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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

kleine Madame Royale (spätere Herzogin von Angoulême) liebkost ihre Mutter, wie um sie zu trösten; der Dauphin, der nur noch wenige Monate zu leben hat, zeigt mit dem Finger auf die leere Wiege seiner entschlafenen Schwester, der kleinen Prinzeß Beatrice Sophie, die kurz zuvor gestorben. Auf dem Schooß seiner Mutter sitzt der Herzog von der Normandie; dies arme Kind, das den Titel Ludwig der Siebzehnte führen sollte, hat etwas ungemein Rührendes, als ob es eine Ahnung seines dunklen Schicksals hätte. Ein äußerst charakteristisches Zeichen für die herannahenden Stürme war es, daß die gaffende Menge nur noch feindselige Blicke für dieses liebliche Bild hatte. Man sah sich genöthigt, die Ausstellung desselben im Louvre 1787 abzukürzen, da das Publicum selbst dem Bilde der Monarchin nur noch Haß und Hohn entgegentrug.

Trostlos und entmuthigt, kam Marie Antoinette nur noch nach Trianon, um sich einsam in den Gängen des Parks zu ergehen und sich die Bilder vergangener Tage zurückzurufen. Am 5. October 1789 saß sie in der Grotte des Gartens, in schmerzliche Betrachtungen versunken, und sah dem herabfallenden Laube zu, als man ihr meldete, daß sich revolutionäre Banden Versailles näherten.

Die schönen Tage von Trianon sind nun vorüber! Marie Antoinette erschien dort hinfürder nicht mehr. Noch kurze Frist – und man las über den Eingangspforten die Worte: „Zu verkaufendes Eigenthum“. Es fehlte wenig, so wäre der Pflug über die reizenden Anlagen hinweggegangen. Den 28. Nivose des Jahres Drei machte die Versailler Commune ihren Mitbürgern bekannt, daß Klein-Trianon, welches so lange der Bodencultur entzogen gewesen, um dem Luxus und dem Vergnügen der Tyrannen zu dienen, der Arbeit zurückgegeben werden solle. Das Ameublement des Schlosses wurde für viertausendachthundert Livres bei einem Trödler der Straße Neuve d’Egalité zum Verkauf ausgeboten, und 1797 miethete ein Limonadenverkäufer der Umgegend das Schloß, um eine Restauration darin zu etabliren.

Ehe Marie Antoinette noch den Weg zur Richtstatt mit auf dem Rücken zusammengeschnürten Händen, auf einem Karren neben einem ihr aufgedrungenen Geistlichen und ihren Henkern sitzend, antrat, hatte sie bereits den Kelch des moralischen Schmerzes bis auf die Hefe geleert. Der Tod ihrer treuen Freundin, der fast unter ihren Augen ermordeten Prinzessin von Lamballe, die Hinrichtung ihres Gatten, endlich die Trennung von ihren Kindern – dies Alles durchlitten, was konnte sie da noch schmerzen?

Als sie den Tempel verließ, um dieses Gefängniß mit der Conciergerie zu vertauschen, vergaß sie, sich bei der niedrigen Ausgangsthür zu bücken, und stieß sich daher an den Kopf. Als man sie fragte, ob sie sich wehe gethan, antwortete sie: „O nein – nichts kann mir hinfort noch wehe thun!“ – In Wahrheit, sie hat in ihrem Dasein alle Angst umschlossen, die ein Frauenherz zerreißen kann, und man fragt sich mit Chateaubriand, ob es einen Schmerz giebt, der an ihr vorübergegangen? –

„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!“ Dieses Wort unseres Schiller hat sich in dem Schicksale der deutschen Fürstentochter, deren Bild ich in der vorliegenden Skizze zu zeichnen suchte, nur zu traurig bewährt. Aber wie so oft in der Geschichte mußten auch hier die unschuldigen Nachkommen für die Sünden der Väter büßen. Ludwig der Fünfzehnte hatte während fünfzig Jahren durch seine Ausschweifungen die Krone um ihren Nimbus gebracht. Das arme schwergedrückte Volk hatte schweigend zusehen müssen, wie sein König sich ganz der Herrschaft von sittenlosen Weibern ergab, die nur die tiefste Verachtung verdienten; wie das Land, durch ihre Erpressungen verarmt, nach außen hin durch unfähige Minister und Generale, ihre Creaturen, um seinen Credit gebracht wurde. Als nun Ludwig der Sechszehnte, einer der wohlwollendsten und tugendhaftesten aller bisherigen französischen Könige, den Thron bestieg, da wurden auf ihn die gerechten Anklagen gegen das bisherige Regiment übertragen. Wie man seine Vorgänger beschuldigt hatte, sich dem Einflusse ihrer Maitressen ergeben zu haben, so warf man ihm vor, seiner Gemahlin gegenüber zu willfährig zu sein. Die Königin ihrerseits ward angeklagt, leichtsinnig über die öffentlichen Gelder und Stellen zu verfügen, mit Oesterreich gegen Frankreich zu conspiriren, die Minister stürzen zu wollen, um sie durch ihre Günstlinge zu ersetzen, gerade wie es die Maitressen so häufig unter den früheren Regierungen gethan. Die Revolution in ihrer unerbittlichen, schrecklichen Logik traf mit ihrer Vergeltung die Häupter der Unschuldigen wie der Schuldigen; sie führte Ludwig den Sechszehnten und Marie Antoinette zu demselben Schaffot, auf dem die letzte Maitresse der vorhergehenden Regierung, die zu einer Gräfin Dubarry umgewandelte Freudendirne, ihr Haupt verlor.


Ueber Hypnotismus bei Thieren,

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. dergl.
Von Prof. Joh. Czermak.
Zweiter Vortrag.

Meine hochverehrten Anwesenden! Wir waren gestern in der Untersuchung des alten Kircher’schen sogenannten „Wunderexperiments über die Einbildungskraft der Hühner“ so weit gekommen, daß wir die völlige Entbehrlichkeit des fesselnden Bandes und des mysteriösen Kreidestrichs zur Hervorrufung des merkwürdigen Hemmungszustandes im Hühnernervensystem als thatsächlich constatirt hatten.

Dieser Thatsache gegenüber wollten uns, im ersten Anlauf, diese beiden Veranstaltungen als ein ganz bedeutungsloser Hocuspocus erscheinen, während uns das Geradestrecken und Niederdrücken des Halses und Kopfes auf die Unterlage als das eigentlich wirksame Hauptmoment unter den Versuchsbedingungen imponirte. Die durch das Geradestrecken und Niederdrücken des Halses und Kopfes möglicher Weise gesetzte leise, mechanische Dehnung oder Zerrung gewisser Theile des Gehirns und Rückenmarkes schien in der That den einzigen noch übrig gebliebenen physiologisch-plausiblen Erklärungsgrund für den beobachteten Zaubereffect abzugeben, da wir uns damit doch nicht begnügen konnten und wollten, den nicht näher definirbaren allgemeinen psychischen Eindruck des Ueberwältigens und des Festhaltens auf die Thiere als den alleinigen wirksamen Factor anzusehen.

Allein so einleuchtend dies Alles schien, wir hüteten uns wohl – nach Laienart – bei einer ungenau beobachteten Thatsache stehen zu bleiben, denn wir konnten uns als nüchterne Naturbeobachter der Einsicht nicht verschließen, daß einerseits die nachgewiesene völlige Entbehrlichkeit des fesselnden Bandes und des Kreidestrichs noch lange keinen Beweis für ihre völlige Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit an sich abgiebt, andererseits aber die supponirte besondere Wirksamkeit des Geradestreckens und Niederdrückens des Halses und Kopfes noch in keiner Weise thatsächlich begründet ist.

So wollen wir denn heute, wie bereits angekündigt, unsere Untersuchung wieder aufnehmen und zu Ende führen, um schließlich einige aufklärende Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. dgl. anzuknüpfen.

Vor Allem will ich hervorheben, daß uns die weitere Untersuchung unseres Gegenstandes gestattet, den hypothetischen Gedanken an die besondere Wirksamkeit der Geradestreckung des Halses und Kopfes, vorläufig wenigstens, ganz fallen zu lassen, denn es wollte mir nicht gelingen, Tauben, die, wie die Hühner, in der Bauch- oder Seitenlage festgehalten wurden, durch einfaches Geradestrecken und Niederdrücken des Halses und Kopfes auf die Unterlage regungslos zu machen, obschon doch bei ihnen die gleiche Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit für eine hierdurch bewirkte leise, mechanische Dehnung gewisser Hirn- und Rückenmarkstheile vorlag, wie bei Hühnern, Enten, Gänsen, Truthühnern und beim Schwan.

Dagegen lehren die neuen Controlversuche, welche ich hierüber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_145.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)