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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


des daran haftenden Wassers und Seetangs, sowie der Steine sehr schwer ist. Um sich vor der durchdringenden Nässe zu schützen, werden die großen Wasserstiefeln höher hinaufgezogen und zugleich die ledernen Schürzen vorgebunden. Mit jedem Griffe kann höchstens eine Elle des hundertundzwanzig Ellen langen Flügels eingezogen und in’s Boot gelegt werden; es dauert also eine ziemliche Zeit, bevor der verhängnißvolle Sack zum Vorschein kommt.

Wird zufällig in der Nähe des Ufers gefischt, so verfehlt dieser spannende Augenblick niemals, eine große Zuschauermenge herbeizulocken. Zuerst kommen einzelne Fische zum Vorschein, die sich mit ihren zackigen Rücken- und Bauchflossen in den Maschen festgelaufen und verwickelt haben. Diese werden während des Ausziehens ausgelöst und in’s Boot geworfen; je mehr derselben sind, desto sicherere Hoffnung ist auf eine reiche Beute vorhanden, wie starke Tirailleurketten denn gewöhnlich ein entsprechendes Gros hinter sich haben. Und nun das Endresultat! Wir lesen in Lucae 5, V. 9: „Und sie kamen und füllten beide Schiffe voll, also daß sie sanken.“ Wir glauben aber kaum, daß unsere schweigsamen, phlegmatischen Ellerbeker, wenn sie mit Eimern und Hohlschaufeln die große compacte Masse in die Böte befördern, „also daß sie sanken“, ein ähnlicher Schrecken angekommen ist, wie weiland Petrus und seine Gesellen. Sie bedürfen aber auch solcher Glückszüge, denn, um den Vergleich durchzuführen, auch sie können nicht selten ihren sie erwartenden Frauen zurufen: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!“ Statt der glitzernden und zappelnden Fische enthält dann das Netz eine wüste, verworrene Masse grünen und verwesenden Seegrases, welches nur unnütze Stecklinge, Seesterne, Muscheln, Polypen und Quallen, aber kaum einen brauchbaren Fisch in seinem Schooße birgt. Die Gerechtigkeit fordert das Zugeständniß, daß unsere Ellerbeker diesen ärgerlichen Fall mit demselben Gleichmut hinnehmen, wie das Gegentheil; kaum daß die heftige Bewegung der Hand, welche das schädliche Seegras aus den Maschen des Netzes entfernt, eine innere Erregtheit verrät, die man auf dem durchwetterten Gesicht vergeblich sucht. Doch, um unsere Aufgabe zu vollenden, müssen wir sie als glückliche Sieger heimkehren lassen.

Während die Männer jetzt ihre alleinige Aufmerksamkeit dem Netze zuwenden, welches zunächst durch häufiges Ausspülen vom Fischschleim, Kies, Seegras und anderm Unrat sorgfältig gereinigt und dann zum Trocknen an einem schattigen und luftigen Orte, wo die Sonne nicht darauf brennen kann, aufgehängt wird, bemächtigen sich die Frauen der gemachten Beute.

In früheren Jahren, wo die Ellerbeker es noch nicht zu ihrer jetzigen enormen Virtuosität im Räuchern gebracht hatten, wurden die Sprotten, wie ihre Geschlechtsverwandten, die Häringe, auch gesalzen oder frisch verkauft. Schon längst aber wird der Ruf: „Frisch’ Brethling!“, „Drög Brethling!“ nicht mehr in den Straßen Kiels gehört. Derselbe ist ebenso verstummt wie das classische „Lemliche Dösch!“ (lebendige Dorsch), welches, im gellenden Weiberdiscant gesungen, vor Zeiten die Kieler Hausfrauen auf die Straße hinauslockte, um für ein paar Schillinge ein ganzes Familiengericht einzukaufen. Jetzt steht nicht zu befürchten, daß die Ellerbeker Fischweiber, welche an Mundfertigkeit es völlig mit den Damen der Halle aufnehmen können, mögen sie auch sonst viel harmloserer Natur sein und niemals sich in Hyänen verwandeln, Einem die Thüren mit ihren Bütten und Kufen einrennen. Nein, man muß ihnen kommen und es noch als eine ganz besondere Gefälligkeit ansehen, wenn sie Einem auf ein Dutzend Sprotten, die man jetzt mit dem vierfachen Preise bezahlen muß, ein winziges Exemplärchen in den Kauf geben. Etwas besser fährt man, wenn man auf einer Spaziertour nach dem reizend gelegenen Ellerbek eine der zahlreichen Räucherkaten aufsucht und seine Einkäufe an Ort und Stelle macht. Man trete aber fein säuberlich auf und unterlasse ja nicht, zuvor den Leuten ob ihrer kunstreichen Arbeit das wohlverdiente Lob und Interesse zu spenden.

Auf der rußigen Tenne finden wir mehrere flachsköpfige Kinder beschäftigt, feine glattgeschälte Weidenstäbe durch die Kiemen der Fische zu stecken. Sobald ein Stock voll ist, das heißt reichlich fünfzig Sprotten in einer Reihe an demselben hängen, nimmt ihn die Mutter den Kindern ab und hängt ihn in den Heerd. Meistens sind zwei Heerde nebeneinander, und jeder derselben kann drei Schichten dieser Stöcke aufnehmen. Dicke Rauchwolken steigen empor vom Boden des Heerdes, wo ein niedriges Feuer brennt, das von der Frau stets gedämpft gehalten wird, indem sie unausgesetzt mit einem hölzernen Löffel Wasser auf die brennenden Eichen- und Erlenspähne gießt. Dies geschieht zunächst, um die zum Räuchern der Fische nöthige Intensität des Rauches zu erzeugen; dann aber auch Vorsichts halber. Denn sobald die Flamme hell auflodert und gegen die Fische schlägt, steht in einem Nu der ganze Vorrath in Gefahr, zu verbrennen. Das Fett der Fische wirkt wie eingegossenes Oel, und nur dem massiven Heerde ist es zu verdanken, daß die Bewohner zu dem Verluste ihrer Fische nicht auch den des Hauses zu beklagen haben; daher denn die kundige Frau kein Auge von dem Feuer abwendet und stets mit dem vollen Löffel von einem Heerde zum andern geht.

Die natürliche Farbe der Sprott ist silberweiß; wenn der Fisch indessen eine Zeit lang im Rauche gehangen, geht sie in’s Grünliche über und wird schließlich nach Verlauf von zwei bis drei Stunden goldgelb. Frisch aus dem Rauche gekommen, sind die Sprotten eine wahre Delicatesse, die von den echten Gourmandes mit Haut und Haaren (will sagen: Gräten) aufgegessen werden; höchstens daß man den Kopf, nachdem man ihn zuvor gehörig ausgesogen hat, auf dem Teller zurückläßt. Aber schon nach wenigen Tagen verlieren sie ihren feinen, zarten Geschmack, werden trocken und hart und die Haut, welche ihren goldenen Glanz eingebüßt hat, läßt sich nicht mehr mit Leichtigkeit abziehen. Auch die sofortige sorgfältige Verpackung kann diesen Unterschied nicht aufheben, und Blücher’s Motiv für seinen Einmarsch in Frankreich:

„Ich denke, der Champagnerwein
Wird, wo er wächst, am besten sein“ –

darf mit ungleich größerem Recht auf die prosaische Sprott angewendet werden.

Wir können somit den fernen Leser, welcher wirklich delicate Sprotten genießen möchte, nicht von der Reise ins meerumschlungene Land dispensiren. Diese Reise werden freilich nur Wenige zu solchem Zwecke unternehmen können, und so wollen wir die Leser zum Schluß doch davor schützen, daß sie nicht das Opfer eines gemeinen Betrugs werden, indem wir ihnen das Mittel an die Hand geben, wodurch sie die echte Sprott von dem gemeinen Häring sicher unterscheiden können. Es ist dies die rauhe, scharfe Bauchfläche, welche beim gewöhnlichen Häring stets glatt ist und oft den alleinigen Verräther spielt, wenn Größe und Farbe beider Arten völlig übereinstimmen.


Blätter und Blüthen.

Ein St. Georg des preußischen Landtag. (Mit Bildniß. S. 132) „Und da sitzt mein lieber Freund Lasker. Ich kann wirklich mit Falstaff sagen: ‚Der Junge hat mir einen Trank eingegeben, daß ich ihn so liebe; es kann nicht anders sein, er hat mir einen Trank eingegeben.‘ Mit wahrer Vaterfreude habe ich gesehen, daß er mich bald überragt, und jedesmal wenn er muthig sich hineinwagt und von allen Seiten angegriffen wird, fühle ich in mir den Aufruf ihm beizustehen, was ich aber seinen Fractionsgenossen überlassen muß. Brächte ich ihn heraus, würde ich mir vorkommen wie der alte Talbot, der seinen wackeren Jungen, den John, aus der Schlacht bringt und ihm zuruft:

Als Du vom Helm des Dauphin Feuer geschlagen,
Da ward mein Vaterherz emporgetragen
In stolzer Siegesbegier!

Meine Herren! Der Fink hat wieder Samen. Wir sind noch obenauf, wir sind im Siege, denn die Gegner haben einen großen Theil dessen ausführen müssen, was wir seit länger als einem Menschenalter erstrebt haben; es ist wesentlich unser Werk, und jene jungen Männer und ihres Gleichen werden die Zukunft weiter gestalten, und das deutsche Reich mit organischen Einrichtungen zur Sicherheit, Ehre, Cultur und Wohlfahrt ausfüllen, daß der Deutsche mit Stolz überall sagen wird: ‚ich bin ein deutscher Bürger‘, und daß dieser überall Respect finden wird. Dabei will ich den jungen Freunden einen Rath ertheilen: erfüllen Sie sich etwas mit dem wilden Muthe und Selbstvertrauen des Junkerthums! Glauben Sie mir, daß, wenn es Sr. Majestät beliebte, einem märkischen Junker, der nie eine Note gekannt, zu schreiben, er solle kommen und das Generaldirectorat der Musik übernehmen, der Gerufene käme, das Amt übernehme und durchführte. Ebenso die Intendanz der Schauspiele, der Museen etc. Warum soll man nicht Handelminister sein können

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_136.JPG&oldid=- (Version vom 9.6.2021)