Seite:Die Gartenlaube (1873) 144.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und Rosenbüschen, erhebt sich ein zierliches Belvedere, von wo aus die Königin ihr kleines Reich mit einem Blick überfliegen konnte: die Grotte, der Wasserfall mit der darüber geschwungenen kunstlosen Brücke, die Mühle mit ihrem einförmigen Geklapper, die Insel mit dem Liebestempel, das Schweizerdorf, wo der König den Müller, und sein Bruder, der Graf von Provence (Ludwig der Achtzehnte) den Schulmeister spielte. Dort war es auch, wo die Königin und ihre Gesellschaft, die Träume der Schäferromane verwirklichend, die Schafe mit goldenen Scheeren schoren, die Kühe in einer marmornen Milchkammer melken und die Ernte auf Leitern von Mahagoni zu Boden brachten. Nachdem Trianon bereits bei Gelegenheit eines Besuches Kaiser Joseph des Zweiten mit einem großartigen Feuerwerk, begleitet von einer feenhaften Beleuchtung der Gärten, seine feierliche Einweihung gehabt, wurde den 10. August 1780 das Theater mit dem Lustspiel „König und Pächter“ eröffnet. Selten hat man wohl Gelegenheit, eine so vornehme Schauspielertruppe und ein so gewähltes Auditorium beisammenzusehen. Die Königin gab in dem Stück die Rolle der Jenny und spielte sehr natürlich und anspruchslos. Eines Abends, als sie die dienstthuenden Gardes du Corps als Zuschauer zugelassen, näherte sie sich ihnen und sagte: „Ich habe mein Möglichstes gethan, Sie zu amüsiren, und ich wollte nur, daß ich besser spielte, um Ihr Vergnügen vollständig zu machen.“ Ein anderes Mal hatte die Königin im „Dorfwahrsager“ eben eine Arie geschmackvoll vorgetragen, als plötzlich aus einer der Logen ein Pfeifen ertönte. Sie trat bis an die Rampe vor und sagte in einem halb bescheidenen, halb spottenden Tone: „Mein Herr, wenn Sie nicht mit uns zufrieden sind, so gehen Sie an die Casse und lassen sich Ihr Geld wiedergeben!“ Wie es sich später zur allgemeinen Belustigung ergab, war es der König gewesen, der sich einen Scherz mit seiner Gemahlin erlaubt.

Hernach war das Milchmädchen von Trianon wieder mit ebenso vieler Würde die Königin von Frankreich und Navarra. Was auch ihre Verleumder dagegen gesagt haben, sie wußte sich in allen Lagen Respect zu verschaffen. „Ihre angebliche Galanterie,“ sagt der Prinz von Ligne, „war nie etwas Anderes, als ein tiefes Bedürfniß der Freundschaft für eine oder zwei Personen und eine leichte Coquetterie der Frau, der Königin, die so gerne aller Welt gefallen wollte. Selbst zu der Zeit, wo ihre Jugend und ihre Unerfahrenheit leicht dazu verleiten konnten, sich ihr gegenüber allzu sehr gehen zu lassen, ist es Keinem unter uns, die wir doch täglich das Glück hatten, sie zu sehen, beigefallen, jemals die geringste Unschicklichkeit zu begehen. Sie war immer die Königin, ohne sich selbst dessen bewußt zu sein. Man verehrte sie, ohne daß jemals ein unlauteres Gefühl sich hineinmischte.“

Die Königin gab sich dem idealen Traume hin, jene Einfachheit der deutschen Höfe, wo die Größe eine gewisse Gemüthlichkeit nicht ausschließt, nach Frankreich verpflanzen zu können, und die strenge Etiquette, die eine beständige Marter ist, zu besiegen. Dies war gewiß eine große Unbesonnenheit, denn abgesehen davon, daß die vornehme Hofgesellschaft durch das zurückgezogene Leben der Königin in Trianon, wohin ihr nur eine kleine Anzahl Auserwählter folgen durfte, ihren natürlichen Mittelpunkt verlor und schmollend und unzufrieden sich um die mißgünstigen Tanten des Königs schaarte, kann auch das französische Volk im Allgemeinen so viel Herablassung und Güte nicht auf die Dauer vertragen. Es will, wie Graf Ségur richtig bemerkt, trotz des Leichtsinns, den man ihm vorwirft, und vielleicht eben deshalb, die Gewalt, die es beherrscht, von einer gewissen Gravität umgeben sehen. Es bedarf einer ernsten Güte, die es in angemessener Entfernung hält und keine Vertraulichkeit aufkommen läßt.

Marie Antoinette sah die menschliche Natur in zu gutem Lichte; sie beurtheilte die Herzen Anderer zu sehr nach ihrem eigenen. Aber dieses Uebermaß von Edelmuth und Vertrauen ist gewiß ein sehr verzeihlicher Fehler. Was sie uns so sympathisch macht, ist, daß sie mit einem durchaus offenen Charakter alle guten und schönen Eigenschaften des zarten Geschlechts, Güte, Zärtlichkeit, Aufopferung, Enthusiasmus, verbindet, daß sie ihr Ideal nicht in aufgeblähtem Stolz und unnahbarer Größe fand, sondern in den Freuden des Familienlebens und der Freundschaft, in den Annehmlichkeiten des Landlebens und in der Betrachtung der Naturschönheiten. Wenn man ihr einige Thorheiten vorwirft, denen man erst lauten Beifall gezollt, um sie ihr dann später als unverzeihliche Verbrechen vorzuwerfen, so erscheint sie uns darum um so liebenswürdiger.

Umgiebt nicht ein magischer Zauberkreis diese Frau, die den Festen von Trianon präsidirt? Welch anmuthiges Bild! Alle Reize, die dem Dasein Werth verleihen, finden sich auf diesem Fleckchen Erde vereinigt. Wie unter dem Zauberstabe einer Fee verwirklichen sich hier alle Träume der Einbildung, alle Traumgebilde der Phantasie.

Man sollte denken, eine solche bevorzugte Existenz hätte nur Freuden in ihrem Schooße geborgen und die Schloßfrau von Trianon wäre die Glücklichste unter den Sterblichen gewesen. Und dennoch nicht! All’ dieses Glück ist nur ein künstliches. Schon in den schönsten Tagen zeigen sich Anwandlungen von Verstimmungen und Ahnungen kommenden Unglücks. Während noch ganz Frankreich seiner künftigen Herrscherin zulächelte, begannen schon leise im Verborgenen die Machinationen der altfranzösischen Partei – deren Politik bekanntlich Choiseul durch das Bündniß mit Oesterreich gebrochen und als dessen Pfand Marie Antoinette nach Frankreich gekommen –, die keinen andern Zweck verfolgte, als Marie Antoinette als Deutsche, als Oesterreicherin bei dem Volke verhaßt zu machen. Der Erfolg hat leider nur zu sehr gezeigt, welch leichtes Spiel diese Partei, begünstigt durch die Unerfahrenheit der jungen Königin, bei der leichtgläubigen Menge hatte.

Marie Antoinette mit ihrem unverdorbenen deutschen Gemüthe suchte Freunde, und sie fand nichts als Ehrgeizige, Intriganten und Laffen. Sie mußte zu ihrem Schmerze erkennen, daß Königinnen keine Freunde haben. So viele Freundschaften, an deren Aufrichtigkeit sie geglaubt, waren nur von Interesse und Berechnung eingegeben. Diese elegante Gesellschaft der Polignac, Besenval etc., welche die vertraute Umgebung der Königin bildete, entpuppte sie sich nicht als eine Reihe von Ehrgeizigen? Alle wollten sie, daß Trianon für sie der Weg zu Ehre und Ruhm, zu Rollen und Glücksgütern würde. Und wenn es so mit ihren Freunden sich verhielt, wie sah es erst auf Seiten ihrer Feinde aus! Trianon war beständig von listigen Spähern umgeben. Da sich nichts von Belang gegen die Aufführung der Königin aufbringen ließ, so suchte man sein Heil in der Spionage, um dann hinterher die kleinsten Vorkommnisse, entsetzlich entstellt, in’s Publicum zu bringen.

Die Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses konnten es ihr nicht vergessen, daß sie durch sie in Schatten gestellt wurden; die Minister suchten das Mißtrauen des Königs gegen sie als Oesterreicherin zu reizen. In der That, Ludwig der Sechszehnte liebte die Königin, und zwar in einer Weise, wie sie die Bourbons bisher nur gegen ihre Maitressen gezeigt, und es ist daher eine richtige Bemerkung eines Zeitgenossen, daß Marie Antoinette mit der Liebe gleichzeitig den Haß geerbt, mit dem man die Maitressen der Könige verfolgte. Bisher hatte die Gunst der öffentlichen Meinung die Königinnen über die Untreue ihrer Gatten getröstet, jetzt hatte sich dieselbe gegen die rechtmäßige Gattin gewandt, da der Einfluß einer Pompadour, einer Dubarry auf sie übergegangen war.

Wir sehen, wie Marie Antoinette, vor der sich anscheinend Alles im Staube neigte, nichts destoweniger wie von einer feindlichen Atmosphäre umgeben war. Der Prinz Ligne sagt in Bezug hierauf: „Ich habe sie keinen einzigen Tag vollkommen glücklich gesehen. Selbst während der glänzendsten Epoche ihrer Laufbahn war ihr Geist nie von traurigen Vorahnungen frei.“

Bei dem herannahenden Verhängnisse, das die Königsfamilie so schrecklich ereilen sollte, verstummten allmählich die Feste des Trianon. Am 19. August 1785 wurde im Trianon „Figaro’s Hochzeit“ zur Aufführung gebracht. Das war das letzte derartige Fest. Der bisherige Schauplatz des Vergnügens wurde von nun an ein Ort der Einsamkeit. Hierher flüchtete die Königin, um ihre Traurigkeit und ihre düsteren Ahnungen vor den Augen des Hofes zu verbergen. Hier entstand auch das schöne Familienbild der Madame Lebrun, welches ich noch jetzt in der historischen Portraitgalerie des Versailler Schlosses sah und dessen ergreifender Ausdruck mich so sehr an die Kinder Karl’s des Ersten von Van Dyck gemahnte. Wir sehen hier nicht mehr die angebetete Souveränin, umgeben von Glanz und Pracht, sondern eine Frau, die bereits die Beute tiefer Melancholie und geheimnißvoller Traurigkeit geworden. Die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_144.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)