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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

welches seit Jahren in allen Zeitungen spukt. Wem von unseren Lesern ist erinnerlich, woher der Ausdruck stammt? Wie sehr die Meinungen über den Ursprung des Wortes auseinander gehen, erhellt aus den verschiedenen Auslegungen, die nach und nach die Bezeichnung zu erklären versucht haben. Schlagen wir nun Büchmann’s „Geflügelte Worte“ auf, so lesen wir Seite 83 (der siebenten Auflage): „Der zur Bezeichnung eines bis zur Lächerlichkeit leidenschaftlichen Anhängers des französischen Kaiserthums dienende Ausdruck ‚Chauvinismus‘ beruht auf der Rolle des Chauvin in dem Scribe’schen Lustspiele ‚Le Soldat laboureux‘.“ Damit ist sofort jeder Zweifel gelöst.

Unter den lateinischen Citaten sind uns wenige geläufiger als das in Aller Mund befindliche: „Tempera mutantur, et nos mutantur in illis“ (die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen.). Wer, fragen wir wieder, weiß die Quelle anzuführen, der dies beschwingte Wort entspringt? Oft hören wir Ovid als seinen Urheber nennen, und doch ist es ein englischer Schriftsteller des siebenzehnten Jahrhunderts, Owen, welcher, allerdings mit Anlehnung an den erwähnten römischen Dichter, den Vers verfaßt hat.

Wer kennt nicht das vielgebrauchte, im letzten Kriege von Neuem mannigfach verwerthete. „Der König rief, und Alle, Alle kamen,“ ohne daß er sich träumen läßt, daß es vom Autor der „Mimili“, dem berüchtigten Clauren, zuerst ausgesprochen worden ist? Oder wer denkt daran, daß wir den „überwundenen Standpunkt“, der uns Allen so häufig in Mund und Feder schlüpft, dem verstorbenen Redacteur der „Neuen Zeitschrift für Musik“ Franz Brendel in Leipzig, dem glühenden Wagnerverehrer, verdanken, der sich in den fünfziger Jahren des Ausdrucks bediente, um damit die alten Formen der Arie und des Recitativs preiszugeben?

Wem wäre gar geläufig, daß das „Tempi passati!“ gewissermaßen einen Pendant zu Bismarcks ebenso unsterblichem „Nach Canossa gehen wir nicht!“ bildet und auf Kaiser Joseph den Zweiten zurückzuführen ist? Dieser besuchte bei seiner Anwesenheit in Venedig den Dogenpalast. Aus Zartgefühl glaubte man dem Monarchen ein daselbst befindliches Gemälde nicht zeigen zu dürfen, welches Friedrich den Rothbart darstellt, wie er, vom Papst Alexander vom Banne losgesprochen, zu den Füßen des Kirchenfürsten liegt, um knieend die Absolution zu empfangen. Der Kaiser gewahrt, daß man seine Aufmerksamkeit von dem Bilde abzulenken strebt, und läßt sich dadurch, um so weniger von der Betrachtung desselben zurückhalten, um dann lächelnd zu sagen: „Ah, tempi passati!“

Wer vermag zu präcisiren, wem er wohl das „Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen“ nachspricht? Büchmann belehrt uns, daß ein Chevalier de Panat es in einem Briefe an den nachmaligen französischen Gesandten in Berlin, Mallet du Pan, im Jahre 1796 zuerst angewendet habe.

Ist es allen unseren Lesern wohl im Augenblick gegenwärtig, daß das so viel gebrauchte

„Das Unvermeidliche mit Würde tragen“

einem fast verschollenen neueren Dichter, dem Uebersetzer des großen italienischen Poeten, Karl Streckfuß, entstammt? Es steht in der im Jahre 1809 verfaßten schönen Strophe:

„Im Glück nicht stolz sein und im Leid nicht zagen,
Das Unvermeidliche mit Würde tragen,
Das Rechte thun, am Schönen sich erfreuen,
Das Leben lieben und den Tod nicht scheuen.
Und fest an Gott und bessre Zukunft glauben.
Heißt leben, heißt dem Tod sein Bitt’res rauben!“

Und wahrscheinlich ist’s nur ein sehr kleines Häuflein, das über den Ursprung der allbekannten lebensphilosophischen Verse:

„Glücklich ist,
Wer vergißt,
Das, was nicht zu ändern ist“

Aufschluß zu ertheilen vermag. Georg Büchmann wird deshalb sicher den Meisten eine Neuigkeit offenbaren, wenn er erzählt, daß der genannte Spruch zuerst in ein Studentenstammbuch eingezeichnet wurde, welches ursprünglich einem gewissen Daelhausen aus Oldenburg angehörte und sich jetzt im Besitze des Justizraths Strackerjahn daselbst befindet. Die Verse tragen das Datum „Jena, den 12. September 1753“.

Wo kommt ferner die leider unvergängliche „Salbaderei“ her? Aus einem obscuren Städtchen unweit Naumburgs an der Saale, aus dem Orte Stößen, an dessen Rathhause noch heute die stolze Inschrift prangt: „Respublica Stoessensis“. Dort ward einst ein wohlehrsamer Bader von einem der Pfalzgrafen zum kaiserlichen Dichter gekrönt, Jacob Vogel mit Namen. Seine endlosen Reimereien scheinen indeß nichts als Blödsinn zu Tage gefördert zu haben, und so ward nachmals jedes unsinnige Gewäsch mit Bezug auf Vogel’s Handwerk und Vaterstadt als „Salbaderei“ bezeichnet.

Welcher Poet hat sich durch das classische

„Des Lebens Unverstand mir Wehmuth zu genießen
Ist Tugend und Begriff“

Unsterblichkeit errungen? Wir fürchten, auch auf diese Frage bleibt die Mehrzahl unserer Leser die Antwort schuldig, daß das köstliche Wort oberhofmarschalligen Ursprungs ist, dem genialen Haupte des erst 1851 zu Kassel als General und Oberhofmarschall verstorbenen Hans Adolf von Thümmel entflossen, der, wie es in unserer unversiechlichen Quelle heißt, „viele ähnliche Verse beging.“

Wer endlich kann im Augenblicke Rechenschaft ertheilen über die Entstehungsgeschichte des weltberühmten und unvergänglichen: „Der Karnickel hat angefangen“? Auch hierüber giebt uns Büchmann gründlichen Aufschluß. Ein Kupferstecher Lami in Berlin (1843 verstorben), der in seinen Mußestunden sich mit der Reimerei befaßte, hatte ein Gedicht geschrieben, in welchem ein Pudel eine Rolle spielt, der, im Gefolge seines Herrn über den Markt wandelnd, ein von einer Hökerin feil gebotenes lebendiges Kaninchen zerreißt. Die zornmüthige Händlerin besteht darauf, daß der Gebieter des blutdürstigen Köters mit ihr „auf die Obrigkeit“ gehen soll. Da kommt dem bedrängten Herrn ein Beistand in der Person eines Schusterjungen, der die Scene mit angeschaut hat und gegen ein Trinkgeld verspricht, zu bezeugen, „dat der Karnickel hat angefangen.“

Wir haben diese Beispiele bunt aus der Fülle der „geflügelten Worte“ herausgegriffen, glauben indeß, sie werden genügen, von Art, Bedeutung und Reichthum des Buches eine Vorstellung zu geben und in Vielen den Wunsch nach dem Besitze des ausgezeichneten, ebenso lehrreichen wie unterhaltenden Werkes rege zu machen, welches im ausgezeichnetsten Sinne des Wortes ein Haus- und Sprachschatz genannt werden darf, zugleich ein Zeugniß von der hohen Bildungsstufe, zu welcher die deutsche Nation sich erhoben hat.

Wie sehr auch das Ausland dem Werth des Buches gerecht geworden ist, bekundet die Thatsache, daß schon vor Jahren die geflügelten Worte als „Gevleugelde Woorden“ in holländischem Gewande erschienen sind – freilich arg verballhornt und ohne die Ermächtigung des Verfassers – und daß im Augenblicke, wo wir diese Zeilen schreiben, mit Genehmigung desselben, eine Uebertragung in das Magyarische vorbereitet wird.

„Voll weiser Sprüch’“, so lautet nach Shakespeare das Motto auf dem Titelblatte des Werkes. Sicherlich wird Niemand das Buch aus der Hand legen, ohne von Herzen zu bestätigen, daß dieser Schildspruch ein wohlberechtigter ist.

H. Scheube.


Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota.
1. Der Ausbruch
(Schluß.)

Der Morgen des 18. August brach klar an. Ich hatte mich früh erhoben, da ich in Folge der Unterhaltung vom vorigen Abend doch etwas unruhig geschlafen hatte, und stand vor dem Agenturgebäude neben dem alten Dolmetscher, Philander Prescott. „Es ist merkwürdig“, sagte er zu mir, „wie viel bemalte Indianer sich heute so früh um den Ort sammeln; das ist zwar um diese Zeit nichts gerade Ungewöhnliches, aber dennoch scheinen sie heute etwas Besonderes vorzuhaben.“ In diesem Augenblicke kam Little Crow die Straße herunter auf uns zu. Prescott redete ihn an und fragte, was denn los sei, daß sich so viele Krieger so früh sammelten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_115.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)