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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 7.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Drüben am Landhause wurde die herrschaftliche Equipage aus der Remise hervorgezogen und der Kutscher machte sich daran, die Pferde anzuschirren.

„Das ist ja etwas ganz Neues!“ sagte er zu dem neben ihm stehenden Bedienten, der soeben den Befehl zum Anspannen überbracht hatte. „Der Herr und die gnädige Frau fahren zusammen aus? Den Tag müßte man roth im Kalender anstreichen!“

Der Diener lachte. „Ja, viel Vergnügen werden sie wohl nicht dabei haben, aber es geht nicht anders. Es sollen Gegenbesuche in der Stadt gemacht werden, bei den vornehmen Herrschaften, die neulich zum Diner hier waren, und da schickt es sich ja wohl nicht, daß Jedes allein vorfährt, sonst hätten sie es sicher gethan.“

„Eine curiose Wirthschaft!“ meinte der Kutscher kopfschüttelnd. „Und das nennen sie nun verheirathet sein! Gott bewahre Jeden vor solch einer Ehe!“

Eine Viertelstunde später rollte der Wagen, in dem sich Arthur Berkow mit seiner Gemahlin befand, auf dem Wege hin, der nach der Stadt führte. Das Wetter, das heut Vormittag noch erträglich gewesen war, hatte sich bedeutend verschlechtert. Der ganze Himmel war dicht umzogen; der Wind, fast zum Sturme geworden, jagte die grauen Wolken vor sich her, die von Zeit zu Zeit einen Regenschauer auf die mit Nässe schon überreichlich getränkte Erde herabsandten. Es war überhaupt ein rauhes, stürmisches Frühjahr, so recht geeignet, Städtern den Aufenthalt auf dem Lande gründlich zu verleiden. Obgleich man bereits im Mai stand, zeigten die kahlen, blätterlosen Bäume des Parkes doch kaum die ersten Knospen; der scharfe Wind und die kalten Regengüsse zerstörten zur Verzweiflung des Berkow’schen Gärtners den ganzen Blumenflor, den er so mühsam auf Terrassen und Gartenbeeten schuf, und zerrissen und ertödteten erbarmungslos jede Blüthe, die sich etwa noch im Freien öffnete; die grundlosen Wege, die nassen, verregneten Wälder machten jeden Ausflug, der überhaupt nur im geschlossenen Wagen möglich war, zu einem ebenso unangenehmen als zwecklosen Unternehmen.

Tag für Tag fast Sturm und Regen, grau umzogener Himmel, nebelumflorte Berge, kaum hin und wieder ein matter Sonnenblick, und dazu eine öde, trostlose Häuslichkeit, wo kein Sonnenstrahl je die Nebel durchdrang, die sich dichter und dichter herabsenkten, wo jede Blüthe, die sich vielleicht aufthun wollte, erstarrte in der eisigen Atmosphäre des Hasses und der Bitterkeit, wo zwei Gatten das, was sonst Neuvermählte als das höchste Glück ersehnen, das ungestörte Zusammenleben, als eine Art von Folter empfanden, der ein Jedes so viel als möglich zu entfliehen strebte – es war wahrlich genug, um die tiefe Blässe auf dem Antlitz der jungen Frau zu erklären, den Schmerzenszug um den Mund, den keine Selbstbeherrschung mehr verwischen konnte, den düsteren schwermüthigen Blick, mit dem sie in die Regenlandschaft hinausschaute. Sie hatte ihrer Kraft doch wohl mehr zugetraut, als sie zu tragen im Stande war. Das Opfer war schnell gebracht im Aufflammen des Muthes und der Kindesliebe, aber die Stunden und Tage nach dem Opfer, dies thatenlose Erliegen unter dem selbsterwählten Geschick, das erst fordert den wahren Muth, die vollste Willenskraft in die Schranken, und wie viel Eugenie auch von beiden besitzen mochte, man sah es ihr doch an, wie schwer sie an diesem „Nachher“ trug.

Ihr Gatte, der in der anderen Ecke des Wagens lehnte, möglichst weit entfernt, so daß die Falten ihrer Seidenrobe kaum seinen Mantel berührten, schien nicht viel leichter an seinem Glücke zu tragen. Freilich, sein Gesicht war von jeher so bleich gewesen, das Auge immer so müde, die Haltung stets so theilnahmlos, wie eben jetzt, aber es stand doch ein Zug in seinem Antlitz, der früher nicht dagewesen war, den erst die letzten vier Wochen dort eingegraben hatten, ein bitterer, finsterer Zug, der selbst der gleichgültigsten Blasirtheit nicht mehr weichen wollte.

Er schaute gleichfalls stumm durch das Wagenfenster und machte so wenig wie Eugenie den Versuch, eine Unterhaltung zu beginnen. Sie hatten heut überhaupt erst beim Einsteigen einander zu Gesicht bekommen und dabei einige förmliche Redensarten über das Wetter, die Fahrt und den Zweck derselben ausgetauscht; dann war ein eisiges Schweigen eingetreten, das dem Anschein nach bis zur Ankunft in der Stadt fortdauern sollte. Die Fahrt war auf diese Weise nicht die angenehmste; zwar fühlte man in dem geschlossenen bequemen Wagen nichts von der Witterung draußen, aber selbst die weichsten Polster vermochten nicht ganz vor der schlechten Beschaffenheit des Weges zu schützen, auf dem die schwere Kutsche, trotz der schönen und kraftvollen Pferde, die sie zogen, nur langsam vorwärts rollte. Man hatte ungefähr die Hälfte der Fahrt zurückgelegt und befand sich mitten im Walde, als ein besonders heftiger Stoß den Wagen fast auf die Seite warf. Der Kutscher stieß einen halblauten Fluch aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_105.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)