Seite:Die Gartenlaube (1873) 146.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

anstellte, daß die sanfte, aber unwiderstehliche Gewalt, welche den widerstrebenden Muskeln angethan wird, indem man die geängstigten Thiere festhält und bezwingt, ferner der Druck auf die Hautnerven, welche beim Berühren, Festhalten oder gar Binden der Thiere unvermeidlich ist, und endlich ganz besonders auch das anscheinend so sinnlose Hinmalen des Kreidestrichs unzweifelhaft von Bedeutung und Wirksamkeit sind.

Es kommt nämlich sehr häufig der Fall vor, daß ein Huhn, welches soeben, nach minutenlanger Regungslosigkeit, die man durch einfaches Niederhalten desselben und Geradestrecken seines Halses und Kopfes auf die Unterlage hervorgerufen hatte, erwacht und entflohen war, sofort aber wieder eingefangen wird, augenblicklich in den wunderbaren lethargischen Zustand zurückversetzt werden kann, wenn man das auf seinen Füßen stehende Thier in die hockende Bauchstellung niederdrückt, indem man einfach mit der auf seinen Rücken gelegten Hand den Muskelwiderstand mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt überwindet. Schon während des langsamen und gleichmäßigen Niederdrückens beobachtet man oft ein höchst merkwürdiges Verhalten des völlig frei und unberührt gelassenen Halses und Kopfes.

Der Kopf bleibt nämlich, wie von unsichtbarer Hand festgehalten, an seinem Ort im Raume fixirt, während sich der Hals in dem Maße streckt und verlängert, als der Rumpf allmählich nach unten rückt.

Wird nun das völlig niedergeduckte Thier ganz frei gelassen, so bleibt es minutenlang in dieser absonderlichen, gestreckten Halshaltung mit offenen Augen starr hocken.

– (Zur Erläuterung des Gesagten ließ der Vortragende ein Huhn bringen, welches er durch einfaches Niederhalten und Geradestrecken des Halses und Kopfes auf die Tischplatte in jenen wunderbaren Zustand von Regungslosigkeit und Benommenheit versetzte; das wiedererwachte Thier zeigte dann deutliche Spuren einer sofortigen Rückkehr des fraglichen Zustandes, als es mit einer Hand, ohne daß Hals und Kopf berührt worden wären, aus der stehenden in die hockende Stellung niedergeduckt wurde.) –

Hier ist also der fragliche Zustand thatsächlich nur die Folge und Wirkung der Berührung, welche die Hautnerven erregt, und der sanften Gewalt, welche den Muskelwiderstand des Thieres überwindet;[1] freilich hatte sich das Thier bereits kurz vorher in demselben Zustand der Regungslosigkeit und Benommenheit befunden, was eine besondere Geneigtheit zurückgelassen haben konnte, bei der geringsten Veranlassung in denselben zurückzuverfallen, obschon allerdings das Erwachen, die Flucht und das Wiedereingefangenwerden, also der völlig normale Zustand der Leistungfähigkeit und Erholung des Nervensystems dazwischen liegt.

Aehnliche Erfahrungen, bei denen sich augenscheinlich zunächst auch nur der Einfluß und die Wirkung des Druckes auf die Hautnerven und der sanften Gewalt manifestirt, welche man den Muskeln der geängstigten Thiere anthut, indem man sie festhält und bezwingt, lassen sich bekanntlich an kleinen Vögeln machen.

Es ist eine den Vogelliebhabern längst bekannte Thatsache, daß man Zeisige, Stieglitze, Kanarienvögel etc. der normalen Leistungsfähigkeit ihres Nervensystems sofort berauben kann, so daß sie minutenlang regungslos bleiben, wenn man sie einfach kurze Zeit mit sanfter Gewalt in der Rückenlage festhält, und dann ganz frei läßt. Bei der Lebhaftigkeit dieser scheuen Geschöpfe sind diese Versuche besonders auffallend und überraschend, wie ich Sie sogleich durch die unmittelbare Anschauung zu überzeugen versuchen werde. Doch muß ich auch diesmal dem üblen Eindruck eines möglichen Mißlingens durch die ausdrückliche Bemerkung vorbeugen, daß wir den sonst fast nie versagenden Versuch unter neuen und ungewöhnlichen Umständen anstellen, welche vielleicht von störendem Einfluß auf die leicht erregbaren Thierchen sind.

Hier in meiner Hand ist ein ganz frisch vom Markt geholter, munterer, scheuer Vogel. Wenn ich ihn nun mit etwas nach hinten übergebogenem Kopfe, den ich von den Seiten her zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand fasse, auf den Rücken lege und in dieser Lage einige Augenblicke sanft festhalte, so wird er, nachdem ich beide Hände entfernt habe – und wenn sonst keine ungewöhnlichen Störungen eingetreten sind – zwar heftig athmend, sonst aber unbeweglich und wie von einem Zauber befangen kürzere oder längere Zeit ganz frei liegen bleiben, ohne einen Versuch zu machen, seine unnatürliche Lage zu verändern oder gar fortzufliegen.

– (Demonstration: zwei der herbeigebrachten Vögelchen wurden vergeblich in der angegebenen Weise behandelt, erst das dritte – ein Zeisig – verfiel in eclatanter Weise in den schlafähnlichen Zustand und blieb, ganz freigelassen, völlig regungslos auf dem Rücken liegen, bis es endlich nach vielen Minuten unter einem Glassturz wieder erwachte und munter flatternd umhersprang, den der Vortragende über das schlafähnlich benommene Thierchen – ohne es hierdurch erweckt zu haben – gestülpt hatte.) –

Auch in sitzender oder hockender Stellung, mit etwas nach hinten übergebogenem Kopf festgehalten, gerathen die Vögelchen – wie ich gefunden habe – trotz ihrer offenen Augen in diesen, sozusagen verzauberten, schlafartigen Zustand; ja es ist mir oft begegnet, daß die Thierchen unter diesen Umständen sogleich oder nach einiger Zeit die Augen schlossen und für Minuten, ja bis zu einer Viertelstunde und darüber, hockend oder selbst stehend, mehr oder weniger fest einschliefen.

Ich kann nicht unterlassen, hier beiläufig mit besonderem Dank hervorzuheben, daß mir unser strebsamer Naturalienhändler, Herr Geupel-White, mit der größten Bereitwilligkeit das reiche Material seines Thiergartens in Connewitz an in- und ausländischen Luxus-Vögelchen zu diesen Versuchen zur Disposition gestellt hat. Auch den früher erwähnten Versuch mit dem Schwan habe ich im Geupel-White’schen Thiergarten angestellt.

Bei den Versuchen an den kleinen Vögelchen wird der fragliche Zustand von Benommenheit und Regungslosigkeit, der sogar in wirklichen Schlaf übergehen kann, offenbar zunächst auch nur durch die Folgen des Eindruckes hervorgerufen, welchen wir durch die Berührung der Haut und die Ueberwältigung der widerstrebenden Muskeln auf die geängstigten Thiere ausüben, obschon noch andere Momente mitwirken mögen, wie uns im Verlaufe unserer Untersuchung sogar wahrscheinlich werden wird. –

Daß aber die Erregung gewisser Hautnerven durch Druck oder Pressung schon ganz allein die normale Functionsfähigkeit gewisser Theile der animalen Nervencentralorgane für längere Zeit mächtig verändern, und einen ganz eigenthümlichen Zustand von Stupidität oder Willenlosigkeit herbeiführen kann, das beweist der folgende, höchst interessante Versuch am Frosch, welchen Dr. Lewissohn in Berlin angegeben und näher untersucht hat.

Wenn man einen normalen Frosch auf den Rücken legt, so bleibt er in dieser unnatürlichen Position in der Regel nicht einen Augenblick liegen, sondern dreht sich sofort um und entflieht – wie Sie selbst an diesem etwas entkräfteten Winterfrosch hier sehen können, wenn ich ihn auf den Rücken zu legen versuche.

Achten Sie nun auf den überraschenden Erfolg, den es haben wird, wenn wir ihm jeden seiner Oberarme mit einer Bindfadenschlinge mäßig fest umschnüren.

– (Der Vortragende brachte nun an die beiden Oberarme des Frosches Fadenschlingen an, zog dieselben mäßig fest zu und legte dann das Thier, wie vorher, auf den Rücken.) –

Sie sehen, jetzt bleibt der widerspenstige Frosch, heftig athmend, sonst aber vollkommen regungslos, auf dem Rücken liegen und kann nicht den geringsten Fluchtversuch machen, selbst wenn ich ihn, wie Sie sehen, berühre und aufzuscheuchen suche. Es ist, wie wenn er, wie durch einen Zauber, sein bischen Verstand und Willenskraft verloren hätte und nicht recht bei sich wäre, oder gar mit offenen Augen schliefe; – ein ganz analoger Zustand, wie wir ihn auch bei den Krebsen, Hühnern und Vögelchen eintreten sahen. Nur ist der ursächliche Zusammenhang der Erscheinungen beim Frosch viel klarer und einfacher.

Jetzt hebe ich den Druck auf die Hautnerven des Frosches auf, indem ich die Fadenschlingen an dem Oberarm löse und entferne. Noch bleibt das Thier, wegen zurückbleibender Nachwirkung, regungslos auf dem Rücken liegen; endlich aber kommt es ganz zu sich, dreht sich um und entflieht schleunigst.

Daß sich’s hier gewiß um die Hemmung der motorischen Nervencentren in Folge des Eindruckes auf die sensiblen Hautnervenfasern handelt, hat Lewissohn dadurch bewiesen, daß bei diesem Versuche einerseits die motorischen, den Bewegungsimpuls auf die Muskeln übertragenden Nervenfasern, die aus den sogenannten motorischen Centren des Gehirns und Rückenmarkes


  1. Hierher gehört auch die Erfahrung, welche ein Ungenannter in den „Blättern für Geflügelzucht“, Nr. 20, 16. October 1872, mittheilt. Er giebt an, daß Hühner (besonders junge), die er auf seinem Schooß auf den Rücken legte und mit der Hand vom Halse nach dem Schwanz strich, in Schlaf geriethen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_146.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)