Fach, namentlich aber kräftige und fleißige Landbebauer, Winzer, Handwerker, Arbeiter aller Art, und zwar mit möglichst viel Geld gebrauchen könne, und daß hier viele Hunderte von Handlungsdienern ohne Beschäftigung wären, die gern nach den „Staaten“ zurückgingen, wenn sie nur das zur Reise nöthige Geld erübrigen könnten: so glaubt mir das natürlich Niemand, und ich gelte wahrscheinlich noch obendrein als ein herzloser Grobian.

Die „Hertha-Woche“ im Goldlande scheint namentlich bei Vielen in Deutschland den Glauben geweckt zu haben, daß es in San Francisco sozusagen immer Sonntag sei. Ein gewaltiger Irrthum! denn hier arbeiten die Menschen im Allgemeinen viel anstrengender und gönnen sich weit weniger Zeit zu Vergnügungen als in Deutschland. Es ist eine hier oft ausgesprochene und wahre Bemerkung, daß ein Kaufmann oder ein Handwerker, der in Deutschland so hart wie in Amerika arbeiten wollte, dort ebenso viel „Geld machen“ könnte wie in diesem Lande. – Doch, um auf meine Herren Correspondenten zurückzukommen; da lautet es z. B. in einem vor Kurzem eingelaufenen sehr langen Briefe wörtlich, in origineller Stilübung:

„Ich erbitte mir Ihr Urtheil darüber, ob das westliche Amerika, also Mexico, Californien, Oregon, das Gebiet der Shoshones- oder Snake-Indianer zum Getreide-, Obst- und Weinbau geeignet, Arbeitskräfte genügend dazu vorhanden sind und die Arbeiterverhältnisse nicht zu erschwerend bei wenigem Betrieb der Landwirthschaft, Vieh-, Pferde-, Schaf- und Schweinezucht einwirken, ob den Grundbesitzern einiger Schutz durch Behörden etc. gewährt wird, ob die erzeugten Producte auch zu verwerthen und durch dieselben sichere Renten zu erzielen sind? Dann bitte ich mir auch gütigst etc.“ – NB. ich bitte den Fragesteller gütigst zu entschuldigen, daß ich ihm nicht eine mit ausführlichen statistischen Angaben bereicherte Broschüre über einen Ländercomplex, halb so groß als Europa, als Antwort schreibe; ich habe wirklich nicht die Zeit dazu! – Derselbe Briefsteller interessirt sich nebenbei sehr für edele Charaktere und erkundigt sich nach dem Franzosen Violet, dem Häuptling der edlen und geistig begabten Shoshones- und Snake-Indianer, sowie nach seinen Freunden Gabriel und Roche, von denen er in einem Buche gelesen hat. Die Cooper’schen Phantasieromane über die „noblen rothen Männer“ scheinen diesem Briefsteller im Kopfe zu spuken. Ich habe ebensowenig die Ehre der Bekanntschaft jener berühmten Franzosen, als der den Erzengeln Gabriel, und was die geistig begabten Herren Shoshones und Snakes anbetrifft, so muß ich sagen, daß ich in meinem Leben keine miserableren, schmierigeren und nichtswürdigeren Indianer sah, als jene. Ein Zigeuner würde sich ihre Bekanntschaft höflichst verbitten!

In vielen Briefen werde ich dringend ersucht, Verschollene ausfindig zu machen, und gefragt, ob ich nicht Diesen oder Jenen in Texas oder in Californien oder in Oregon kenne, wo ich ja lange gewohnt. Die genannten drei Staaten sind etwa so groß wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammengenommen, und die Frage klingt ungefähr so, als erkundigte sich Jemand bei Einem, ob man nicht mit dem Herrn Schmidt oder Meier in Preußen bekannt sei. Keinem dieser Briefsteller scheint es bis jetzt in den Sinn gekommen zu sein, daß es in einem Lande wie Californien mit nicht geringen pecuniären Opfern verknüpft ist, Verschollene ausfindig zu machen, da es doch für Jemanden, der mehr als absolut gar nichts zu thun hat, nicht statthaft ist, sich persönlich bei allen Vereinen, Clubs, Freunden etc. in der Stadt nach diesem oder jenem Unbekannten zu erkundigen. In San Francisco leben unter einhundertsiebzigtausend Einwohnern etwa zwanzigtausend Deutsche und außerdem gibt eine Menge Landstädte und Hunderte von Minenlagern an dieser Küste, wo solche abhanden gekommenen Leute sich aufhalten könnten. Wie ist nun ein Einzelner, selbst bei ausgedehntester Bekanntschaft, im Stande, die Spur eines solchen Verschollenen zu entdecken, es sei denn, daß er die Anzeigespalten einer Zeitung zu Hülfe nähme? und da die hiesigen deutschen Journale selten bis zu jenen Minenlagern dringen, so müßte eine der gelesensten englischen aushelfen, welche sich ihre Anzeigen recht theuer bezahlen lassen. Trotz dieser schwierigen Verhältnisse und der an mich gestellten wirklich nicht selten äußerst naiven Fragen und Zumuthungen, habe ich mir oft viele Mühe gegeben, die Gesuchten zu finden, und daß mir dies in einzelnen Fällen gelang, hat mir zur herzlichen Freude gereicht. Leider muß ich die Bemerkung hinzufügen, daß solche Wiedergefundene in der Regel Menschen waren, die seit vielen Jahren entweder aus purer Nachlässigkeit ihren Angehörigen keine Briefe gesandt hatten, oder, weil ganz veramerikanisirt, es nicht der Mühe werth hielten, nach Deutschland zu schreiben, und die es wenig verdienten, daß Jemand ihrethalben Zeit und Geld verschwendete, um ihren Wohnort ausfindig zu machen.

Mancher von solchen Nachlässigen würde doch vielleicht von sich hören lassen, wüßte er, wie sehr ein ängstliches Mutterherz sich nach ihm sehnt und liebende Eltern, Geschwister und Verwandte die Tage zählen, welche nach und nach zu Jahren und Jahrzehnten werden, seit sie zuletzt von ihrem über das Weltmeer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_153.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)