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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ihnen die beste Antwort auf diese Frage geben wird. Glauben Sie wirklich an einen endlichen Erfolg?“

„Ich hoffe wenigstens, daß das, was bisher erreicht worden ist, der Anfang größerer Erfolge sein wird, besonders, wenn eine bessere und gerechtere Politik der Regierung, wie sie hier wenigstens von Ihnen begonnen worden ist, unseren Bemühungen hülfreich unter die Arme greifen wird.“

„Und ich halte ehrlich gestanden,“ fiel der Doctor hier ein, „Ihre bekehrten und civilisirten Indianer für abgefeimte Heuchler, die nur, um besser bedacht zu werden, die Frommen und Gezähmten spielen. Rock und Hose statt des ‚Blanket‘, ein hoher Cylinder statt der Adlerfedern und ein paar himmelhohe Vatermörder um das blutdürstige Gesicht gesteckt, machen noch keinen civilisirten Indianer, geschweige denn einen Christen. Ich fürchte manche von diesen Wölfen in Schafskleidern mehr als die Wilden; und, passen Sie auf, auf welcher Seite bei einem etwaigen Ausbruch sie sich befinden werden! – A propos, Major! haben Sie kürzlich ‚Little Crow‘ (die kleine Krähe) gesehen? Er ist mir in der letzten Zeit verdächtig vorgekommen.“

„Ich sah ihn am vergangenen Donnerstag; er war grade beschäftigt, den Keller seines neuen Hauses auszugraben, und ich versprach ihm die nöthigen Bretter und Steine zu schicken, sobald er sie brauchen werde; er schien mit allem einverstanden und sehr zufrieden zu sein. Ich glaube nicht, daß wir ihm grade jetzt zu mißtrauen brauchen.“

„Ich habe schon so manches von diesem Little Crow gehört,“ unterbrach ich den Major, „ist er wirklich von solcher Bedeutung, wie man häufig hört?“

„Little Crow,“ erwiderte der Major, „ist als einer der ersten Häuptlinge der Sioux an und für sich schon von Einfluß unter den Indianern; dieser Einfluß wird aber noch bedeutend vermehrt durch seine entschiedenen Talente. Er ist äußerst verschlagen, klug berechnend und, was ihm besonders viel Ansehen verschafft, von großer, ja hinreißender Beredsamkeit. Er war schon einmal als Abgesandter der Sioux in Washington und kennt unsre Verhältnisse sehr genau. Alles dies macht ihn zu einem nicht ungefährlichen Gegner, der nie aus den Augen gelassen werden darf. Denn daß er im Herzen ein Feind der Weißen ist, davon bin ich fest überzeugt.“

„Haben Sie nichts von der Versammlung gehört, die vor vierzehn Tagen nicht weit von Little Crow’s Wohnung stattgefunden haben soll?“ fragte der Doctor. „Und nehmen Sie dazu die Demonstration am folgenden Tage an der ‚Oberen Agentur‘; sollte nicht beides in Verbindung mit einander stehen?“

„Ich glaube, Sie sehen zu schwarz, Doctor,“ erwiderte der Major; „ich habe genaue Erkundigungen eingezogen, kann aber nichts anderes daraus machen, als daß es einer der gewöhnlichen Tänze war, mit denen die Wilden uns häufig beglücken, wenn sie Lebensmittel zu irgend einem Feste erbetteln wollen. Uebrigens hat Little Crow damit nichts zu tun gehabt, und die nächtlichen Versammlungen sind alte Geschichten, die gewöhnlich weiter nichts zu bedeuten haben.“

„Und hat Philander nichts Verdächtiges bemerkt?“ fragte Herr R.

„Philander,“ versetzte der Major, „ist so ruhig wie je, und wenn er ruhig ist, denke ich, können wir’s auch sein. Philander Prescott,“ fuhr der Major, gegen mich sich wendend, fort, „ist unser alter Dolmetscher, der schon fünfundvierzig Jahre unter den Sioux gelebt hat, selbst eine Indianerin zur Frau hat und ihre Sprache so vollkommen spricht, wie einer von ihnen selbst. Bei seiner intimen Vertrautheit mit ihrem ganzen Wesen ist er uns von unschätzbarem Werth. Wie gesagt, wenn der nichts merkt, können wir uns ruhig schlafen legen.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und einer der Arbeitsleute trat ein.

„Was giebt’s, John?“ fragte der Major.

„Nichts Besonderes gerade, das ich wüßte,“ antwortete der Mann, „aber einer von den Ziegelbrennern sagt, er hätte ein paar Indianer sagen hören, daß einige von Schakopee’s Bande in Acton gewesen wären und Websters und Jones und ihre Frauen und Kinder erschossen hätten. Ich kann’s aber nicht glauben. Heute Morgen soll es passirt sein, und Acton ist über dreißig Meilen von hier. Wird wohl nur wieder einmal eine Indianer-Lüge sein, wie so oft.“

„In Acton? und jetzt schon die Nachricht davon hier? kann ja gar nicht möglich sein!“ rief der Doctor.

„Möglich wohl, aber nicht sehr wahrscheinlich,“ meinte der Major, „jedenfalls werden wir morgen hören, ob etwas Wahres daran ist. Im schlimmsten Falle sind wir immer noch zahlreich genug, um uns zu schützen, falls wirklich etwas vorfallen sollte; außerdem ist das Fort in der Nähe und Hülfe in einigen Tagen von unten herauf leicht zu bekommen. Beunruhigen Sie sich nur nicht, meine Herren, durch dieses Gerücht und schlafen Sie deshalb ruhig! Uebrigens ist es schon spät geworden; sie werden mich daher entschuldigen, daß ich mich zurückziehe. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht.“

Wir brachen auf, und in kurzer Zeit lagen die Bewohner der „Unteren Agentur“ in tiefem friedlichen Schlafe. –

Die Nacht vom 17. auf den 18. August war dunkel und schwül. Die weite Prairie breitete sich schweigend aus unter ihren schwarzen Fittigen. Während im fernen Süden der Donner der Schlacht hallte und Weiße mit Weißen im brudermörderischen Kampfe rangen, – hier schien Alles tiefste Ruhe zu athmen; der weiße und der rothe Mann schlummerten hier im Frieden nebeneinander. Der Farmer ruhte nach heißer Tagesarbeit sanft mit Weib und Kind im wohnlichen Blockhause; nur hier und da mochte die Mutter oder die Gattin die schlaflosen Augen zum Himmel aufheben im heißen Gebete für den bedrohten Sohn oder Gatten, oder die Braut in schreckhaften Träumen die Arme ausstrecken nach dem fern kämpfenden Geliebten. Kaum Einer unter Hunderten ahnte, daß der blutigste Verrath in nächster Nähe auf seine Beute lauerte; kaum Einer, daß das Scalpirmesser und das Beil schon geschliffen seien, um die unschuldigen Opfer teuflischer Wuth zu Hunderten zu fällen.

Sechszehn Meilen oberhalb der „Unteren Agentur“ ergießt sich ein Bach, Riu Creek, in den Fluß. In den dichten Ufergebüschen begann es lebendig zu werden. Dunkle Schatten huschten lautlos in der schweigenden Nacht hin und her und sammelten sich an der einsamsten Stelle des einsamen Thales. Die schauerliche Versammlung bestand aus wilden Gestalten, theils halb nackt, mit bunten Farben bemalt, das struppige Haar mit Federn geschmückt, theils in europäische Kleidung gehüllt, in der sich die wüsten Gesichter mit den thierischen Zügen nur um so widerlicher ausnahmen, alle bewaffnet mit Büchse, Scalpirmesser und Tomahawk. Endlich waren Alle gekommen. Der Kriegsrath der Sioux saß da, in unheildrohendes Schweigen gehüllt.

Nach einer langen Pause erhob sich ein großer, starkgebauter Indianer, wie ein Weißer gekleidet, aber mit häßlichem, tigerartigem Gesicht und düsteren, blutgierig funkelnden Augen. Es war Little Crow, der berühmte Häuptling der Sioux, der die List der Schlange, den Blutdurst des Tigers und zugleich die Beredsamkeit des großen Volksredners in sich vereinigte. Wer hätte in dem „civilisirten“ Indianer, der noch am Morgen andächtig dem Gottesdienste in der „Unteren Agentur“ beigewohnt hatte und ruhig und still mit den anderen christlichen Indianern nach Hause gegangen war, den wilden, nach Blut lechzenden Häuptling geahnt, der sich jetzt erhob, um als das anerkannte Haupt der großen, in’s tiefste Geheimniß gehüllten Verschwörung die letzten Befehle zum allgemeinen Blutbade zu geben! In den tiefen, gurgelnden Kehllauten der Siouxsprache begann er seine Rede:

„Männer meines Stammes! Die Stunde ist gekommen, auf die wir so lange gewartet haben. Die Stunde der Rache für den rothen Mann ist da! Jahrelang haben wir die Bleichgesichter getäuscht. Wir haben die neuen Gebräuche, die unsere Väter nicht kannten, angenommen. Wir haben zu ihrem großen Geiste gebetet. Wir haben uns vor dem ‚Großen Vater‘ in Washington gebeugt. Wir haben ihr Geld genommen und ihnen dafür unsere Jagdgründe gegeben. Wir haben Alles nur gethan, um sie zu täuschen. Sie glauben, der rothe Mann sei zahm geworden und habe die Kraft und den Mut verloren, für sein Recht zu kämpfen; sie glauben, sie können ihn mit Füßen treten. Wir lachen über ihre Dummheit. Sie kennen den rothen Mann nicht; aber seine Rache sollen sie bald fühlen. Lange habt Ihr geduldig gewartet; Ihr habt weisem Rate gehorcht und habt die Kugel in der Büchse gehalten und das Messer im Gürtel. Jetzt ist die Zeit da, auf die wir gewartet. Der Große Vater in Washington hat alle seine jungen weißen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_096.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)